Teil I

Aus­zug der ost­preu­ßi­schen Land­wehr nach der Ein­seg­nung in einer Kir­che in Königs­berg 1813

Wir sehen hier ein Gemäl­de des deut­schen Malers Gus­tav Graf (*14. Dezem­ber 1821 in Königs­berg; †6. Janu­ar 1895 in Ber­lin) aus dem Jah­re 1860 mit dem Titel »Aus­zug der ost­preu­ßi­schen Land­wehr nach der Ein­seg­nung in einer Kir­che in Königs­berg 1813«.

Hin­ter die­sem Motiv ver­birgt sich eine außer­or­dent­lich inter­es­san­te Geschich­te, mit der wir uns hier beschäf­ti­gen wol­len. Dabei wäre auch zu unter­su­chen, wel­chen Bezug wir zum The­ma fin­den können.

Zunächst jedoch zum Bild selbst.

Wir sehen Offi­zie­re und Land­wehr­män­ner unter dem Jubel der Bür­ger Königs­bergs aus der Kir­che schrei­ten, in der sie gera­de für den Kampf ein­ge­seg­net wur­den, bevor sie ins Feld zie­hen. Da die Män­ner aus einer Kir­che kom­men, kön­nen wir davon aus­ge­hen, dass es sich um Chris­ten han­delt, die soeben durch einen Pfar­rer ein­ge­schwo­ren wur­den. Auf dem Vor­platz und in den umlie­gen­den Häu­sern jubeln die Men­schen den Land­wehr­män­nern zu und tei­len so die dama­li­ge offen­sicht­li­che patrio­ti­sche Eupho­rie, die im Früh­jahr 1813 in Preu­ßen über­wie­gend herrschte.

Wir sehen aber auch fra­gen­de Bli­cke, die gro­ße Sor­ge um Gesund­heit und Leben der vor Stolz und Kraft strot­zen­den Män­ner aus­drü­cken. So man­cher wird nicht wie­der in die Hei­mat zurück­keh­ren, ahnen die drei Per­so­nen links im Vor­der­grund des Bil­des. Leid und Trau­er ste­hen der Begeis­te­rung schon gegenüber.

Wäh­rend das Gros der Bewaff­ne­ten die Trep­pe der Kir­che ziel­ge­rich­tet her­ab­schrei­tet, sehen wir am rech­ten Rand einen jun­gen jüdi­schen Land­wehr­mann, der sei­nen fei­nen Geh­rock in eine Litew­ka ver­wan­delt hat, eine Mus­ke­te schul­tert und den Brot­beu­tel an der Sei­te trägt. Er strebt den Kame­ra­den zu. Die Müt­ze mit dem ost­preu­ßi­schen roten Müt­zen­band und dem Land­wehr­kreuz trägt er auf dem Kopf. Auch sein Kreuz zeigt sicher­lich die Inschrift

»Mit Gott für König und Vaterland«!?

Quel­le: Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­mein­de Lengerich

Aber er hat­te sei­nen Gott, an den er glaubte!

Wir nen­nen ihn »Aaron«, um ihn anspre­chen zu kön­nen. Aaron betritt die Sze­ne von der rech­ten Sei­te her, aus dem Dunk­len ins Licht. Die Gebe­te sei­nes Vaters und das Weh­kla­gen der Mut­ter beglei­ten ihn. Der Vater Aarons in tra­di­tio­nel­ler jüdi­scher Klei­dung mit Bart. Bei­de, Vater und Mut­ter, möch­ten den Sohn zurück­hal­ten, denn bis zum Jahr 1813 war es nicht üblich, dass jun­ge jüdi­sche Men­schen den Staat, in dem sie leb­ten, mit der Waf­fe ver­tei­di­gen sollten.

Aaron mel­de­te sich frei­wil­lig zum Dienst in der Land­wehr, denn im Jahr 1813 gab es noch kei­ne Wehr­pflicht für Juden in Preu­ßen. »Frei­wil­li­ger«, das wur­de mög­lich mit dem »Edikt betref­fend die bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­se der Juden in dem Preu­ßi­schen Staa­te« vom 11. März 1812. In der Prä­am­bel hieß es:

»(…) Wir Fried­rich Wil­helm von Got­tes Gna­den König von Preu­ßen ect.ect.ect. Haben beschlos­sen, den jüdi­schen Glau­bens­ge­nos­sen in unse­rer Mon­ar­chie eine neue, der all­ge­mei­nen Wohl­fahrt ange­mes­se­ne Ver­fas­sung zu ertei­len, erklä­ren […] wie folgt:

§1. Die in unsern Staa­ten jetzt wohn­haf­ten, mit Gene­ral­pri­vi­le­gi­en, Natu­ra­li­sa­ti­ons­pa­ten­ten, Schutz­brie­fen und Kon­ces­sio­nen ver­se­he­nen Juden und deren Fami­li­en sind für Ein­län­der und preu­ßi­sche Staats­bür­ger zu achten.

§16. Der Mili­tär­kon­scrip­ti­on oder Kan­tons­pflich­tig­keit, und den damit in Ver­bin­dung ste­hen­den beson­de­ren gesetz­li­chen Vor­schrif­ten sind die ein­län­di­schen Juden gleich­falls unterworfen. (…)«
(Vergl. his​tox​.de/​w​p​-​c​o​n​t​e​n​t​/​f​i​l​e​s​/​1​812 – 03-11N_Edikt_bürgerliche_Verhältnisse_der_Juden.pdf)

In 39 Arti­keln ver­sus Para­gra­phen wur­den das jüdi­sche Leben sowie die Rech­te und Pflich­ten in Preu­ßen neu gere­gelt. Damit wur­de das alte, noch von Fried­rich II. erlas­se­ne »Revi­dier­te General-​Privileg« von 1750 abgelöst.

Erst im Jah­re 1814 wur­den dann jüdi­sche Män­ner als Mili­tär­pflich­ti­ge aus­ge­ho­ben. Die Grund­la­ge dafür bil­de­te das »Gesetz über die Ver­pflich­tung zum Kriegs­diens­te« vom 3. Sep­tem­ber 1814. Dem­nach soll­ten alle jun­gen Män­ner Preu­ßens, ein­schließ­lich der jüdi­schen, im Alter von 17 bis 24 Jah­ren zur Rekru­tie­rung gezo­gen werden.
(Vergl. Phil­lip­son Mar­tin: »Die jüdi­schen Frei­wil­li­gen im preu­ßi­schen Hee­re wäh­rend der Befrei­ungs­krie­ge 1813/​1814« in »Dem deut­schen Reich«, Juli/​August 1906)

In der Prä­am­bel die­ses Geset­zes hieß es:

»(…) Die all­ge­mei­nen Anstren­gun­gen Unsers treu­en Vol­kes ohne Aus­nah­me und Unter­schied, hat in dem so eben glück­lich been­de­ten Krie­ge 〈Kam­pa­gne 1813 ange­merkt durch Autor〉, die Befrei­ung des Vater­lan­des bewirkt, (…)«

Der Hin­ter­grund war auch, dass sich jüdi­sche Frei­wil­li­ge im Jahr 1813 ent­ge­gen vie­ler Beden­ken der Militär-​Gouvernements bewährt hat­ten. Es lagen Berich­te über »mann­haf­tes und aus­ge­zeich­ne­tes« Ver­hal­ten vor. So spra­chen sich der Gene­ral L´Estocq und der Staats­rat Sack dafür aus:

»(…) ob nicht die Jüng­lin­ge des jüdi­schen Glau­bens von 17 bis 24 Jah­ren mit zur Rekru­tie­rung gezo­gen wer­den können (…)«
(Vergl. »Juden­tum, Staat und Heer in Preu­ßen« im frü­hen 19. Jahr­hun­dert, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübin­gen, 1968, S. 33)

Die Anzahl der jüdi­schen Sol­da­ten, die in den Befrei­ungs­krie­gen im Feld waren, ist in den Quel­len unter­schied­lich dar­ge­stellt. Bis 1815, so Fischer, dien­ten 731 jüdi­sche Sol­da­ten in der Land­wehr, der Kaval­le­rie, in den Jäger­ba­tail­lo­nen und der Artil­le­rie. Im Ver­lau­fe der Dar­le­gun­gen wer­den wir noch ein­mal auf die­se Zah­len und bemer­kens­wer­te Per­so­na­li­en zurückkommen.

Das, was sich in Preu­ßen in den Jah­ren nach der kata­stro­pha­len Nie­der­la­ge von 1806 gegen Napo­lé­on bis zu den Jah­ren 1813 bis 1815 ereig­ne­te, war ein kom­pli­zier­ter gesell­schafts­po­li­ti­scher Pro­zess. Die Grund­la­ge dafür fin­den wir in den Preu­ßi­schen Refor­men von 1807 bis 1811. Die dama­li­gen füh­ren­den Refor­mer – Frei­herr vom und zum Stein, von Har­den­berg, von Scharn­horst, von Gnei­se­nau und Wil­helm von Hum­boldt – trie­ben gegen vie­le Wider­stän­de einen gan­zen Kom­plex von Refor­men vor­an. Eine davon war »Die Juden­eman­zi­pa­ti­on«, mit der wir uns hier in unse­rem Text befas­sen wol­len. Beson­ders jedoch wol­len wir unter­su­chen, wel­che Rol­le dabei preu­ßi­sche Offi­zie­re spiel­ten und ob eine Bezug zu Carl von Clau­se­witz her­ge­stellt wer­den kann.

Was war in Preu­ßen wäh­rend des Über­gangs vom 18. zum 19. Jahr­hun­dert unter Eman­zi­pa­ti­on all­ge­mein zu verstehen?

For­mal ent­springt der Begriff »Eman­zi­pa­ti­on« der römi­schen Rechts­ge­schich­te (lat. eman­ci­pa­tio) und bedeu­te­te so viel wie »Ent­las­sung des Soh­nes aus der väter­li­chen Gewalt«. Stellt also einen Rechts­akt dar, der »Frei­las­sung oder Befrei­ung« bedeu­ten konn­te. Wenn wir so wol­len, war unter der Juden­eman­zi­pa­ti­on die Befrei­ung der jüdi­schen Bür­ger Preu­ßens von den alten fri­de­ri­zia­ni­schen Juden­edik­ten zu ver­ste­hen. Die Edik­te Fried­rich des II. schränk­ten bür­ger­li­che, vor allem aber öko­no­mi­sche Rech­te jüdi­scher Bür­ger ein. Gleich­zei­tig sorg­te die­ses Regu­la­ri­um aber dafür, dass die­se Bür­ger zu hohen Abga­ben an den Staat ver­pflich­tet wur­den. Der Ein­tritt in die preu­ßi­sche Stän­de­wirt­schaft war ihnen ver­wehrt, und sie wur­den durch das Bür­ger­tum als wirt­schaft­li­che Kon­kur­ren­ten gese­hen. Das war neben den Glau­bens­fra­gen einer der Grund­kon­flik­te, die zu befrie­den waren.

Ange­sichts der epo­cha­len Ereig­nis­se des Jah­res 1798, als der Atem der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on durch Euro­pa feg­te, konn­te auch in Preu­ßen nichts mehr so blei­ben, wie es war. Das Ban­ner »Liber­té, Ega­li­té, Fra­ter­ni­té« wirk­te auch in Preu­ßen auf das Bewusst­sein, für glei­che Rech­te und Pflich­ten aller Bür­ger des Lan­des ein­zu­tre­ten. Die Ero­si­on fri­de­ri­zia­ni­scher Geis­tes­hal­tung hat­te allent­hal­ben vor allem in den gebil­de­ten Krei­sen begon­nen. Die fran­zö­si­schen Ereig­nis­se waren hier »Brand­be­schleu­ni­ger«, gegen die sich kon­ser­va­ti­ve Ver­tre­ter des Hofes und des Adels vor­erst noch weh­ren konnten.

Quel­le: le tró­ne et lónel-blogger

Einer der ers­ten Ver­tre­ter der dama­li­gen Gesell­schaft, Staats­rat Johann Hein­rich Schmed­ding (*1774; †1846), ließ den Begriff der Eman­zi­pa­ti­on in die Erör­te­run­gen über die Auf­he­bung des fri­de­ri­zia­ni­schen Juden­edikts ein­flie­ßen, als er sich über den Schröt­ter­schen Ent­wurf »Über die bür­ger­li­chen Ver­hält­nis­se der Juden in Preu­ßen«(1808) äußerte.

Fried­rich Leo­pold Reichs­frei­herr von Schröt­ter (*1743; †1815) Quel­le: Wikipedia)

Reichs­frei­herr von Schröt­ter ent­stamm­te dem ost­preu­ßi­schen Adel, war Offi­zier und spä­ter Minis­ter in der Imme­diat­kom­mis­si­on 1807/​08 und zusam­men mit von und zum Stein (*1757; †1831) Weg­be­rei­ter der Preu­ßi­schen Reformen.

Im o. g. Schröt­ter­schen Ent­wurf war zu dem Zeit­punkt um 1808 jedoch noch die Skep­sis zu erken­nen, die in der Gesell­schaft vor­herrsch­te, und beson­ders auf das Wirt­schafts­le­ben bezo­gen war. Viel­fach wur­de eine ange­dach­te Eman­zi­pa­ti­on als »sich unge­bühr­li­che Frei­heit anma­ßen« betrach­tet. Haupt­geg­ner ist die alte Stän­de­ge­sell­schaft, wel­che die Kon­kur­renz durch jüdi­scher Kauf­leu­te fürch­te­te. Begrif­fe wie Juden und Nicht­ju­den, jüdisch und christ­lich wur­den in der poli­ti­schen Pole­mik gebraucht.
(Vergl. Freund, Eman­zi­pa­ti­on Bd. 2, S. 228 bis 244)

Essen­zi­ell jedoch stan­den in den theo­re­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen Glau­bens­fra­gen zur Debat­te, bevor das bereits erwähn­te »Eman­zi­pa­ti­ons­edikt« vom 11.03.1812 in Kraft tre­ten konn­te. Mit die­sem Gesetz wur­den die Juden Preu­ßens mehr oder weni­ger gleich­be­rech­tig­te Staats­bür­ger. Das Edikt konn­te nur im Rah­men der ande­ren Refor­men wirk­sam werden.

Die Agrar­re­form (Okto­ber­edikt 09.10.1807), auch soge­nann­te »Bau­ern­be­frei­ung«.
Die Städ­te­re­form (19.11.1808) gewährt das Recht auf Selbstverwaltung.

Die Kabi­netts­re­form  (24.11.1808) führ­te fünf Minis­ter (Inne­res, Äuße­res, Finan­zen, Jus­tiz und Krieg) ein.
Die Gewer­be­re­form hob in Preu­ßen den Zunft­zwang auf.
Die Bil­dungs­re­form 
(1808) ver­folg­te das Ziel einer huma­nis­ti­schen Bil­dung und Erzie­hung aller Preu­ßen ohne Unter­schied der Klas­sen und Religionen.
Die
Hee­res­re­form ver­folg­te neben not­wen­di­gen struk­tu­rel­len und tak­ti­schen Ver­än­de­run­gen das Ziel, eine natio­na­le Armee zu schaf­fen, in der das Bür­ger­tum vor allem über die »Land­wehr« zur Gel­tung kom­men sollte.

Die Juden­eman­zi­pa­ti­on (1812), in der Juden for­mal die Staats­bür­ger­schaft zuer­kannt wurde.

An die­ser Stel­le schon ein Wort zu Carl von Clau­se­witz (*1. Juli 1780; †16. Novem­ber 1831).

Das Motiv unse­res Gemäl­des und das Auf­tau­chen unse­res neu­en Bekann­ten Aaron ist die direk­te Fol­ge der Mili­tär­re­form, für die sich neben v. Scharn­horst (*1755; †1813) v. Gnei­se­nau (*1760; †1831), von Grol­man (*1777; †1843), von Boy­en (*1771; †1848) auch Carl von Clau­se­witz einsetzte.

Clau­se­witz erleb­te als Gefrei­ten­kor­po­ral und Fah­nen­jun­ker durch sei­ne Teil­nah­me am Rhein­feld­zug 1793 gegen das revo­lu­tio­nä­re Frank­reich die sich ver­än­der­te Fecht­art der frei­en Fran­zo­sen. Er wur­de Zeu­ge der schwe­ren Nie­der­la­ge der Preu­ßi­schen Armee 1806 bei Jena und Auer­stedt. Die­se Schlüs­sel­er­leb­nis­se leg­ten den Grund­stein für sein spä­te­res mili­tär­theo­re­ti­sches und phi­lo­so­phi­sches Schaf­fen. Sowohl in sei­nen Schrif­ten als auch im Haupt­werk »Vom Krie­ge« befass­te er sich mit der Rol­le der »Volks­mas­sen« in einem zukünf­ti­gen Krieg gegen Napo­lé­on, den er für unaus­weich­lich ansah. Clau­se­witz betrach­te­te die schwe­re Nie­der­la­ge des Preu­ßi­schen Staa­tes auch als eine poli­ti­sche. Erschüt­tert schrieb Clau­se­witz am 9. Janu­ar 1807 – auf dem Weg in fran­zö­si­sche Gefan­gen­schaft – aus Frank­furt am Main an sei­ne Braut Marie:

»(…) Ver­waist irren wir Kin­der eines ver­lo­re­nen Vater­lan­des umher und der Glanz des Staa­tes, den wir bil­den hal­fen, ist erloschen (…)«.
(Vergl. »Karl und Marie von Clau­se­witz – Ein Lebens­bild in Brie­fen und Tage­buch­blät­tern« von Karl Lin­ne­bach, S. 79)

Clau­se­witz begriff ange­sichts die­ses his­to­ri­schen Dra­mas, dass es auf die Erhe­bung der Nati­on ankom­men würde.

Im Nord­park Mag­de­burgs, einem lan­ge schon auf­ge­las­se­nen städ­ti­schen Fried­hof, steht ein bemer­kens­wer­tes Denk­mal für Graf Laza­re Nico­las Mar­gue­ri­te Car­not (*1753; †1823), der aus der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on her­vor­ge­gan­gen, als repu­bli­ka­ni­scher fran­zö­si­scher Patri­ot, Minis­ter und Gene­ral, Mathe­ma­ti­ker sowie Fes­tungs­bau­er nach dem Sturz Napo­lé­ons nach Mag­de­burg emi­grier­te und hier auch begra­ben wurde.

Quel­le: Mag­de­burg Kom­pakt 01.09.2018


Graf Car­not brach­te die Dekla­ra­ti­on der »Levée en mas­se« (frz. für »Mas­sen­aus­he­bung«) unter dem Ein­druck schwe­rer Nie­der­la­gen der jun­gen fran­zö­si­schen Armee gegen die Koali­ti­ons­trup­pen in den Wohl­fahrts­aus­schuss Frank­reichs ein, die dann am 23. August 1793 im Natio­nal­kon­vent ver­ab­schie­det wurde.

Danach soll­ten

»(…) von die­sem Moment an und bis alle Fein­de vom Ter­ri­to­ri­um der Fran­zö­si­schen Repu­blik ver­trie­ben sind, alle fran­zö­si­schen Per­so­nen in stän­di­ge Bereit­schaft für den Dienst in der Armee ver­setzt wer­den. Die jun­gen Män­ner wer­den in den Kampf zie­hen, ver­hei­ra­te­te Män­ner wer­den Waf­fen schmie­den und Vor­rä­te trans­por­tie­ren; Frau­en wer­den Zel­te und Klei­dung nähen und in den Hos­pi­tä­lern die­nen; Kin­der wer­den alte Wäsche auf­tren­nen; alte Män­ner wer­den an öffent­li­che Plät­ze ver­bracht, um den Mut der Krie­ger zu erwe­cken und den Hass auf die Köni­ge zu pre­di­gen und ande­rer­seits die Ein­heit der Republik. (…)«
(Vergl. leg-ego.eu/…/ambrogio-a-caiani-levée-en-masse)

Die Idee, die For­de­rung Car­not´ war sinn­ge­mäß: »Agir tou­jours en mas­se«in Mas­sen han­deln, kei­ne Manö­ver mehr, kei­ne Kriegs­kunst, son­dern Feu­er, Stahl und Vaterlandsliebe«
(Vergl. M. Howard »Krieg in der euro­päi­schen Geschich­te: vom Mit­tel­al­ter bis …«, S. 114)

Clau­se­witz erkann­te unter dem Ein­fluss Scharn­horsts die gewal­ti­ge Kraft einer zu den Waf­fen geru­fe­nen Nati­on und kam fol­ge­rich­tig zu dem Schluss, dass das Ziel aller Refor­men der »sol­dat citoy­en«, der »Bür­ger­sol­dat«, ver­sus der Staats­bür­ger in Uni­form sein müs­se. Für Preu­ßen sah er hier die »Land­wehr und den Land­sturm« als poli­ti­sches und mili­tä­ri­sches Mit­tel einer Volks­be­waff­nung im Inter­es­se der Landesverteidigung.

In der Fol­ge der »Kon­ven­ti­on von Tau­rog­gen«(30. Dezem­ber 1812), an deren Abschluss Clau­se­witz maß­geb­lich betei­ligt war, for­cier­te Gene­ral Yorck (*1759; †1830) auf Ver­an­las­sung Steins nach dem 22. Janu­ar 1813 die Auf­stel­lung einer Ost­preu­ßi­schen Land­wehr. Die von Clau­se­witz, Graf Doh­na und Frei­herr von Dörn­berg aus­ge­ar­bei­te­ten Ent­wür­fe einer »Landsturm- und Land­wehr­ord­nung« wur­den unter dem 5. Febru­ar 1813 im Land­tag in Königs­berg durch Yorck vor­ge­tra­gen und dar­auf fol­gend geneh­migt. In den Tagen nach die­sem denk­wür­di­gen Datum tra­ten rund 13.000 Mann als Reser­ve, 20.000 Mann Land­wehr und 750 Mann zu Pfer­de frei­wil­lig unter Gewehr. Sie bil­de­ten die Reser­ve Yorcks.
(Vergl. Karl Lam­precht »Deut­sche Geschich­te Neu­es­te Zeit« – Zwei­ter Band; Reprint 1907; S. 407)

Nahe­zu zeit­gleich erschien Ernst Moritz Arndts Flug­schrift, »Was bedeu­tet Land­wehr und Land­sturm«, wel­che sich schnell größ­ter Reso­nanz erfreu­te. Dabei pro­pa­gier­te jener Arndt Zeit sei­nes Lebens ein deut­lich ableh­nen­des Ver­hält­nis zum Juden­tum an sich. In der Flug­schrift jedoch wen­det er sich an »Teut­sche Lands­leu­te!« und ruft:

»(…) Ihr habt das Bei­spiel. Spa­ni­en und Russ­land gin­gen euch im Volks­krie­ge vor­an, sie brauch­ten alle Kräf­te gegen die tücki­schen Fein­de […] Auf denn alle! Auf in Einmütigkeit, (…)«
(Quel­le: »Flug­schrif­ten« Reprint aus dem VDN)

Gene­ral Yorck vor dem Ost­preu­ßi­schen Land­tag Quel­le Wikipedia


Der Leh­rer und Freund Clau­se­witz´, Ger­hard David von Scharn­horst (*1755; †1813), for­mu­lier­te in zwei Schrif­ten, »Vor­läu­fi­ger Ent­wurf der Ver­fas­sung der Reser­ve­ar­mee vom August 1807« und »Vor­läu­fi­ger Ent­wurf zur Ver­fas­sung der Pro­vin­zi­al­trup­pen vom 15. März 1808«, jeweils im § 1 der Entwürfe:

»§ 1 Alle Bewoh­ner des Staa­tes sind gebo­re­ne Ver­tei­di­ger desselben.«

Bei­de Ent­wür­fe for­der­ten prak­tisch »die all­ge­mei­ne Wehr­pflicht«, was Gleich­heit aller vor dem Gesetz bedeu­tet hätte.
(Vergl. Scharn­horst, »Aus­ge­wähl­te mili­tä­ri­sche Schrif­ten«, Mili­tär­ver­lag DDR, Uscek/​Gudzent, S. 236 ff. und S. 243 ff.)

Hier schließt sich zunächst der Kreis um unse­ren Land­wehr­mann Aaron, der sich in Königs­berg frei­wil­lig der Ost­preu­ßi­schen Land­wehr anschloss. Wie es ihm ergan­gen ist, wir wis­sen es nicht, aber gegen Ende unse­rer Réd­ac­tion sehen wir ihn wie­der. Aus den Quel­len über die­se Zeit kön­nen wir vie­les erfah­ren. Wir lesen zum Bei­spiel, dass die jüdi­schen Män­ner in Ein­satz und Tap­fer­keit ihren christ­li­chen Kame­ra­den nicht nach stan­den. Allein in der Schlacht von Belle-​Aliance fie­len 55 jüdi­sche Artilleristen.
(Vergl. »Eiser­nes Kreuz und David­stern«, M. Ber­ger, S. 36)

»(…) Im Gan­zen haben wäh­rend der Feld­zü­ge 1813, 1814, und 1815 nicht weni­ger als 71 Juden das Eiser­ne Kreuz für Kom­bat­tan­ten, vier den rus­si­schen St. Georgs­or­den, vier das Mili­tär­ab­zei­chen erhalten (…)«
(»Im Deut­schen Reich«, »Zeit­schrift des Zen­tral­ver­eins deut­scher Staats­bür­ger jüdi­schen Glau­bens«, XII. Jahrg. Ber­lin, Prof. Dr. Mar­tin Phil­ipp­son, Juli/​August 1906, Nr.7/8, S. 412)

»(…) Zu Unter­of­fi­zie­ren bez. Ober­jä­gern und Tam­bur­ma­jors wur­den 21 Juden, zum Por­te­peefähn­rich 1, zu Sekon­de­leut­nants 19, zu Pre­mier­leut­nants 3 beför­dert – […] Ein jüdi­scher Arzt wur­de Regimentsarzt (…)«.
(eben­da S. 413)

Auf wei­te­re bemer­kens­wer­te Bei­spie­le wer­den wir spä­ter noch zurück­kom­men. Dabei wider­spre­chen sich in ver­schie­de­nen Quel­len die Zahlenangaben.

Eisernes Kreuz
Eisernes-​Kreuz

Unser Carl von Clau­se­witz befand sich damals im Span­nungs­feld einer not­wen­di­gen Reform »von oben«: Dem Wil­len, alles zu tun, um Napo­lé­on aus Preu­ßen und den deut­schen Lan­den zu ver­trei­ben. Der Not­wen­dig­keit, alle Bewoh­ner des Staa­tes, wie Scharn­horst es for­mu­lier­te, zu gebo­re­nen Ver­tei­di­gern zu machen. Somit eine Armee zu schaf­fen, die eine moder­ne Fecht­art beherrsch­te und den »neu­en Sol­da­ten« ein­set­zen konn­te. Sowie eine Posi­ti­on über den künf­ti­gen Sta­tus der in Preu­ßen leben­den Juden ein­zu­neh­men. Die­ser zuletzt genann­ten Fra­ge wol­len wir uns im wei­te­ren Text nähern.

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