Teil III


Das dama­li­ge preu­ßi­sche Offi­zier­korps, dem der Vater Clau­se­witz und Carl Phil­lip sowie zwei sei­ner Brü­der dann selbst ange­hör­ten, unter­lag zwei­fels­oh­ne dem »Esprit de Corps«. Unab­hän­gig vom eige­nen Stel­len­wer­tes in der Hier­ar­chie ver­stan­den sich die­se Offi­zie­re als »Män­ner von Ehre«. Die Geburt unse­res Carls in der Fami­lie eines inva­li­den Offi­ziers Fried­rich des II., der im nied­rigs­ten Beam­ten­stand des könig­li­chen Accise-​Wesens sei­nen Lebens­un­ter­halt ver­die­nen musste:

»(…) Sein Jah­res­ge­halt betrug anfäng­lich 180 Taler, spä­ter 225 bis 300 Taler. Ab 1793 ver­füg­te Fried­rich Gabri­el über eine Gnadenpension (…)«
(Vergl. E. Kes­sel – Carl von Clau­se­witz – Her­kunft und Per­sön­lich­keit, in Wis­sen und Wehr, Heft 18, Mitt­ler Ber­lin 1937)

beein­träch­tig­te mit Sicher­heit das Avance­ment des jun­gen Clau­se­witz und sei­ner Brüder.

Gleich­wohl gehör­te die Fami­lie dem pri­vi­le­gier­ten Stand im Staa­te Preu­ßen an, auch wenn der Adel der Clau­se­witz´ zwei­fel­haft war und erst am 3. Janu­ar 1827 durch F. W. III. mit KO (Kabinets-​Order) bestä­tigt wur­de. Vater Clau­se­witz war durch­aus bemüht, sei­nen Söh­nen den »Esprit de Corps« zu ver­mit­teln. Davon zeugt ein Brief an Marie vom 13. Dezem­ber 1806, wor­in er offen­sicht­lich stolz schrieb:

»(…) Wir drei jüngs­ten Brü­der sahen uns also als Edel­leu­te in der Armee ange­stellt, und zwar mein drit­ter Bru­der nebst mir in einem Regi­men­te [Prinz Fer­di­nand], in wel­chem nur Edel­leu­te die­nen konnten (…)«. 

Wenn­gleich im sel­ben Brief und Absatz die Besorg­nis anklang, dass da Zwei­fel hät­ten ent­ste­hen können.

»(…) Da wir nun Ver­wand­te hat­ten, die nicht Edel­leu­te zu sein schie­nen, so muß­te das natür­lich Besorg­nis erwe­cken, daß, wenn man hier und da zufäl­lig auf dies Ver­hält­nis stie­ße, man uns für Usur­pa­to­ren hal­ten könnte (…)«
(Vergl. »Carl und Marie von Clau­se­witz – Brie­fe – Ein Leben im Kampf für Frei­heit und Reich«, Hg. Otto Heusche­le, s. 57)

Wir unter­su­chen hier bewusst die­se Stan­des­fra­gen, die womög­lich Ein­fluss auf die Sicht zu Reli­gi­ons­fra­gen des Offi­ziers und spä­te­ren Gene­rals Carl von Clau­se­witz gehabt haben könn­ten. Denn die Zeit, die wir hier im Blick haben, war geprägt durch eine über fast ein Jahr­hun­dert wäh­ren­de Aus­ein­an­der­set­zung zu theo­lo­gi­schen Fra­gen, das Exis­tenz­recht der Juden in Euro­pa betreffend.

Ehe­ma­li­ge Syn­ago­ge in Burg aus den Jah­ren 1851 bis 1852 – Quel­le: turist​info​-burg​.de

Mit viel Glück, wie wir schon gese­hen haben, über­stand der jun­ge Clau­se­witz die Kam­pa­gne in Frank­reich und konn­te mit sei­nem Regi­ment zurück­keh­ren. Grund­la­ge dafür war der Frie­den von Basel, den Carl im 15. Lebens­jahr erleb­te. Spu­ren hat­te die­ser Feld­zug ganz bestimmt hinterlassen.

»(…) Von den drei Fähn­ri­chen sei­nes Regi­ments star­ben zwei an Krank­heit, und sei­ne Vor­ge­setz­ten fürch­te­ten, daß auch Clau­se­witz den Stra­pat­zen nicht gewach­sen sein werde. (…)«
(Vergl. Peter Paret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, S. 51)

Es ist daher nor­mal, dass die­se Erleb­nis­se im Men­schen Clau­se­witz Spu­ren hin­ter­las­sen und ihn für das Leben geprägt haben. Aus die­ser Zeit sind uns nur Berich­te von Feld­her­ren, Schil­de­run­gen von Zeit­zeu­gen in Brie­fen und pro­sa­ische Wer­ke über­lie­fert, die zusam­men mit Bil­dern, die spä­ter ent­stan­den sind, das Ant­litz des Krie­ges des 18. Jhd. vermitteln.

Quel­le: Quora

Nach die­sen Ereig­nis­sen – so lesen wir in den Quel­len – begann sich der jun­ge Clau­se­witz auto­di­dak­tisch um sei­ne Bil­dung zu bemü­hen. Auf dem Rück­zug des Preu­ßi­schen Hee­res 1795 hat­te Clau­se­witz Muße, in einer län­ge­ren Kan­to­nie­rung im West­fä­li­schen sich mit Büchern zu befas­sen. Aus Sois­sons schrieb am 3. Juli 1807 Clau­se­witz an Marie:

»(…〉 Mit einem Male dem Schau­platz des Krie­ges ent­zo­gen, […] fiel der Blick des Geis­tes zum ers­ten Male in mein Inne­res. […] man konn­te dort Bücher haben; ich fing an zu lesen (…)« 

Wei­ter unten im Brief offen­bar­te Clau­se­witz der Marie, die Fort­set­zung sei­ner Bemü­hun­gen schildernd,

»(…) Bald dar­auf in einer klei­nen Gar­ni­son ein­ge­zwängt, […] zeich­ne­te sich mein Dasein durch nichts […] aus als durch etwas mehr Nei­gung zum Den­ken, zur Lite­ra­tur und durch mili­tä­ri­schen Ehr­geiz, den ein­zi­gen Über­rest des frü­he­ren Schwunges. (…)« 

Wei­ter lesen wir von einem »gewal­ti­gen Sprung«, wenn Carl schildert,

»(…) Als ich aber im Jah­re 1801 nach Ber­lin [»All­ge­mei­ne Kriegs­schu­le Bln.«] kam und sah, daß geach­te­te Män­ner es nicht für zu gering­fü­gig hiel­ten, mir die Hand zu rei­chen, da war die Ten­denz mei­nes Lebens mit einem Male in Über­ein­stim­mung mit mei­nem Tun und Hoffen (…)«
(Vergl. »Carl und Marie von Clau­se­witz – Brie­fe – Ein Leben im Kampf für Frei­heit und Reich«, Hg. Otto Heusche­le, S. 97)

Wir wis­sen, dass sich sein Tun und sein Hof­fen bis zu sei­nem Lebens­en­de in einem stän­di­gen Kampf mit sich und sei­ner Umwelt befand. Zunächst lagen aber noch sechs Jah­re Gar­ni­sons­dienst in Neu­rup­pin in einem ange­se­he­nen Regi­ment vor ihm, wo es für die dama­li­ge Zeit erstaun­li­che Bil­dungs­mög­lich­kei­ten in beacht­li­chen Schu­len, einer Biblio­thek und einer Lese­ge­sell­schaft gab. Von gro­ßer Bedeu­tung war sicher die »Mili­tär­wis­sen­schaft­li­che Bil­dungs­an­stalt für zukünf­ti­ge Offi­zie­re«, die Fried­rich Wil­helm Alex­an­der von Tscham­mer und Osten (*1773; †1809), dama­li­ger Oberst, führ­te. Clau­se­witz war auch dort Hörer.
(Vergl. »Clau­se­witz – Engels – Mahan: Grund­riss einer Ideen­ge­schich­te . ….«, D. Schöss­ler, S. 67)

Auch Ber­lin – in weni­gen Stun­den zu errei­chen – bot zumin­dest den Hauch von könig­li­chem Hof, phi­lo­so­phi­schem und lite­ra­ri­schem Geist der Zeit. 1801 sehen wir Clau­se­witz an der »All­ge­mei­nen Kriegs­schu­le in Ber­lin«, des­sen Direk­tor ab Herbst des glei­chen Jah­res G. D. von Scharn­horst war.

All­ge­mei­ne Kriegs­schu­le um 1801, Burg­stra­ße 19 Quel­le: ber​lin​ge​schich​te​.de


Eine nach­ge­reich­te exzel­len­te Beur­tei­lung sei­nes Neu­rup­pi­ner Regiments-​Kommandeurs Tscham­mer aus dem Jah­re 1802 weist aus:

»(…) Sein Betra­gen ist sehr gut, er ist ein guter Offi­zier, der sich Kennt­nis­se zu erwer­ben sucht. Ist jetzt)in Ber­lin, um die mili­tä­ri­schen Kol­le­gia zu hören, wo er sehr flei­ßig und nach dem Urteil des Oberst von Scharn­horst einer der bes­ten Köp­fe sein soll (…)«
(Vergl. Peter Paret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, S. 79)

In Ber­lin hör­te Clau­se­witz, gera­de 21 gewor­den, Kie­se­wet­ter über Logik, Mathe­ma­tik und auch über die Phi­lo­so­phie Kants. Er begeg­ne­te dort in der »Mili­tä­ri­schen Gesell­schaft« u. a. auch dem 24-​jährigen Prin­zen August, dem er auf Emp­feh­lung Scharn­horsts spä­ter ab 1803 als Adju­tant dien­te und ihn in die fran­zö­si­sche Gefan­gen­schaft 1806 beglei­te­te. Hat­te Kon­takt mit dem Her­zog Karl von Meck­len­burg (*1785; †1837) sowie mit den spä­te­ren Kampf­ge­fähr­ten Grol­man, Boy­en, Tie­de­man und Rüh­le von Lilienstern.

In frei­er Zeit sah er Varn­ha­gen von Ense (*1785; †1858), mit dem er lan­ge ideell noch ver­bun­den war und der ihm die Ber­li­ner Geis­tes­welt eröff­ne­te. Dann 1804 im Früh­jahr schloss Clau­se­witz die Kriegs­schu­le als Lehr­gangs­bes­ter ab.
(Vergl. Peter Paret »Clau­se­witz und der Staat«, Dümm­ler, S. 103) 

Zuvor war unser Clau­se­witz im Jah­re 1803 Mit­glied der Scharnhorst’schen »Mili­tä­ri­schen Gesell­schaft« (1801 bis 1805) gewor­den, die einen star­ken geis­ti­gen Mit­tel­punkt des Preu­ßi­schen Offi­ziers­korps in die­ser Zeit dar­stell­te. In die­ser Stu­di­en­zeit ana­ly­sier­te er über 130 Feld­zü­ge von Cäsar bis Napo­lé­on. Er wid­me­te sich der Geschichts­phi­lo­so­phie und nahm alle geis­ti­gen Strö­mun­gen sei­ner Zeit auf. Las Schil­ler, Goe­the, Höl­der­lin und auch Kant, Hegel sowie Fich­te. Beschäf­tig­te sich mit Archi­tek­tur. Setz­te sich mit Pes­ta­loz­zi aus­ein­an­der und leg­te zur Päd­ago­gik Pes­ta­loz­zis eine Stu­die vor.
(Vergl. »Clau­se­witz – Engels – Mahan: Grund­riss einer Ideen­ge­schich­te . ….«, D. Schöss­ler, S. 72) 

Dann, im Dezem­ber 1803, begeg­ne­ten sich Carl von Clau­se­witz und Marie Grä­fin von Brühl (*1779; †1836) beim Prin­zen Fer­di­nand zum ers­ten Mal. Der sich dar­aus bil­den­de Bund hielt ein Leben lang. Die spä­te­re Marie von Clau­se­witz brach­te das Lebens­werk Clau­se­witz‘, »Vom Krie­ge«, nach des­sen Able­ben an die Öffentlichkeit.

Marie von Clau­se­witz, 1810, von F.-J. Kin­son Quel­le: uni-münster.de

Clau­se­witz war also im militärisch-​geistigen Mit­tel­punkt Preu­ßens ange­kom­men. In rela­tiv jun­gen Jah­ren hat­ten Carl wich­ti­ge Fra­gen bewegt. Wie war es mög­lich, dass eine revo­lu­tio­nä­re Armee mili­tä­risch die »alte Welt« aus den Angeln heben konn­te? Woher kamen die­se frei­wil­li­gen, kaum aus­ge­bil­de­ten, wenig dis­zi­pli­nier­ten neu­en Krie­ger? Was muss­te sich im Mili­tär­we­sen Preu­ßens ändern?

Was aber erkann­te Clau­se­witz zu die­ser Zeit, die bren­nen­den Fra­ge der sich in Bewe­gung befind­li­chen Juden-​Emanzipation in Preu­ßen betreffend?

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Fort­set­zung Teil IV