Teil XV
Mit Beendigung des letzten Krieges gegen Napoleon wuchs eine sgg. Urburschenschaft auf, die sich am 12. Juni 1815, drei Tage vor dem Ende der Schlacht von Waterloo am 18. Juni des Jahres, in Jena manifestierte. Die von den Schlachtfeldern Europas heimkehrende akademische Jugend war inspiriert durch die Schriften Friedrich Ludwig Jahns (*1778; †1852), Jakob Friedrich Fries´(*1773; †1843) und Ernst Moritz Arndts (*1769; †1860). Besonders die »Volkstumsideen« Jahns förderte in dieser Jugend, die bei Clausewitz nicht vorteilhaft weg kam, den Wunsch nach politischen Veränderungen in Preußen und den anderen Staaten des Deutschen Bundes. Die Verfassungsurkunde der »Jenaischen Burschenschaft« vom 21. Juni 1815 greift in der Eröffnung auf ein politisches Lied, das Ernst Moritz Arndt 1813 vor dem Beginn der Befreiungskriege verfasste, zurück.
Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist´s Preussenland, ist´s Schwabenland?
Ist´s, wo am Rhein die Rebe blüht?
Ist´s, wo am Belt die Möwe zieht?
O nein! nein! nein!
Sein Vaterland muss grösser sein!
(»Lieder für Teutsche von E. M. Arndt. Im Jahr der Freiheit 1813«, Leipzig 1813)
Der Text des Liedes weist auf die in der Zeit der Befreiungskriege vielfach gestellte Frage nach einer »Deutschen Nation« und »Identität« hin. Dabei wurde und wird die letzte Zeile der ersten Strophe vielfach fehlinterpretiert und ideologisch verfälscht. In den folgenden Strophen nennt Arndt die deutschsprachigen Räume, die er zu Deutschland zurechnen wollte, was der damaligen Denk- und Gefühlsart entsprach. Allerdings nicht, ohne einen »Hieb« für die Franzosen geltend zu machen. Auch das, durchaus Zeitgeist und nicht in alle Ewigkeit gültig, wie heutige Aufgeregtheiten das darstellen wollen.
Was ist des Deutschen Vaterland
wo Zorn vertilgt den welschen Tand
wo jeder Frevler heißet Feind
wo jeder Edle heißet Freund
Das soll es sein, das soll es sein
das ganze Deutschland soll es sein
Bedeutungstief können wir auch den damaligen Wahlspruch dieser ersten Burschenschaft ansehen, worin es hieß:
»(…) Dem Biedern Ehre und Achtung, zur steten Erinnerung, nur den achtbaren deutschen Jüngling in ihrer Mitte zu dulden in ihrer Mitte zu dulden und stets Redlichkeit und Biedersinn zu vereinen. (…)«
(Vergl. Voigtländer Quellenbücher – Band 72 »Aus der Zeit der Demagogenverfolgungen«, 1914, S. 22 bis 24)
Hier sollten hohe moralische Ansprüche an den Charakter der Mitglieder gestellt werden. Redlichkeit, das heißt Übereinstimmung von Wort und Tat. Biedersinn, das heißt Rechtschaffenheit. Beides sollte die Grundlagen der studentischen Korporation bilden.
Später im Jahr 1816, am 18. März, wurde dieser erste Wahlspruch durch Beschluss des Vorsteherkollegs stark verkürzt in »Ehre, Freiheit, Vaterland« umgeändert. (Verl. ebenda) Aus dem Wahlspruch der Jenaischen Burschenschaft erkennen wir zunächst formal keine Ablehnung jüdischer Studenten, die Mitgliedschaft betreffend. Weiter oben hatten wir dargestellt, dass noch vor den Befreiungskriegen in gesellschaftlichen Vereinigungen wie in der »Tischgesellschaft«, dem »Tugendbund« und der »Liedertafel« Juden die Mitgliedschaft verwehrt wurden. Den Ursachen dieser temporären Wandlung wollen wir hier kurz nachgehen.
Obwohl judenfeindliche Äußerungen in den Schriften der o. g. Ideengeber, auf Fichte verwiesen wir bereits in diesem Zusammenhang, bei der akademischen Jugend nicht unbekannt gewesen sein dürften, spiegelte sich das in der frühen Burschenschaftsbewegung nicht wider. Insbesondere Fichtes Postulierung über die mögliche Assimilierung patriotisch eingestellter Juden, die durch aufgeklärte Juden durchaus geteilt wurde, rief in den »Urburschenschaften« keine signifikanten oder grundsätzliche Bedenken gegen jüdische Mitglieder hervor. Zumindest ist das für die Jahre 1815 bis hin zum Jahr 1820 nicht nachweisbar.
Vielleicht war dieser Zustand auch dem Umstand geschuldet, dass die gebildete patriotische Jugend, die nach 1815 an die Universitäten ging, vornehmlich in Freikorps wie den »Lützower Jägern« gedient hatten. In diesen Verbänden war der Anteil jüdischer Männer relativ hoch, die sich in Kameradschaft mit ihren christlichen Kampfgefährten bewährt hatten. Das Beispiel Baruch Eschweges, der im Freikorps »Lützow« diente, unterstreicht diese Darstellung. Uns ist heute ein Bildnis Eschweges überliefert, das dessen jüdischen Freund und Maler Oppenheim (*1800; †1882) anfertigte.
Die ehemaligen »Lützower« Karl Horn, Kampfgefährte Körners, Heinrich Hermann Riemann, Karl Hermann Scheidler und Wilhelm Kaffenberger gehörten zu den Gründern der jenaischen »Urburschenschaft«. Mithin waren neun von elf Gründern der Korporation ehemalige »Lützower Jäger«. Heinrich Hermann, Träger des »Eisernen Kreuzes«, war einer der Hauptredner auf dem Wartburgfest 1817.
(Vergl. gneisenau-gesellschaft-sommerschenburg »Studenten, Lützower, Burschenschaftler« und Michael Fraenkel, »Der Anteil der jüdischen Freiwilligen an den Befreiungskriegen 1813/14«, Breslau 1922, S. 15)
Doch der Ton in den frühen burschenschaftlichen Korporationen änderte sich im Verlaufe der Zeit. Die alte religiös motivierte Judenfeindschaft sowie das Stigma des »Wucherers«, als ökonomisch determinierte Ablehnung, führte über rassistische Abwertung, beginnend mit den Burschentagen von 1818, 1820 und 1821 geradlinig hin zum späteren Antisemitismus.
(Vergl. »Burschenschaft und Antisemitismus«, Peter Kaup, 2004, Datei www.burschenschaft.de)
Peter Kaup führt weiter aus:
»(..) Daß die erste Verfassung der Jenaischen Burschenschaft zur Aufnahme von Juden keine Aussage trifft, liegt vielleicht auch daran, daß der Anteil der jüdischen Studierenden in Jena, etwa im Vergleich zu Breslau, Berlin und Heidelberg, zur Zeit der Urburschenschaft vergleichsweise niedrig war. (…)«
An dieser Stelle gestatten wir uns zu ergänzen. Philippson führte aus, wie weiter oben bereits dargestellt, dass nicht alle jüdischen Männer beim Eintritt in die Landwehr, in die Freikorps oder in die Linientruppen ihren jüdischen Glauben angaben. Die Vermutung liegt also nahe, dass auch jüdische Studenten womöglich darauf verzichteten, sich zu ihrem Glauben offen zu bekennen.
Inwieweit werden diese Fragen Carl von Clausewitz bewegt haben? Wir können hier nur spekulieren. Im Gegensatz zu Carl selber war zum Beispiel der nachmalige General Ernst Heinrich Adolph von Pfuel (*1779; †1866), Kampfgefährte aus russischen Zeiten und in der Russisch-Deutschen Legion 1813/14, näher an dieser »jakobinischen« Jugend dran. Pfuel gehörte, wie Peter Paret bemerkte, neben Clausewitz, Rühle von Lilienstern, Carl Ludwig von Tiedeman und Heirich von Kleist zu einer Gruppe von:
»(…) Fünf junge Leutnants, deren Begabung und besondere Interessen sie zu typischen, wenn auch außergewöhnlich talentierten „gelehrten Offizieren“ machten. (…)«
(Vergl. Peter Paret, »Clausewitz in seiner Zeit«, Zur Kriegs-und Kulturgeschichte der Jahre von 1780 bis 1831, Königshausen & Neumann, 2017, S. 41)
Pfuel war mit Rahel Levin und Varnhagen bekannt und hatte somit Umgang mit assimilierten Juden in Berlin. Der Turnbewegung Jahns wohl nahestehend, entwickelte er 1810/11 die erste Militärschwimmschule weltweit. Inwieweit Pfuel jedoch den nationalen Ton der Turnbewegung teilte, der in den Burschaften Anklang fand, wissen wir nicht. Das Lied »Turners Glaubensbekenntnis« von Carl Follen (*1797; †1840), einem Wegbereiter der Burschenschaftsbewegung, weist in der Schlussstrophe dezidiert auf eine offensichtliche Ablehnung der Juden hin.
»Wohlauf, ihr Christen, ihr Deutschen, wohlan, Du ehrliche, wehrliche Jugend«
Möglicherweise sind sich Clausewitz und Pfuel in der Zeit nach 1815 begegnet und hatten die Gelegenheit, miteinander auch über diese Frage zu sprechen. Pfuel wurde am 25. Mai 1818 Chef des Generalstabes des VIII. Armee-Korps in Koblenz und in dieser Stellung am 19. September 1818 zum Generalmajor befördert.
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann (*1776; †1822), Beamter und Künstler, Musiker, Zeichner und Schriftsteller, besser bekannt als E.T.A. Hoffmann, wurde 1819 in die »Immediat-Commission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe« berufen. In dieser Funktion, die er moderat ausführte,
»(…) Durch seine aufrichtige Arbeit, die häufig Angeklagte vor polizeilicher Verfolgung schützte, zog er den Unmut des Berliner Polizeidirektors auf sich. (…)«
(Vergl. etahoffmann.staatsbibliothek-berlin.de/Biographie)
charakterisierte Hoffmann die Turnbewegung Jahns als Ideengeber der sich immer mehr radikalisierenden Burschenschaften. Hoffmann spricht deutlich von einer Radikalisierung der extremen Gruppen der Burschenschaften.
(Vergl. E. T. A. Hoffmann: Die großen Erzählungen und Romane, Klaus Deterding, Könighausen & Neumann, Bd 2, 2008 S. 74)
Diese von Hoffmann genannte Radikalisierung führte geradewegs zur »Bücherverbrennung« 1817 auf der Wartburg, zum Mord an Kotzebue durch den Burschenschaftler Sand und damit in letzter Konsequenz zu den »Karlsbader Beschlüssen« und der damit verbundenen »Demagogenverfolgung«.
Treitschke bezeichnete die Burschenschaftsbewegung als »das neue Teutonentum« und wies auch einen wesentlichen Charakterzug aus.
»(…) Einen wesentlichen Charakterzug des neuen Teutonentums bildete der eingefleischte Judenhaß. Da die gewaltige Erregung des Befreiungskrieges alle Geheimnisse des deutschen Gemüts an den Tag brachte, so ward in der allgemeinen Gärung auch der alte Widerwille gegen das orientalische Wesen wieder laut. Von Luther an bis herab auf Goethe, Herder, Kant und Fichte waren fast alle großen germanischen Denker in dieser Empfindung einig, Lessing stand ganz vereinzelt mit seiner Vorliebe für die Juden. (…)«
(Vergl. »Treitschke Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert«, Bd. 2, Alfred Krömer Verlag – Leipzig, 1934, S. 244 bis 245)
Zu Fichte und Lessing führten wir weiter oben schon aus. Goethes Sicht, die Juden betreffend, werden wir hier später noch kurz darstellen.
Zwar hatte Clausewitz, wie weiter oben bereits geschildert, die zwei »Extravaganzen«, wie das »Studentenfest auf der Wartburg 1817« und »Kotzebues Ermordung 1819«, die Lärm in Deutschland und in Europa schlugen, genannt, ging jedoch in den »Umtrieben« nicht weiter dezidiert darauf ein. Aber Clausewitz, gewohnt, dialektisch zu denken, erkennt Ursachen und deren Wirkungen im Zusammenhang dieser gesellschaftlichen bemerkenswerten Erscheinungen. Und bemerkt:
»(…) Nun fingen die Regierungen an, gegen diese Jugend eine feindselige Stellung einzunehmen, und es entstanden inquisitorische Untersuchungen, bei welchen sie auf manches Gewebe von Burschenschaften und geheimen Verbindungen stießen. (…)«
Wir hatten weiter oben bereits darauf mehrfach verwiesen.
(Vergl. »Carl von Clausewitz Politische Schriften und Briefe«, »Umtriebe« (1819 bis 1823), Rothfels, Drei Masken Verlag, 1922, S. 178)
Als gewichtigen Grund nennt Clausewitz die Problematik der Verfassungen für die deutschen Länder, deren schleppende oder teilweise völlig fehlende Einführung Unmut vor allem in der akademischen Jugend hervorrief. Hier führt Clausewitz vor allem Preußen an:
»(…) Als im Jahr 1815 und 1816 noch nichts geschehen war, fing man an, sich sehr zu verwundern; man sah, daß der König einen Widerwillen und der Fürst Hardenberg eine Scheu hatte, an die Erfüllung des Versprechens zu gehen. (…)«
(Vergl. »Carl von Clausewitz Politische Schriften und Briefe«, »Umtriebe« (1819 bis 1823), Rothfels, Drei Masken Verlag, 1922, S. 178)
Bereits im Frühjahr 1815 lag ein Edikt Friedrich Wilhelm III. zum hardenbergschen Entwurf für die Erarbeitung einer Verfassung vor. In dem jedoch die Befugnisse der Landesrepräsentanten nicht klar formuliert wurden. Das Edikt wurde auf Grund der innenpolitischen Spannungen – vor allem durch das erneute Erstarken der Adelspartei – nicht verwirklicht. Der Einfluss der Politik Metternichs wirkte sich auch hier aus. Es brauchte erst die Revolution von 1848, ehe Preußen eine Verfassung erhielt.
»(…) Verordnung über die zu bildenden Repräsentation des Volkes vom 22. Mai 1815
Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen
Durch Unsere Verordnung vom 30sten v. M. haben Wir für Unsere Monarchie eine regelmäßige Verwaltung, mit Berücksichtigung der frühern Provinzialverhältnisse, angeordnet.
Die Geschichte des Preußischen Staats zeigt zwar, daß der wohlthätige Zustand bürgerlicher Freiheit und die Dauer einer gerechten, auf Ordnung gegründeten Verwaltung in den Eigenschaften der Regenten und in ihrer Eintracht mit dem Volke bisher diejenige Sicherheit fanden, die sich bei der Unvollkommenheit und dem Unbestande menschlicher Einrichtungen erreichen läßt.
Damit sie jedoch desto fester begründet, der Preußischen Nation ein Pfand Unsers Vertrauens gegeben und der Nachkommenschaft die Grundsätze, nach welchen Unsere Vorfahren und Wir selbst die Regierung Unsers Reichs mit ernstlicher Vorsorge für das Glück Unserer Unterthanen geführt haben, treu überliefert und vermittelst einer schriftlichen Urkunde, als Verfassung des Preußischen Reichs, dauerhaft bewahrt werden, haben Wir Nachstehendes beschlossen:
- . 1. Es soll eine Repräsentation des Volks gebildet werden.
- . 2. Zu diesem Zwecke sind:
- a) die Provinzialstände da, wo sie mit mehr oder minder Wirksamkeit noch vorhanden sind, herzustellen, und dem Bedürfnisse der Zeit gemäß einzurichten;
- b) wo gegenwärtig keine Provinzialstände vorhanden, sind sie anzuordnen.
- . 3. Aus den Provinzialständen wird die Versammlung der Landes-Repräsentanten gewählt, die in Berlin ihren Sitz haben soll.
- . 4. Die Wirksamkeit der Landes-Repräsentanten erstreckt sich auf die Berathung über alle Gegenstände der Gesetzgebung, welche die persönlichen und Eigenthumsrechte der Staatsbürger, mit Einschluß der Besteuerung, betreffen.
- . 5. Es ist ohne Zeitverlust eine Kommission in Berlin niederzusetzen, die aus einsichtsvollen Staatsbeamten und Eingesessenen der Provinzen bestehen soll.
- . 6. Diese Kommission soll sich beschäftigen:
- a) mit der Organisation der Provinzialstände;
- b) mit der Organisation der Landes-Repräsentanten;
- c) mit der Ausarbeitung einer Verfassungs-Urkunde nach den aufgestellten Grundsätzen.
- . 7. Sie soll am 1. September dieses Jahres zusammentreten.
- . 8. Unser Staatskanzler ist mit der Vollziehung dieser Verordnung beauftragt und hat Uns die Arbeiten der Kommission demnächst vorzulegen.
Er ernennt die Mitglieder derselben und führt darin den Vorsitz, ist aber befugt, in Verhinderungsfällen einen Stellvertreter für sich zu bestellen. (…)«
(Quelle: GHDI- Document , Preußische Gesetz-Sammlung 1815, S. 103)
Das Zögern des Königs und Hardenbergs, das Versprechen nach einer Verfassung einzulösen, empfand Clausewitz als »sehr natürlich«, wie er das in den »Umtrieben« darstellte. Sein Verständnis gegenüber der deutschen Jugend in dieser Frage hielt sich jedoch in Grenzen.
»(…) aber die deutsche Jugend und ihre Anführer unter den Gelehrten fanden es doch unerhört, sahen es wie ein Verbrechen gegen das Volk an, dem sie ohne weiteres ihre Gefühle liehen. (…)«
(Vergl. »Carl von Clausewitz Politische Schriften und Briefe«, »Umtriebe« (1819 bis 1823), Rothfels, Drei Masken Verlag, 1922, S. 178)
Bei der Beurteilung dieser gesellschaftspolitischen Lage nach 1815 bis in das Jahr 1817/18 nimmt Clausewitz die Rolle des Beobachters ein, ohne sich zu einer klaren politischen Wertung und eigener Verortung hinreißen zu lassen. Lediglich seine Intention, den Liberalismus betreffend, so wie wir es im Gegensatz bei Hardenberg und Humboldt beobachten können, schimmert hier – als königstreuer Soldat – hindurch. Bemüht, sich nicht noch mehr Groll des Monarchen heranzuziehen, formuliert er:
»(…) So wuchs die Zahl der mit Preußen Unzufriedenen in Deutschland und in Preußen selbst; die geheimen Verbindungen für unbestimmte Zwecke, für ein besseres politisches Dasein verschärfte sich nun gerade in Preußen. Der größere Staat, die freisinnige Administration, die Leichtigkeit für Fremde, hier ein Unterkommen zu finden, die Anwesenheit vieler Gelehrter und Philosophen – hatten Preußen in Deutschland vorzugsweise zum Tummelplatz dieser Umtriebe gemacht. (…)«
(Vergl. »Carl von Clausewitz Politische Schriften und Briefe«, »Umtriebe« (1819 bis 1823), Rothfels, Drei Masken Verlag, 1922, S. 178)
Fragt man sich nun, so Clausewitz weiter, was es außer den illusorischen Ideen von politischer Einheit Deutschlands und einer deutschen Republik für Gründe gäbe, sich aufzulehnen, so kommt er zu dem Schluss, – den preussischen Staat beurteilend – dass solche substantiell nicht vorliegen würden. Mit dem nachfolgenden Verweis auf Görres »Deutschland und die Revolution«, dessen Schrift Clausewitz die Verantwortung für »dieses ganze Unwesen« zuweist, endet hier die Debatte, die Verfassung betreffend.
Auf die Frage der »Einheit Deutschlands« geht Clausewitz jedoch ziemlich deutlich mit einer historischen Vorahnung ein. In den hier schon mehrfach angeführten »Umtrieben« richtet der General nachwirkend seinen Blick auf die Zeit nach 1815 unmittelbar und formuliert:
»(…) Wenn man einen Blick auf die Geschichte und den Zustand Deutschlands wirft, so ist es vollkommen lächerlich, im Jahr 1815 urplötzlich an eine wirkliche Einheit Deutschlands zu denken. (…)«
Nachfolgend räumt er der Jugend allgemein Verständnis ein und übt harsche Kritik am Wiener Kongress. Clausewitz betrachtete die Ergebnisse des Kongresses als einen zusammengebrauten Sauerteig, der irgendwie seinen Ausgang suchen musste. Mit dem damaligen Stand seiner Erkenntnisse kommt er zu folgendem Schluss:
»(…) Deutschland kann nur auf einem Wege zur politischen Einheit gelangen; dieser ist das Schwert, wenn einer seiner Staaten alle anderen unterjocht. Für eine solche Unterwerfung ist die Zeit nicht gekommen, und wenn es je dazu kommen sollte, so lässt sich jetzt noch nicht einmal vorhersehen, welcher der deutschen Staaten der Herr der übrigen werden wird. (…)«
(Vergl. »Carl von Clausewitz Politische Schriften und Briefe«, »Umtriebe« (1819 bis 1823), Rothfels, Drei Masken Verlag, 1922, S. 170 bis 171)
Clausewitz beweist hier als Soldat und Philosoph eine bemerkenswerte Intuition, die sich mit den Einigungskriegen, zwischen 1864 und 1871 durch Preußen geführt, verwirklichen sollte. Am Ende entsteht ein Nationalstaat — in Versailles wird das Deutsche Kaiserreich gegründet. Der Neffe von Clausewitz, Friedrich Karl Wilhelm Heinrich von Clausewitz (*1807; †1866), nahm als preußischer General an der Kampagne 1866 gegen Österreich teil und erlag am 31. Juli 1866 wie sein Onkel im Jahr 1831 im Dienst der Cholera. Sein Grab finden wir heute im tschechischen Čejč.
Ein weiterer Clausewitz, der königlich preußischer Leutnant Karl von Clausewitz (*1836; †1870), Enkel von Generalleutnant Wilhelm Benedikt von Clausewitz, verstarb am 8. August 1870 in Paris, möglicherweise an den Folgen seines Einsatzes im Krieg gegen Frankreich.