Teil IX
Das Preußische Offizierskorps am Anfang des 19. Jahrhunderts war mehrheitlich noch geprägt von der friderizianischen Zeit. Dass sich dieser Stand mit den revolutionären Veränderungen im Staatswesen Preußens mehr als schwer tat, liegt in der Logik der Dinge.
Die Folgen des Oktoberedikts von 1807 griffen substantiell in das Adelsgefüge Preußens ein, da sich die traditionelle Standeswirtschaft massiv zu verschieben drohte. Die Gestattung des freien Handels mit Grundbesitz, die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern und der Patrimonialhierarchie rüttelten an den Grundpfeilern der adligen Gesellschaft dieser Zeit. Das aufstrebende Bürgertum eröffnete sich mit Fleiß, Ordnung und Sparsamkeit die Möglichkeit, in die Phalanx des alten Adels einzubrechen. Der Grundbesitz war nicht mehr das entscheidende Kriterium der Macht, sondern der Besitz frei verfügbarer Geldmittel.
Eine besondere Bedrohung sah der Adel im Auftauchen jüdischer Kaufleute in ihren angestammten »Jagdrevieren«, wie wir weiter oben bei Achim von Arnim beobachten konnten. Es lag in der Natur der Dinge, dass der Adel versuchte, sich vom Bürgertum allgemein und vom Judentum besonders abzusetzen. F. W. III. spürte wohl diese Malaise und versuchte, sein eigenes Edikt zu relativieren und durch Formulierungen in seiner ihm eigenen Sprache abzuschwächen:
»(…) niemand seine Ehre gekränkt halten kann (…)«
(Vergl. Kabinettsorder 〈KO〉 vom 3. September 1807, nach Zunkel, Friedrich: Ehre , Hg. Brunner & Otto Bd. 2 S. 37)
Schlagworte wie »ritterliche, höfische, adelige Ehre« begannen an Bedeutung zu verlieren. Die Rolle des Adels als tragende Säule des Staates war in Gefahr, wie Friedrich August von der Marwitz – wir konnten das weiter oben beobachten – wahrscheinlich fürchtete. Im Fahrwasser dieser gesellschaftlichen Erscheinungen haben judenfeindliche Äußerungen aus dem Kreise der damaligen Offiziere der unterschiedlichsten Rangebenen durchaus Gemeinsamkeiten. Die Motive jedes Einzelnen waren in córpore zu betrachten.
»(…) Unter den nachjenaischen Reformen, die den preußischen Staat restaurierten, ist keine so bejubelt und keine so verdammt worden wie das Oktoberedikt von 1807. Schön feierte in ihm die Magna Charta des Staates, während Urjunker Marwitz bissig meinte, alle Ideologen und Philosophanten von der Garonne bis zum Njemen hätten ein Loblied darüber angestimmt. Die eine Ansicht war so übertrieben wie die andere. (…)«
(Vergl. Franz Mehring: Das Oktoberedikt von 1807, 1 .Oktober 1912 in »Die Neue Zeit«, 31. Jg. 1912/13, Bd. 1, S. 46 bis 55.)
Damit zurück zu Carl von Clausewitz, der – wie wir schon festgestellt haben – nicht zur »Gattung Marwitz« gehörte. Gleichwohl ließ auch er sich zu einer bemerkenswerten Äußerung hinreißen, die auf eine wie auch immer zu verstehende judenfeindliche Gemeinsamkeit mit seinen Standesgenossen hinweisen könnte.
Nachdem die Koalitionsarmee die Schlacht auf dem Montmartre am 30. März 1814 östlich von Paris siegreich beendet hatte – es war die letzte des Winterfeldzuges 1814 – schrieb Clausewitz am 11. April 1814 aus Tournan, zwei Tagesmärsche vom Schlachtfeld entfernt, an seine Frau Marie:
»(…) Alle Welt ist erstaunt über den Ausgang der Katastrophe, Bonaparte ist zäh wie ein Jude und ebenso schamlos. Man hat aber im allgemeinen gewiß unrecht, ihm persönlich nicht den letzten Stoß gegeben zu haben. (…)«
(Vergl. »Carl und Marie von Clausewitz« – Briefe, Otto Heuschele, H. Schaufuß-Verlag 1935, S. 236)
Die Alliierten hatten wiederum rund 8.200 Mann an Verwundeten und Gebliebenen zu beklagen. Aus den Worten Clausewitz´sprechen Sorge und Empörung, weil die drei siegreichen Monarchen die Causa Napoléon Bonaparte nicht mit aller Entschiedenheit abschließen wollten. Der Vertrag von Fontainebleau, der am 11. April 1814 Napoléon zur Abdankung zwang, bot – wie die Geschichte dann ein knappes Jahr danach bewies – nicht die Gewähr, Europa von dem »blutigen und unerbittlichen Ungeheuer«, wie E. M. Arndt Bonaparte in seinem Aufruf »An die Preußen« Ende Januar 1813 bezeichnete, endgültig zu befreien.
Das »Ungeheuer« war zwar geschlagen, aber nicht besiegt. Die großzügigen Dotationen für Bonaparte, die Insel Elba und 1.000 Mann Garde, aufgewendet durch die französische Staatskasse, gebaren dann die berühmten »100 Tage« mit der Schlacht bei Waterloo und das Finale für den »Schlachtenlenker«. Dieses Ereignis forderte erneut rund 21.000 tote und verwundete Preußen. Allein in dem unglücklich verlaufenden Treffen bei Ligny – dem letzten Sieg Napoléons – am Vorabend des erbitterten Ringens, verlor Preußen rund 12.000 Mann. Darüber berichtete Gneisenau an Hardenberg am 22. Juni 1815.
»(…) Der Feind wagte nicht zu folgen. Wir hatten 10 – 12 000 Mann an Toten und Verwundeten verloren, Gefangene fast keine. (…)«
(Vergl. »Gneisenau ein Leben in Briefen«, Hg. Dr. Karl Griewank, Köhler & Amelang/Leipzig, S. 322)
Aus den Worten Clausewitz´ hören wir eher Frust und Schwermut als bewusste Judenfeindlichkeit. Umgangssprachlich werden solche Anwürfe »zäh wie ein Jude« wohl auch schon dem jungen Clausewitz, vielleicht an den Wachtfeuern vor Mainz 1793 – wir erinnern uns – begegnet sein. Wir entschuldigen diesen Satz nicht, sondern versuchen ihn situationsbedingt zu verstehen. Auf eine viel bedenklichere Einlassung Clausewitz´, Juden betreffend, werden wir hier später noch einmal zurückkommen.
Der hier schon erwähnte Hermann von Boyen, Clausewitz´Partner in der MRK, äußerte sich sehr dezidiert zum Judentum. Seine Erfahrungen mit Juden waren geprägt durch Erfahrungen, die er im Insurrektionskrieg (1794) gegen Polen mit der Affaire Kościuszko sammeln konnte. Boyen sah das Jahr 1794 als Generaladjutant des Generals F. L. Ferdinand von Wildau (*1726; †1794). Seine Reflexionen über diese Zeit waren geprägt von der damals in Preußen vorherrschenden Meinung über die Polen allgemein und über die polnischen Juden besonders. Verallgemeinert können wir sagen, dass die Denkweise gemeingültig und verhängnisvoll davon ausging, dass Polen Juden und Juden Polen waren.
Über den polnische Nationalhelden Andrzej Tadeusz Bonawentura Kościuszko (*1746; †1817) schrieb Boyen:
»(…) Unstrittig war Kościuszko ein sehr edler Mann, einer von den wenigen Polen, die ohne Nebenabsicht sich der Sache seines zertrümmerten Vaterlandes widmeten; (…)«
(Vergl. »Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Herman von Boyen«, HG D. Schmidt, Brdg. Verlagshaus, Bd.1, S. 46)
Boyen spricht seine Achtung aus, die auf tapfere Kriegsführung Kościuszkos zurück-zuführen ist, äußert aber in gleichem Atemzug Misstrauen über dessen Fähigkeiten. Hier stigmatisiert Boyen in borussischer Art und Weise.
»(…) Je mehr ich über derartige Dinge nachdenken lernte, immer zweifelhafter, ob ihn bei seinen Unternehmungen wirkliches Feldherrentalent und eine klare Absicht seiner Verhältnisse oder die dem polnischen Nationalcharakter eigentümliche Aufwallung […] leitete. (…)«
(Vergl. »Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Herman von Boyen«, Hg. D. Schmidt, Brdg. Verlagshaus, Bd.1, S. 46)
Über die polnische Bevölkerung urteilte von Boyen allgemein voreingenommen und auch abwertend:
»(…) Die Menge wechselseitiger Angeberein, welche uns bei unserem Einrücken in Polen von den Eingeborenen selbst zuströmten, waren ein sicherer Beweis von der geringen Einigkeit und Vaterlandsliebe in diesem zerütteten Land. (…)«
(Vergl. »Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Herman von Boyen«, Hg. D. Schmidt, Brdg. Verlagshaus, Bd. 1, S. 47)
Daneben lesen wir in Boyens Erinnerungen herabsetzende Einschätzungen polnischer Juden, denen er begegnet war:
»(…) die Juden, welche einen bedeutenden Teil der Einwohnerschaft der Städte ausmachten, hielten es aus kluger Politik mit uns als den augenblicklich Stärkeren, und der übrige Teil, der die schlechten Hütten, welche man Städte nannte, bewohnte, stand dem Bauernstand in seinen Gesinnungen und Sitten sehr nahe; einen eigentlichen Bürgersinn, der alle Bewohner eines Ortes verband, gab es nicht. Schon die große Anzahl der Juden, welche durch ihre List und Geldmittel einen bedeutenden Einfluß in der Kommune übten, stand der Einrichtung des Bürgertums entgegen. (…)«
(Vergl. »Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Herman von Boyen«, Hg. D. Schmidt, Brdg. Verlagshaus, Bd. 1, S. 49)
Wir wissen aber, dass Boyen neben Scharnhorst u. a. Mitunterzeichner des Gutachtens über Schrötters Entwurf für das Emanzipationsedikt war. Unter diesen Bedingungen hatte er sich den hardenbergischen Reformen formal gebeugt. In seinen Erinnerungen beschreibt Boyen unter dem 1. August 1835, also runde 23 Jahre nach dem Inkrafttreten des Ediktes, seine damaligen Beweggründe:
»(…) Ein unter dem 11. März 1812 gegebenes Edikt gab den bis dahin im preußischen Staat unter mancherlei Druck stehenden Juden den größten Teil der bürgerlichen Rechte und wurden der Gegenstand eines augenblicklichen Lärmes, den ebenso christliche Vorurteile als christlicher Handelsneid erzeugte. Daß der Zweck des Gesetzes gerecht und also wahrhaft christlich war, bedarf wohl keines weiteren Beweises. Es war indes, da der Gesetzgeber auch die im Volk herrschenden Vorurteile beachten soll, der Sprung vielleicht auf einmal zu groß; doch muß man dabei nicht vergessen, daß der Staat damals unaufhörlich Geld brauchte und daß die Juden bei augenblicklicher Verlegenheit dies noch am besten herbeischaffen konnten; auf diesem Weg wenigstens hat in einer minder beschränkten Zeit Rothschild von beinahe allen christlichen Mächten Ritterorden und Baronien erhalten. (…)«
(Vergl. »Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Herman von Boyen«, Hg. D. Schmidt, Brdg. Verlagshaus, Bd. 1, S. 356 – 357)
Boyen bedient hier in seinen Erinnerungen das typische Bild über die preußischen Juden dieser Zeit, obwohl er die Notwendigkeit des Ediktes formal einräumt. Allerdings erscheint seine Begründung für die Notwendigkeit des Ediktes dann doch wieder stigmatisch unter Verwendung des Begriffs Rothschild, der jedoch im Jahr 1812 noch kein herausragende Name war. Erst zum Zeitpunkt der Niederschrift seiner Erinnerungen spielte Rothschild eine bedeutende Rolle in der deutschen Finanzwelt.
Scharnhorst formulierte das Ziel der »Militärreform« in Preußen, indem er sich mit Gneisenau, Boyen, Grolman und Clausewitz u. a. an der Reform Beteiligten in Einklang befand:
»(…) Der Geist der Armee ist zu erheben, die Armee und Nation inniger zu vereinen, und ihr die Richtung zu ihrer wesentlichen großen Bestimmung zu geben, dies ist das System, welches bei den neuen Einrichtungen zum Grunde liegt. (…)«
(Von Scharnhorst; Private und dienstliche Schriften. Bd. 5 – Leiter der Militärreorganisation (Preußen 1808 bis 1809), S. 677)
Eingangs unterstrichen wir: »Der Lehrer und Freund Clausewitz´, Gerhard David von Scharnhorst, formulierte in zwei Schriften, »Vorläufiger Entwurf der Verfassung der Reservearmee vom August 1807« sowie »Vorläufiger Entwurf zur Verfassung der Provinzialtruppen vom 15. März 1808«, jeweils im §1 der Entwürfe«:
»§ 1 Alle Bewohner des Staates sind geborene Verteidiger desselben.«
Diesen programmatischen Leitsatz versuchen wir hier als Grundlage zu nehmen, um zu beurteilen, inwieweit Scharnhorst sich zu Fragen der Emanzipation der preußischen Juden geäußert oder festgelegt hat.
Soweit wir die Denkschriften Scharnhorsts beurteilen können, sind in keinem Fall Begriffe wie »Jude« oder »jüdisch« oder Bedeutungsgleiches nachweisbar. Auch aus dem dienstlichen und privaten Schriftverkehr ist nichts dergleichen ersichtlich. Offensichtlich hat sich Scharnhorst nicht auf eine Polemik zu dieser Frage eingelassen. Wir können hier vielleicht den geradlinigen Charakter des Mannes erkennen.
In seiner Schrift »Über das Leben und den Charakter von Scharnhorst« formuliert Carl von Clausewitz über »Sein Herz«:
»(…) Scharnhorst war ein höchst lebendig und zart fühlender, ja ein durchaus weicher Mensch, und wenn dieses Vorwalten des Gefühls ihn in seinem öffentlichen Leben nicht zur Schwäche führte, so war es nur Folge der Überlegung und eines künstlich hervorgebrachten gebrachten Gleichgewichts. In der Tiefe des Herzens Gerechtigkeit, Redlichkeit, Unbestechlichkeit; in allen Äußerungen des Umgangs in und außer dem Geschäftsleben Nachsicht und Duldung, Ruhe und Freundlichkeit; (…)«
(Vergl. »Über das Leben und den Charakter von Scharnhorst«, Junker & Dünnhaupt 1935, Hg. E. Kessel, S. 40)
Möglicherweise ist das einer von zwei Gründen der Zurückhaltung Scharnhorsts zu Fragen des Standes der Juden in Preußen.
Auch sein Verhältnis zum Adel – obwohl dort teilweise judenfeindliche Sichten vorherrschten – wirkte sich nicht offen ablehnend auf jüdische Bürger Preußens aus.
»(…) Scharnhorsts persönliche Beziehung zum Adel der Armee und des Gutsbesitzes waren vielfältig. Mit General von Rüchel, dem Clausewitz einen preußischen Trotz „wie eine konzentrierte Säure“ nachsagte, stand er in einem respektablen dienstlichen Konnex, ebenso zuletzt mit dem Eisenfresser Yorck und mit den ostpreußischen Dohnas verbanden ihn familiäre Symphatien. Diese Reihe ließe sich noch weiter fortsetzen und auch auf die Mitglieder des Königshauses ausdehnen. (…)«
(Vergl. »Scharnhorst Geist und Tat« Hg. Siegfried Fiedler Maximilian-Verlag 1963, S. 173)
Der zweite nach unserer Ansicht bedeutendere Grund ist die ausgeprägte Intention Scharnhorsts, die sich zielorientiert auf die Herstellung eines politischen Bündnisses zwischen Regierung und Nation richtete. In dem bereits erwähnten vorläufigen Entwurf zur Verfassung der Provinzialtruppen vom 15. März 1808 lesen wir:
»(…) Es scheint bei der jetzigen Lage der Dinge darauf anzukommen, daß die Nation mit der Regierung aufs Innigste vereinigt werde, […] Dieser Geist kann nicht ohne einige Freiheit in der Herbeischaffung und Zubereitung der Mittel zu Erhaltung der Selbstständigkeit stattfinden. Wer diese Gefühle nicht genießt, kann auf sie keinen Wert legen und nicht für sie aufopfern. (…)«
(Vergl. »Scharnhorst Ausgewählte Schriften« Hg. Usceck & Gudzent, MV DDR, S. 245)
In der Interpretation dürfen wir nicht nur die materielle Seite betrachten, sondern müssen zuvörderst den ideellen Wert des Gelesenen würdigen. Offensichtlich macht Scharnhorst von vornherein keinerlei Unterschiede zwischen Ständen und vor allem zwischen den Religionen. Wir sehen aber auch keine besondere Erwähnung eine Militärpflicht für Juden betreffend. Ebenso fehlt hier eine mögliche Option für jüdische Offiziere. Damit geht Scharnhorst der dann zu erwartenden Opposition im Adel aus dem Weg. Der Absicht Scharnhorsts, dem Bürgertum Eintritt in das Offizierskorps zu ermöglichen, hätte das kontraproduktiv gegenübergestanden. Hier stellte Scharnhorst offensichtlich praktische Notwendigkeit über eventuelle vorhandene Vernunftsgründe. Seine ganz private Meinung ist – wie bereits beschrieben – nicht überliefert.
Allerdings deutet alles darauf hin, dass die Liberalisierung der Religionsfrage bewusst erfolgte. In der Neufassung der »Verordnung wegen der militärischen Strafen«, lt. »Immediatbericht der Militär-Reorganisationskommission« vom 8. Juni 1808, fehlt der Religionsbezug gänzlich. Im Gegensatz dazu finden wir in den 1797 (nach der Französischen Revolution 1789 bis 1799) neu formulierten Kriegsartikeln im Artikel 1 noch den Verweis auf die christliche Sittenlehre und deren Einhaltung als Grundwert für den preußischen Soldaten:
»(…) Ein jeder Soldat muß ein christliches und tugendhaftes Leben führen, die ihm nach seiner Religion obwaltenden Pflichten sorgfältig erfüllen und aller solcher Handlungen, wodurch seine Religion entehret wird, sich gänzlich enthalten. (…)«
(Vergl. »Erläuterungen der Kriegsartikel für die Königlichen Preußischen Unterofficirs und gemeinen Soldaten«, Geheimer Kriegsrath Cavan, Berlin den 20. März 1797)
Der Pragmatiker Scharnhorst erkannte auch, dass ein wirksames System von Belohnungen in der neuen Armee wirken sollte. Seine Kommission forcierte neben Vorschlägen für ideelle und materielle Formen auch die Versorgung der Hinterbliebenen der Soldaten, die ihr Leben gaben. Und erstmals in der preußischen Militärgeschichte sollten die Ehrungen gebliebener Soldaten namentlich in den Kirchen erfolgen. In den Mitschriften über die Beratungen der MRK 1807, die Major Grolmann verfasst hatte, lesen wir:
»(…) In der Kirche jedes Namen , der vor dem Feind geblieben oder an seinen Wunden gestorben ist, mit goldenen Buchstaben aufgezeichnet […] die Frauen dieser Gebliebenen erhalten den ersten Platz. (…)«
(Vergl. »Scharnhorst Soldat • Staatsmann • Erzieher«, Hg R. Höhne, Bernhard & Graefe Verlag, S. 208)
Am 5. Mai 1813, zu Dresden, im Frühjahrsfeldzug des Jahres, wurde die »Verordnung über die Stiftung eines bleibenden Denkmals für die, so im Kampfe für Unabhängigkeit und Vaterland blieben.« in Preußen durch F. W. III. in Kraft gesetzt. Darin lesen wir:
»(…) §. 1. Jeder Krieger, der den Tod für das Vaterland in Ausübung einer Heldenthat findet, die ihm nach dem einstimmigen Zeugnis seiner Vorgesetzten und Kameraden den Orden des eisernen Kreuzes erworben haben würde, soll durch ein auf Kosten des Staats in der Regimentskirche zu errichtendes Denkmal auch nach seinem Tode geehrt werden. […] §. 3. Außerdem soll für Alle, die auf dem Bette der Ehre starben, in jeder Kirche eine Tafel auf Kosten der Gemeinden errichtet werden, mit der Aufschrift: Aus diesem Kirchspiele starben für König und Vaterland; unter dieser Aufschrift werden die Namen aller zu dem Kirchspiel gehörig gewesenen Gefallenen eingeschrieben. Oben an die, welche das eiserne Kreuz erhalten, oder desselben würdig gewesen wären. (…)«
(Vergl. »Der preußische Ordensherold«, F. W. Hoffmann, 1868, Berlin, Mittler Verlag, S. 101)
Auch hier fehlt der ausdrückliche Verweis auf die christlichen Kirchen. Gesprochen wird von »Kirchspielen«. Jüdische Gemeinden in Preußen konnten womöglich dem folgen, wenn die zuständigen Rabbiner von Seiten der Regierung der Provinz dazu die Approbation erhalten hätten. In christlichen Kirchen ließen sich lange Zeit – bis in unsere Tage – noch derartige Gedenktafeln finden:
In jüdischen Synagogen in Preußen, soweit sie nach 1945 noch bestehen, lassen sich Tafeln aus der Zeit der Befreiungskriege schwer finden, obgleich es solche möglicherweise durchaus gegeben haben könnte. In jedem Falle wird das Totengebet »El male rachamim« (Gott voller Erbarmen) für die Kameraden Aarons, die nicht nach Hause zurückgekehrt waren, gesprochen worden sein.
Scharnhorst trat vehement für »gleiche Pflichten und gleiche Rechte aller Staatsbürger« ein. Hier stellte er sich nicht gegen eine Konskriptionspflicht für jüdische Bürger. Forderungen an die Juden wie äußere Anpassung an Sitten und Moden, z. B. das Scheren des Bartes u. Ä. werden wir bei Scharnhorst nicht finden. Sicherlich war aber auch der große Reformer mit einer schrittweisen Amalgamotion, sprich: einer Konversion zum Christentum mit dem Ziel einer vollständigen Gleichstellung der Juden als Bürger Preußens einverstanden. Unnachgiebigkeit erkennen wir jedoch in allen Fragen der Pflichten der zukünftigen Bürger Preußens, ohne Rücksicht auf Stand und Herkunft. Scharf verurteilte Scharnhorst die vorherrschende Praxis des »Freikaufens« vom Militärdienst. In einer Beilage zu einem Bericht vom 22. November 1810 über die »Unzulässigkeit der Stellvertreter« lesen wir:
»(…) Es ist ohne Zweifel eine harte Sache für die gebildete Klasse, welche keinen Stellvertreter stellen kann, […] sehen müssen, daß der reichere ungebildete Bauer, Wirth, Pächter, Bäcker, Brauer, Krämer, Wucherer usw. einen Stellvertreter von der schlechtesten Herkunft, neben ihrem Mitglied, neben ihren Söhnen und Geschwistern stellt. (…)«
(Vergl. Scharnhorst über die »Unzulänglichkeit der Stellvertreter« in »Scharnhorst ausgewählte militärische Schriften«, Hg. Usczeck & Gudzent, MV, 1986, S. 304)
Wir stoßen hier auf den Begriff des »Wucherers«, der gemeinhin für den jüdischen Kaufmann in Preußen verwendet wurde. Ob jedoch Scharnhorst hier diesen Begriff als Paraphrase dafür gemeint haben wollte, wissen wir nicht. Gleichwohl bot der Begriff an sich durchaus den Vorwand für unabsichtliches oder gar gewolltes Missverständnis. Hier, so ist anzunehmen, dürfte Carl von Clausewitz in den zentralen Punkten rezipiert haben.
Scharnhorst diente Preußen, obwohl er – geboren im Hannoverschen Bordenau – ein »Ausländer« war, mit voller Hingabe. Seine in der Schlacht bei Großgörschen erhaltene Wunde veranlasste ihn nicht, sich zu schonen. Sein Auftrag, Österreich zur aktiven Teilnahme zum Kampf gegen Napoléon zu bewegen, war ihm Verpflichtung. Er starb am 28. Juni 1813 am Wundfieber.
Scharnhorst war der »Leuchtturm« in der preußischen Militärgeschichte. Sein Schüler Carl von Clausewitz schrieb:
»(…) Was ich über die Führung des Krieges im Jahr 1813 von ihm gehört, was ich bei Görschen auf dem Schlachtfelde von ihm gesehen, hat mich in dieser Meinung nur befestigt, und ich bezweifle es keinen Augenblick, daß, wenn es ihm gelungen wäre, den Befehl über ein großes Heer zu erringen, wie es ihm gelungen war, sich an die Spitze des preußischen Kriegsstaates zu stellen, er in jener Laufbahn die Welt ebenso in Erstaunen gesetzt haben würde wie in dieser. (…)«
(Vergl. »Über das Leben und den Charakter von Scharnhorst«, Junker & Dünnhaupt 1935, Hg. E. Kessel, S. 47)