Teil V
Zur ökonomisch begründeten Judenfeindschaft
Seit dem Mittelalter lebten die Juden in Europa und somit auch in Preußen in einer aufoktroyierten Berufsstruktur, die sie aus handwerklichen Zünften ausschloss, ihnen Grundbesitz verwehrte und den Zugang zum Militär und Staatsdienst ausschloss. Weiter oben wurde das schon erwähnt. Das bewusste Hineindrängen in Felder des Finanzsystems, in Handel und Geldverleih (siehe Hirsch) führte zu einer weiteren Absonderung der Juden vom übrigen Volk der Länder. Daran änderte auch das oben erwähnte »General-Reglement« F. II. so gut wie nichts. Lediglich die Vorteile wusste der Peußenkönig für sich zur Finanzierung seines siebenjährigen Krieges und zum Palais-Bau in Berlin zu nutzen.
»(…) ein Kapitel aus einem seinerzeit populären historischen Roman der Schriftstellerin Louise Mühlbach (eigentl. Clara Mundt, 1814 bis 1873), Friedrich der Große und sein Hof; es heißt „Der Kronprinz und der Jude“ und schildert eine Audienz Veitel Heine Ephraims bei Kronprinz Friedrich in Rheinsberg. Die literarische Gestaltung dieser Szene durch die Autorin Mühlbach zeigt einen Juden, der abhängig ist von den Launen des Kronprinzen, der aber auch selbstbewußt aufzutreten und sein Recht einzufordern weiß. Auf der anderen Seite steht ein stolzer, aber schließlich doch einsichtiger Kronprinz: Wenn er kann, steht er zu seinen Verpflichtungen. Die Autorin versucht, das ungleichgewichtige Verhältnis der beiden fiktional zu gestalten. Die Szene ist frei erfunden, basiert aber auf historischem Quellenstudium der Schriftstellerin: so könnte eine Begegnung der beiden abgelaufen sein. (…)«
(Vergl. Gomperz, Ephraim, Itzig – Erfolg und Bedrückung der »Hofjuden« Friedrichs II. Vortrag, Thomas Brechenbacher, ephraim-veitel-stiftung.de)
Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts, nachdem das General-Reglement wirksam wurde:
»(…) war die Furcht, die auch schon seine Vorgänger geäußert hatten, die Juden könnten Überhand nehmen und für die christlichen Einwohner und Kaufleute eine ungemeine Bedrückung darstellen bzw. ihnen Schaden zufügen. 1743 waren statt der vorgesehenen 120 jüdischen Familien 333 [knapp 2.000 Personen] in Berlin ansässig. Die Zahl steigerte sich bis 1784 auf 3.670 Juden bei einer Gesamteinwohnerzahl von 145.000, was einem Anteil von ca. 2,5% ausmachte [Breuer 1996, 147]. (…)«
(Vergl. »Juden in Brandenburg«, 1671 bis 1871, Irene A. Diekmann, brandenburgikon.net)
Unter diesen Voraussetzungen entwickelte sich das Verhältnis der Juden zum Preußischen Adel um die Jahrhundertwende zum 19. Jhd. besonders problematisch. Im ersten Teil unserer Darlegung wurde auf Staatsrat Johann Heinrich Schmedding und Friedrich Leopold Reichsfreiherr von Schrötter verwiesen. Der Entwurf »Über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in Preußen« (1808) war auf die sich entwickelnde jüdischen Bevölkerungszahl bezogen, die sich zunehmend mit einer beabsichtigten wirtschaftlichen Gleichstellung der Juden in eine neue, zeitlich begrenzte (nach Schmedding) Konkurrenzsituation für die christliche Einwohnerschaft Preußens entwickelte.
(Vergl. dazu, Steinacker, Carl: Emanzipation der Juden. In: Rotteck/Welcker, Staats-Lexikon, Bd. 5, 1837)
Wir wollen uns hier in unserem Text vorrangig auf das preußische Offizierskorps konzentrieren, dem Carl von Clausewitz angehörte. Der deutsche Adel vor 1815 ließ sich in drei vertikal gedachte Ebenen unterteilen:
»(…) 1. in den Hochadel, […] 2. in den Ritteradel, […] 3. in den Landadel: Er entstammte in Preußen weder der Reichsritterschaft noch dem Hochadel. In Preußen wurde er hauptsächlich durch das Offizierkorps gebildet. Die adeligen Offiziere besaßen die Rittergüter und damit die Gerichtsbarkeit, die Jagdgerechtigkeit und das Kirchenpatronat. (…)«
(Vergl. Marion Schulte, Preussische Offiziere über Judentum und Emanzipation 1.1. Der preussische Rittergutsadel)
Ein namhafter Vertreter der 3. Ebene war Generalleutnant Friedrich August von der Marwitz (*1777; †1837). Preußischer Offizier in »Opposition und Gehorsam« (Günter de Bruyn), Neffe des Generalmajors Johann Friedrich Adolf von der Marwitz (*1723 ; †1781), der bei »Friedrich dem Großen« in Ungnade fiel, weil er sich weigerte, das erbeutete Jagdschloss zu Hubertusburg zu plündern. (»Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.«)
1880 charakterisierte der Historiker Heinrich von Treitschke eben diesen Friedrich August von der Marwitz als:
»(…) Urbild des brandenburgischen Junkers«, der voller „feuriger Vaterlandsliebe, aber auch voll harter Vorurteile, so naiv in seinem Standesstolze, daß er an die rechtliche Meinung seines Gegners kaum zu glauben vermochte“ (…)«
(Vergl. Ludwig von der Marwitz, www. epoche – napoleon.net)
Von der Marwitz opponierte gegen die Reformen, die von Stein eingeleitet und von Hardenberg weitergeführt wurden. So protestierte er 1811 mit seiner Denkschrift »Letzte Vorstellung der Stände von Lebus und Beeskow-Storkow an den König« und forderte die Aufhebung der eingeleiteten Reformen.
Für von der Marwitz bestand ein Widerspruch zwischen den wohl notwendigen ökonomischen Veränderungen und den alten traditionellen, auf moralischen Prinzipien aufgebauten Ständeordnungen. Als Landadliger wandte er sich gegen die Aufhebung der althergebrachten Erbuntertänigkeit der Bauern. Er fürchtete, dass das ständig wachsende finanzkräftige Bürgertum die Ritterschaft von ihren angestammten Gütern verdrängen werde. Seit Jahrhunderten lag die Macht des preußischen Adels im Grundbesitz. Diese Befürchtungen bestätigten sich zunehmend. Forschungen haben nachgewiesen, dass z. B. in der damaligen Kurmark die Anzahl der Rittergüter, die in bürgerlichen Besitz übergingen, von 32 im Jahr 1740 auf 62 im Jahr 1807 gestiegen war. Somit waren 1807 8.7 % der kurmärkischen Rittergutsbesitzer bürgerlich.
(Vergl. R. Schiller, »Vom Rittergut zum Großgrundbesitz «, Hg. R. Schiller, Akademie Verlag, 203, Tabelle S. 42 )
Die Gedanken der Landadligen und Offiziere Preußens erkennen wir nachfolgend:
»(…) Wenn Marwitz in der „Letzten Vorstellung“ dem König in schwarzen Farben ausmalt, in welche Abgründe die Reformen den Staat stürzen werden, steht am Ende die düstere Zukunftsvision, dass »unser altes, ehrwürdige Brandenburg-Preußen ein neumodischer Judenstaatwird. (…)«
(Vergl. »Märkischer Dichtergarten« Günter de Bruyn »Friedrich August Ludwig von der Marwitz – Nachrichten aus meinem Leben 1770 – 1808«, S. 324)
Auch in den Berliner »Salonkreisen« wurden diese Probleme später Gegenstand der Gespräche, wenn um Gerüchte, die wachsende vermögende Schicht der Juden in der Bürgerschaft Preußens betreffend, polemisiert wurde. So schrieb Caroline von Humboldt an Wilhelm von Humboldt:
»(…) Die Masse des Vermögens ist in ihren Händen und es ist eine der Ursachen, warum der sehr drückende Indult aufrecht erhalten wird, um einigermaßen zu verhüten, daß nicht noch mehr Güter in ihre Hände kommen, weil bei der Aufhebung desselben allerdings noch viele Güter werden müssen veräußert werden. (…)«
(Quelle: Caroline von Humboldt an Wilhelm von Humboldt (19. April 1816), Hazel Rosentrauch, »Wahlverwandt und ebenbürtig« S. 214)
Ebenso wandte sich von der Marwitz gegen die Reformbestrebungen innerhalb der preußischen Armee. Die Öffnung des traditionellen Bestandes des preußischen Offizierskorps, gestellt durch den Adel, lehnte er strikt ab. Ebenso ist also anzunehmen, dass von der Marwitz damit gegen die Emanzipation der Juden und deren Zulassung zum Militärdienst war. Mit seinem Protest war von der Marwitz nicht allein. Landesweit kam es zu Entrüstungen, wie z. B. in Königsberg, wo
»(…) würdige Herren vom Hofe, vom Landadel, von der Armee, allesamt tief entrüstet über „das Nattergezücht“ der Reformer (…)«
waren.
»(…) Niemand dort schalt grimmiger als General Yorck: der sah die strenge Zucht aus der Welt verschwinden, sah die Zeit gekommen, wo jeder Fähnrich an seinen Obersten zum Marquis Posa werden wollte. (…)«
(Vergl. Heinrich von Treitschke »Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert«, 1934, Kröner, Leipzig, Bd. 1 , S. 213)
Die Auseinandersetzungen in der damaligen preußischen Gesellschaft waren einmalig im Vergleich mit vorangegangenen schwierigen Zeiten. Der nassforsche Auftritt des von der Marwitz, Landmarschall der Lebuser Stände seines Zeichens, mit seiner Denkschrift »Letzte Vorstellung der Stände von Lebus und Beeskow-Storkow an den König« brachte (1811) ihm den Zorn von Hardenbergs ein.
»(…) so daß er schließlich Marwitz, den trotzigen Wortführer der altständischen-feudalen Partei Brandenburgs, nach Spandau auf die Festung bringen ließ. (…)«
(Vergl. Heinrich von Treitschke »Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert«, 1934, Kröner, Leipzig Bd. 1 , S. 269)
Dort saß er gemeinsam mit Graf Friedrich Ludwig Karl Fink von Finckenstein, dem Mitunterzeichner der »Lebuser Denkschrift«, für runde fünf Wochen ein.
Günter de Bruyn (*1926; †2020) formulierte diesen Umstand so:
»(…) Bei der Verhaftung geht es zwar nicht gesetzmäßig, aber standesgemäß zu. […] eine Haftdauer ist nicht festgelegt […] Im Keller des Juliusturms zu schmachten, wie vierhundert Jahre vorher Dietrich von Quitzow, brauchten diese adligen Empörer nicht. (…)«
Sie konnten sich innerhalb der Festung frei bewegen, konnten sich selber verpflegen und litten keine große Not.
»(…) Über den Fenstern in einem Bogenfeld prangte das Wappen der Hohenzollern, mit dem Spruchband des englischen Hosenbandordens geziert: „Honi soit qui mal y pense“ (Beschämt sei, wer schlecht darüber denkt) (…)«
(Vergl. »Märkischer Dichtergarten«, Günter de Bruyn »Friedrich August Ludwig von der Marwitz – Nachrichten aus meinem Leben 1770 – 1808«, S. 315 bis 318)
Gleichwohl hatte Marwitz in der Not prominente Kameraden im Adel und im Bürgertum, die zu ihm standen, obgleich z. B. Gneisenau dessen Ansichten nicht teilte.
»(…) Ich will diesen aus dem unglücklichen Kriege (1806) her mir achtbar gewordenen Mann in seinem Unglück nicht verläugnen und werde ihn demnach besuchen. (…)«
schrieb er an Hardenberg
(Vergl. »Märkischer Dichtergarten«, Günter de Bruyn »Friedrich August Ludwig von der Marwitz – Nachrichten aus meinem Leben 1770 – 1808«, S. 315 bis 318
Der Patriot Marwitz eilte jedoch 1813 wieder wie 1806 zu den Fahnen, bildete im Raum Beeskow eine Brigade der »Kurmärkischen Landwehr« und nahm mit ihr erfolgreich an der legendären »Kolbenschlacht am Hagelberg« am 27. August 1813 bei Belzig teil. Dafür erhielt er das »Eiserne Kreuz I. Klasse«. Für die Kampagne 1815, wo er bei Ligny eine Kavalleriebrigade führte, wurde er mit dem »Pour le Merite« ausgezeichnet. Marwitz wurde Generalmajor und decharchierte 1827 als angesehener kritischer Offizier aus dem preußischen Militärdienst. Das Schlusswort seines Königs war:
»(..) Immer nach Grundsätzen gehandelt! (…)«
(Vergl. »Märkischer Dichtergarten«, Günter de Bruyn »Friedrich August Ludwig von der Marwitz – Nachrichten aus meinem Leben 1770 – 1808«, S. 346)
Theodor Fontane (*1819; †1898) setzte diesem Menschen literarisch ein Denkmal.
»(…) Die Marwitze haben dem Lande manchen braven Soldaten, manchen festen Charakter gegeben, keinen aber braver und fester, als Friedrich August Ludwig von der Marwitz, dessen Auftreten einen Wendepunkt in unserem staatlichen Leben bedeutet. Erst von Marwitz´ Zeiten ab existiert in Preußen ein politischer Meinungskampf. (…)«
(Vergl. Theodor Fontane »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« – Friedrich August von der Marwitz –, Hg, B. Petersdorf, Joker, S. 387)
Unser Carl von Clausewitz hat sich offensichtlich aus dieser »ökonomischen Diskussion« herausgehalten. Jedenfalls ist nicht bekannt, dass das anders gewesen wäre. Das in zweierlei Hinsicht: Zum einen konnte er nur zweifelhafte »Adelswurzeln“ nachweisen, zum anderen gehörte er auch nicht zum privilegierten »Geldadel«, der um seine Pfründe im Zuge der Reformen in Preußen fürchten musste.
Clausewitz hielt nichts von »Verschwörungen«, wie ein Brief an Marie vom 21. Mai 1809 aus Königsberg zeugt. Darin äußert sich Clausewitz zu dem in Königsberg seit 1808 tätigen »Tugend-Bund«, mit dem wir uns später noch befassen werden.
»(…) Ich kenne diese Gesellschaft nicht und habe auch nicht die mindeste Lust, teil an geheimen Verbindungen der Art zu haben, die mir alle zuwider sind; (…)«
(Vergl. »Carl und Marie von Clausewitz«, Briefe,Hg, Otto Heuschele, S. 162)
Clausewitz war sich auch, wie weiter oben schon beschrieben, unsicher, was seinen Adelsstand betraf. Er war sich aber sicher seiner prekären finanziellen Situation bewusst, der er nur mit Mühe langsam entrinnen konnte. Clausewitz‘ ältester Bruder Volmar Carl Friedrich beschrieb 1794 in einem Brief an König FW II., in dem er um Erneuerung des Adels der Clausewitz´ bat, dabei die Geldnot seines Vaters.
»(…) Im Namen meines Vaters und meiner übrigen Geschwister flehe ich daher Ew. Königl. Majestät fußfälligst an, die allerhöchste Gnade zu haben, unseren Adel allergnädigst zu erneuern und die Dokumente darüber, da mein Vater blutarm ist, frei von Stempelgebühren anfertigen zu lassen. (…)«
(Vergl. Bernhard Thüne-Schoenborn »Die Familie Claus(e)witz in Burg 1753 bis 1824 und ihre Vorfahren 1633 bis 1772« Forschungsbericht …. Burg 2020, S. 50)
Thüne-Schoenborn bemerkte dazu:
»(…) Das Gesuch wurde ignoriert. (…)«
(ebenda)
Clausewitz´persönliche finanzielle Lage änderte sich erst, als er sich aus seiner Adjutantenstellung beim Prinzen August lösen und als »wirklicher Capitaine« seine Stellung im »Kriegsministerium« bei Scharnhorst antreten konnte. Am 23. Februar 1809 schreibt er an Marie:
»(…) Mit meinem Avancement ist auch eine sehr erwünschte Verbesserung meines Gehaltes verbunden; ich werde, solange die Abzüge dauern, 900 Taler jährlich haben; hören die Abzüge aber auf, freilich ein Zeitpunkt, der nicht viel besser als imaginär ist, so habe ich 1300 und mit einigen Emolumenten zwischen 1400 und 1500 Taler. (…)«
(Vergl. »Carl und Marie von Clausewitz – Ein Lebensbild in Briefen und Tagebuchblättern«, von Karl Linnebach, Hg. K. Linnebach, Bln. 1916, S. 2149)
Inwieweit Carl von Clausewitz jedoch die Schrift des Staatsrates Johann Gottfried Hoffmann (*1765; †1847) – Mitglied der »Gesetzlosen Gesellschaft zu Berlin« – aus dem Jahr 1809 teilte, ist uns nicht bekannt.
»(…) Der Fabrikunternehmer, der Grundbesitzer ist ein Wucherer […] Der Krämer, der von einem einfältigen Kunden den doppelten Preis nimmt, der Jude, der den Studenten Geld zu Bällen und Schlittenfahrten borgt, ist ein Wucherer (…)«
(Vergl. Hoffmann, Johan Gottfried (*1765 † 1847) Denkschrift das Moratorium betreffend (3. November 1809), in preußische Finanzpolitik 1806 – 1810, Quellen bearbeitet und Hg. durch Schissler & Wehler, Göttingen 1984, S. 489)
Der Jude Hirsch aus Burg, der dem Vater Clausewitz Geld für seinen Hausbau lieh und den Betrag mit 5% verzinste, kann wohl nicht zu den geschmähten jüdischen Wucherern dieser Zeit gezählt werden. Pekuniäre Gründe dürften für Carl von Clausewitz von der Sache her nicht vorgelegen haben, die seine offensichtliche Reserviertheit gegenüber Juden begründen könnten. Gleichwohl, wir werden es im weiteren Verlauf unserer Betrachtung noch sehen: Clausewitz war nicht frei von Ressentiments gegenüber den preußischen Juden.