Teil 1
Die »Unsichtbaren« – hybride Kriege im 21. Jahrhundert … und Clausewitz?
Dipl.-Mil. Oberstleutnant a. D. NVA Klaus-Dieter Krug
In den ersten beiden Dekaden des 21. Jahrhunderts werden wir Zeugen einer deutlichen Intensivierung eines Phänomens diffuser, dunkler und scheinbar unbekannter Methoden der Kriegsführung.
Das Schlagwort dazu lautet »Hybrider Krieg«. »Hybrid«, abgeleitet aus dem lateinischen Wort »hybrida«, gestattet hier den Rückschluss auf »Bastard« bzw. »Mischling«. Das heißt, angewendet auf Krieg und Kriegsführung erkennen wir die mögliche Vermischung verschiedener Arten, Mittel und Methoden der uns bisher bekannten Kriegsformen.
Das waren bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen »symmetrische Kriege«, geführt durch annähernd gleichartige Parteien – respektive Staaten – nach »ius belli«. Sowie »asymmetrische Kriege«, geführt durch Parteien, die waffentechnisch, organisatorisch und strukturell kaum oder gar nicht vergleichbar waren. Letzteres stellt keine neue Erscheinung dar, sondern wurzelt tief in der Militärgeschichte bis hin zur Antike und mäandert in vielen Formen und Methoden bis in die Gegenwart.
An dieser Stelle sei Kleists »Hermannsschlacht« angeführt, verfasst im Jahre 1808 unter dem Eindruck der verheerenden Niederlage Preußens bei Jena & Auerstedt. Kleist lieferte in dem Drama in fünf Akten womöglich auch eine Inspiration für die Vorlesungen über den »Kleinen Krieg«, die Clausewitz an der Kriegsschule in Berlin 1810 bis 1812 hielt, oder für seine Ansicht über die Rolle der Volksmassen im Kriege. Heinrich von Kleist, preußischer Offizier, thematisierte dort den »Partisanenkrieg«. Also den asymmetrischen Kampf der Germanen unter Hermann dem Cherusker gegen die Römer im Jahre 9 v. u. Zeitrechnung.
Der Paukenschlag des 11. September 2001 ließ diese Formen und Methoden der Kriegsführung – namentlich asymmetrische und hybride Besonderheiten der bewaffneten Auseinandersetzung – deutlicher in den Fokus der Betrachtung rücken. Politik, Militärwesen und Gesellschaft waren fortan gezwungen, sich mit diesem dunklen, diffusen, scheinbar unsichtbaren Phänomen zu befassen, da es weltweit relevant wurde.
Angebracht ist es daher, sich holistisch mit dieser Erscheinung zu befassen, um am Ende möglicherweise zu einer Begriffsbestimmung »hybrider Krieg« zu gelangen. Wir würden dann also den Weg hin zu einem Gedankengebäude gehen, zu erkennen, zu erklären und am Ende dadurch selber handlungsfähig zu sein.
Daher ist hier auch auf Clausewitz zu Fragen der Theorie in diesem Zusammenhang zuzugreifen.
»Das Geschäft einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durcheinander geworfenen und, man kann wohl sagen, sehr ineinander verworrenen Begriffe und Vorstellungen; und erst, wenn man sich über Namen und Begriffe verständigt hat, darf man hoffen, in der Betrachtung der Dinge mit Klarheit und Leichtigkeit vorzuschreiten.« 1
Wollen wir hier zur Theorie des zu behandelnden Begriffes kommen, nähert sich der Verdacht, gegenwärtige Erscheinungen der Kriegsführung Clausewitz zuzuordnen. Gelegentlich ist zu lesen und zu hören, dass Carl von Clausewitz die Rolle eines »Theoretikers* des hybriden Krieges« zugedacht wird.
Wir können zwar Erscheinungen des Phänomens mit den Schriften Clausewitz´ erklären und daraus geeignete und notwendige Handlungen für Politik und Militär ableiten, ihn jedoch als »frühen Theoretiker des hybriden Krieges« zu bezeichnen, wäre sehr weit hergeholt.
Clausewitz hat mitnichten die theoretischen Grundlagen für diese abstruse Kriegsform geliefert. Die von ihm gelesenen »… über den Kleinen Krieg …«-Erläuterungen von Beispielen verschiedener Kampfmethoden sind lediglich durch Praktiker des »Kleinen Krieges« angewendet und hybrid auch missbraucht worden.
Andernfalls hieße das, Clausewitz für das jetzige Erscheinungsbild in seiner Komplexität bis hin zur planmäßigen Destabilisierung von Staaten, Bruch des Völkerrechts, Organisierte Kriminalität, Terrorismus, menschheitsverachtende Verbrechen und weitere Merkmale des »hybriden Krieges« verantwortlich machen zu wollen.
Clausewitz´ Sinn und Inhalt des »Kleinen Krieges«, also Kampf mit begrenzter Truppenzahl und speziellen Kampfmethoden, ist jedoch im Kontext seiner Zeit zu betrachten. Das wird nicht im ursprünglichen Sinne in den gegenwärtigen, teilweise perversen Erscheinungen, deren Zeugen wir heute sind, gespiegelt.
Hier wächst die Gefahr, dass »Theoretiker«, die die Praxis nicht kennen – diese sich nur vage vorstellen können, da ihnen das notwendige militärische Urteilsvermögen fehlt – die aktuellen und speziellen Fragen nach Krieg und Frieden einseitig darstellen.
Das Verständnis zur Wechselwirkung von Strategie und Taktik, Vorstellungen über mögliche Friktionen, auf die wir noch zu sprechen kommen werden, sowie deren Einfluss auf den Verlauf eines Krieges stellt eine unverzichtbare Grundlage dar.
Zu untersuchen wäre auch, inwieweit sich die militärische Kategorie der »Operativen Kunst«* aus der Clausewitz’chen Definition der Kriegskunst entwickelte. Wir werden sehen, dass signifikante Erscheinungen des hybriden Krieges auf einer heutigen operativen Ebene der Kriegskunst verortet werden müssen.
1Carl von Clausewitz, »Vom Kriege«, Verlag MfNV Bln., 1957, S. 94