Teil 5
Zweifelsohne wirken sich die realen Verluste auf die Moral der beiden Seiten aus, was dem Leser verständlich sein wird. Letztendlich kommen wir in der Betrachtung des Themas zum Kern der Clausewitzchen Kriegstheorie, die natürlich auch bei der Analyse des Wesens des »hybriden Krieges« hilfreich sein wird:
»Der Krieg ist also nicht nur ein wahres Chamäleon, weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas ändert, sondern er ist auch seinen Gesamterscheinungen nach in Beziehung auf die in ihm herrschenden Tendenzen eine wunderliche Dreifaltigkeit, zusammengesetzt aus der ursprünglichen Gewaltsamkeit seines Elementes, dem Haß und der Feindschaft, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen sind, aus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls, die ihn zu einer freien Seelentätigkeit machen, und aus der untergeordneten Natur eines politischen Werkzeuges, wodurch er dem bloßen Verstande anheim fällt.«15
Clausewitz betrachtet also den Krieg als ein aus Elementen zusammengesetztes Ganzes:
– dem Hass und der Leidenschaft;
– Wahrscheinlichkeiten und Zufall;
– Verstand.
Die ihrerseits wiederum in ihrer wechselnden Intensität der
– Regierung;
– dem Heer;
– der Regierung;
zugeordnet werden können.
In der Gegenwart sehen wir, dass diese Tendenzen, vor allem die Elemente Hass und Leidenschaft im Interesse der hybriden Kriegsführung sehr schnell durch moderne Medien einem verheerenden Hype zugeführt werden können.
Das nehmen wir in Europa deutlich in den Fragen der Migration war, wo zunehmend Hass durch Propaganda, Desinformation und Cyberwar erzeugt wird. So wie 2016 im Falle eines angeblich verschwundenen russischstämmigen Mädchens mit Namen Lisa, wo insbesondere der Sender RT-Deutschland aus Russland Falschnachrichten verbreitete, die zu Protesten in der Bevölkerung führten und sogar diplomatische Kreise Russlands aktiv wurden.
Gegenwärtig nehmen wir hybride Kriegsführungen sichtbar in der Ukraine und im Nahen Osten wahr, wo vor allem der »Islamische Staat« ein Beispiel an dieser besonderen Kriegsführung liefert.
Während noch auf der Krim und im Donbass die russische Seite eigene Involvierung lange Zeit abstritt, bevor vollendete Tatsachen geschaffen waren, erleben wir mit dem »Islamischen Staat« und seinen Ablegern eine andere Taktik. Letztere verüben beispiellose Verbrechen an Menschen und stellen diese als Mittel der Abschreckung offensiv öffentlich dar.
Ein ganz besonderer Teil der »hybriden Kriegsführung« ist der sog. Cyberwar. Oder anders bezeichnet, der »funktelektronische Kampf« bzw. der »kybernetische Krieg«.
Dieser Teil stellt gegenwärtig die Spitze der Evolution des Krieges dar.
Bei Clausewitz finden wir dazu:
»Mit dem Wort Nachrichten bezeichnen wir die ganze Kenntnis, welche man vom Feinde und seinem Lande hat, also die Grundlage aller seiner Ideen und Handlungen.
Man betrachte einmal die Natur dieser Grundlage, ihre Unzuverlässigkeit und Wandelbarkeit, und man wird bald Gefühl haben, wie gefährlich das Gebäude des Krieges ist, wie leicht es zusammenstürzen und uns unter seinen Trümmern begraben kann. – Denn daß man nur sicheren Nachrichten trauen solle, daß man das Mißtrauen nie von sich lassen müsse, steht wohl in allen Büchern, . …«16
Erstaunt stellen wir fest, wie aktuell uns das sechste Kapitel des ersten Buches »Vom Kriege« vorkommt. Geschrieben zu einer Zeit, wo es außer optischer Telegraphen noch keine technischen Nachrichtenmittel gab. Die hauptsächlichsten Nachrichtenmittel waren vor rund 200 Jahren der laufende und der reitende Bote, die Gazetten sowie Briefe:
»Ein großer Teil der Nachrichten, die man im Kriege bekommt, ist widersprechend, ein noch größerer ist falsch und bei weitem der größte einer ziemlichen Ungewißheit unterworfen«17
Und natürlich wurden auch zu Zeiten vor und nach Clausewitz´Nachrichten mit der Absicht verfälscht, den Gegner in die Irre zu führen. Die Historie der Falschnachrichten ist lang. Der Begriff »Fake News« ist also in seiner Genesis an sich keine neue Erscheinung. Heute jedoch im, »postfaktischen Zeitalter«,* erleben wir die Transformation gefälschter Nachrichten und deren Bekämpfung zu einer mächtigen Waffe und zu einer eigenständigen Kampfmethode in der »hybriden Kriegsführung«. Dieser Krieg spielt sich u. a. im »Cyberspace« * ab.
In der Bundeswehr z. B. entwickelt sich daher derzeit ein Organisationsbereich »Cyber- und Informationsraum« zu einer eigenständigen Waffengattung, neben Heer, Luftwaffe und Marine.
Clausewitz beschäftigte sich mit der besonderen Wichtigkeit der Nachrichten im Kriege, im Kapitel Sechs des ersten Buches in »Vom Kriege« sehr kurz und knapp – jedoch frappierend modern – mit der Analyse über die Nachrichten. Er kommt zu dem Schluss:
»Mit kurzen Worten: die meisten Nachrichten sind falsch, und die Furchtsamkeit der Menschen wird zur neuen Kraft der Lüge und der Unwahrheit«18
Der gegenwärtige »funkelektronische Kampf«, fester Bestandteil des »hybriden Krieges«, wirkt vornehmlich technisch aber auch auf das Bewusstsein des Menschen, täuscht ihn in seiner Wahrnehmung und kann so nahezu all seine technischen, vor allem waffentechnischen Möglichkeiten teilweise oder vollständig außer Gefecht setzen.
»Diese Schwierigkeit richtig zu sehen, welche eine der allergrößten Friktionen im Kriege ausmacht, läßt die Dinge ganz anders erscheinen, als man sie gedacht hat.«19
Somit setzt Clausewitz seine Exegese, die Nachrichten betreffend, prägnant fort und bezeichnet diese als »allgrößte Friktion«.
Quelle: »Weißbuch 2016« zur Sicherheitspolitik
15Carl von Clausewitz, „Vom Kriege“, Verlag MfNV Bln., 1957, S. 36
16ebenda S. 77
17ebenda S. 77
18ebenda S. 77
19ebenda S. 78