Teil XIX
Die nach 1815 offensichtlich erfolglos verlaufende Emanzipation der Juden in Preußen führte nahezu zwangsläufig zu einer Identitätskrise, die sowohl die christlichen als auch die jüdischen Bürger Preußens betraf. Auslöser dessen waren vorrangig die wirtschaftlichen Probleme der überwiegenden Mehrheit des Volkes quer durch alle Schichten. Wie immer in der Geschichte wurden Schuldige gesucht. In den bereits geschilderten Hepp-Hepp-Krawallen offenbarte sich die Suche nach »dem Schuldigen«. Diese »Suche« wurde u. a. von Intellektuellen wie Jakob Friedrich Fries(*1773; †1843) und Christian Friedrich Ruehs(*1781; †1820) befeuert, die beide nationalistisch, xenophob und judenfeindlich polemisierten.
(Vergl. »Die missglückte Emanzipation – Wege und Irrwege deutsch-jüdischer Geschichte«, Hg. J. H. Schoeps, Georg Olms Verlag, 2010, S. 156)
Besonders perfide sticht hier das Wirken eines Vorläufers des späteren Antisemitismus hervor, der sein Unwesen im Berlin der Jahre 1815 bis in die 1820er Jahre trieb. Die Rede ist hier von Hartwig v. Hundt-Radowsky(*1780; †1835), ein mehr als zweifelhafter, Juden hassender Publizist, der um 1819 den »Judenspiegel« verfasste und veröffentlichte. In dieser Schrift verunglimpfte er in 14 Kapiteln jüdische gesellschaftliche Schichten. In Kapitel 12 dieses Werkes, »Der Jude als Soldat«, delegitimiert der Autor die jüdischen Soldaten, tapfere Kämpfer für ihr Land gewesen zu sein. Somit auch diejenigen, die in den Befreiungskriegen überwiegend standhaft kämpften. Dieser v. Hundt-Radowsky formulierte:
»(…) Von jeher haben sich die Juden nicht durch Muth, aber durch Feigheit in ihren Kriegen ausgezeichnet. […] Feigheit ist Grundzug in dem Charakter der Hebräer und offenbart sich besonders im Kriege. […] Daher sollte man ihnen in militärischen Staaten am wenigsten das Bürgerrecht einräumen. […] Sie streben bloß nach glänzendem Metall und daher kann man sie wohl zu Spionen, aber nicht zu Vaterlandsvertheidigern gebrauchen. (…)«
(Vergl. »Judenspiegel« Ein Schand- und Sittengemälde alter und neuer Zeit« Hg. H. v. H.-Radowsky, Würzburg, 1819, S. 133 bis 137)
Möglicherweise reflektierten die Verfasser der Texte zur Vereidigung der Juden im preußischen Kriegsministerium des Jahres 1819 auch diese Schrift.
Trotz der gemeinsamen Erlebnisse in den Jahren der Befreiungskriege, die überwiegend positiv waren, entwickelten sich unter den preußischen Militärs Ressentiments, um weiter bedingungslos jüdische Rekruten einzuberufen. Hierbei ging es nicht um den jüdischen Rekruten an sich, sondern eher um die Absicht, »die Armee als Erziehungsschule der Juden« zu installieren. Ziel sollte es sein, durch Bildung, Ausbildung und Erziehung die Assimilierung der Juden hin zum Christentum zu forcieren.
Adolph Friedrich Carl Streckfuß(*1778; †1844), ab 1819 Oberregierungsrat im preußischen Innenministerium, dem der preußische Militärdienst als eines der wirksamsten Mittel galt, um »jüdische Eigentümlichkeiten« zu beseitigen. Carl Streckfuß …
»(…) betonte den Wert des Heeres für die Juden als moralische, hygienische, pädagogische und politische Anstalt. Es habe nicht nur eine militärische Zielsetzung, sondern diene ebenso zur Beförderung jedes anderen Staatszweckes. (…)«.
(Vergl. »Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhundert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübingen, 1968, S. 115)
Ähnliche Intentionen wurden auch von jüdischer Seite verfolgt. Der westfälische Rabbiner von Werl, Levi Lazar Hellwitz(*1786; †1860), veröffentlichte 1819 eine Schrift, in der er den jüdischen Militärdienst nicht nur für möglich, sondern auch für nötig hielt .
»(…) Die Garantie des Militärdienstes sah er als eins der ersten Mittel, die Bildung der Juden zu erhöhen und ihr Ansehen in der Gesellschaft zu heben, die Befreiung dagegen als Strafe und Schande an. (…)«
(Vergl. »Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhundert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübingen, 1968, S. 116)
So wie diese Gedanken auch in preußischen Regierungsstellen teilweise geteilt wurden, entsprachen sie auch den Scharnhorst’schen Entwürfen von 1807 und 1808, die forderten: »§1 Alle Bewohner des Staates sind geborene Verteidiger desselben«. Auch bei Boyen, der sehr großen Wert auf Bildung und Erziehung der Soldaten legte, mussten sie eigentlich Anklang gefunden haben. Gneisenau und Clausewitz dürften sich dem ebenfalls nicht verweigert haben, wenn wir die vergangene Zeit von 1812 bis 1815 betrachten.
In der Praxis der damaligen Zeit offenbarte sich jedoch eine signifikante Unsicherheit im Kriegsministerium, den Umgang mit jüdischen Rekruten betreffend. Wir verwiesen im Zusammenhang mit der Vereidigung jüdischer Rekruten bereits darauf. Der treibende Keil hier war der preußische König selbst, der schon im Zusammenhang mit der Namensgebung für die Juden zweifellos Druck ausübte (siehe dazu Edikt von 1812). In Berlin ging man 1819 u. a. unversehens gegen die Praxis gemeinsamer Schulen vor.
»(…) Weiter ging die preußische Regierung im Jahr 1819 gegen einen Brauch vor, den sie ein Jahrzehnt zuvor noch als Mittel zur Assimilierung der Juden selbst begrüßt hatte. Weil es in Berlin nicht genug Grundschulen gab, konnten auch Kinder von Christen an der jüdischen Freischule in Berlin ausgebildet werden. Im Jahr 1819 wurde dies verboten. Die christlichen Kinder mussten die Schule sofort verlassen. (…)«
(Vergl.» Geschichte der Juden in Preußen (1750 bis 1820)«, A. A. Bruer, Campus Verlag, 1991, S. 340)
Die sich offenbarende »direkte Umkehr der Argumentationsweise« wurde selbst von Boyen geduldet. Bei der Thematisierung der Eidesformeln für jüdische Rekruten stellten wir schon einmal die Frage nach Boyen.
»(…) Selbst ausgesprochene Reformpolitiker wie Kriegsminister Hermann von Boyen (1814 – 1819) fanden an einer solchen Wendung wenig auszusetzen. Die Judenemanzipation war auch für sie eine schwer zu begreifende Maßnahme gewesen, deren Fragwürdigkeit bestehen blieb. Auch Boyen brachte deshalb Kritik gegen die Emanzipation vor. Allerdings tat er dies versöhnlicher und weniger heftig als die Repräsentanten der Reaktion. (…)«
(Vergl.» Geschichte der Juden in Preußen (1750 bis 1820)«, A. A. Bruer, Campus Verlag, 1991, S. 341)
Eine Vielzahl von Beispielen von erneuten Diskriminierungen dokumentieren den sich abzeichnenden, abwertenden Umgang mit den einstigen jüdischen Kampfgefährten. Juden wurde der Eintritt in Elitetruppen wie der Garde und den Kadettenanstalten verwehrt. Jüdischen Medizinstudenten, die als Kompanie-Chirurgen dienen wollten, wurde dieser Dienst oft verweigert. Der Generalarzt des 1. AK, Dr. Krantz, teilte mit Schreiben vom 8. Juni 1825 dem Bewerber Kosch die Ablehnung des Königs mit.
»(…) 1825 wies der König selbst noch den Studenten aus Königsberg und späteren Abgeordneten Raphael Jacob Kosch zurück mit der lakonischen Begründung, daß die Anstellung eines Juden als Kompanie-Chirurg bisher noch nicht stattgefunden habe. (…)«
(Vergl. »Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhundert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübingen, 1968, S. 119)
Erstaunlich hier die Ausnahme des Hauptmanns der Artillerie Meno Burg, über den wir berichteten. Alles in einer Zeit, wo ein wankelmütiger König den jüdischen Artilleristen Meno Burg »zähneknirschend« beförderte und andererseits einen anderen Israeliten ablehnte. König und Regierung gelangen es nicht, die zweifelhafte Rechtslage zu bereinigen.
»(…) Mit dieser brüchigen Konstruktion aus völlig heterogenen Rechtsordnungen und ‑anschauungen, aus denen sich niemals eine einheitliche Position, sondern immer nur ein weiteres, vorläufiges Aushilfsmittel aus der allgemeinen Prinzipienlosigkeit gewinnen ließ, regelte die preußische Regierung die Beförderungsfrage ebenso willkürlich wie definitiv. (…)«
(Vergl. »Judentum, Staat und Heer in Preußen im frühen 19. Jahrhundert«, Hg. H. Fischer, J. C. B. Mohr Tübingen, 1968, S. 123)
Der Prozess der Emanzipation kam mit den beginnenden 1820er Jahren des 19. Jhd. praktisch zum Stillstand. Mit dem Revolutionsjahr 1848 flackerte diese dünne Flamme noch einmal auf, verlöschte jedoch abermals.
»(…) Erst im Jahr 1869, als der Hohenzollern-Staat bereits den Norddeutschen Bund als Vorstufe zum Deutschen Kaiserreich gegründet hatte, wurde ein neuer Anlauf möglich. (…)«
(Vergl.» Geschichte der Juden in Preußen (1750 bis 1820)«, A. A. Bruer, Campus Verlag, 1991, S. 341)
Auf die immer wiederkehrende Frage, wie Clausewitz diese Erscheinungen rezipierte, versuchen wir erneut vage Antworten zu finden. Unsere drei Reformer von Boyen, von Gneisenau und Carl von Clausewitz lebten und dienten unter diesen unklaren Bedingungen. Außer von Boyen erfahren wir nichts Substantielles, das Thema »Emanzipation« betreffend, von dem Dreigestirn.
Gneisenau ist auch noch Jahre nach 1815 mit seinen Gegnern von der Hofpartei beschäftigt. Er klagt über seine Dotation »Sommerschenburg« und hadert mit seinem Schicksal. Aber zu keiner Zeit verliert er die »große Politik« aus den Augen. Das Problem der Emanzipation der Juden spielt zumindest in seinem Briefverkehr bis in das Jahr 1831 keine Rolle.
Clausewitz, nunmehr 1831 unter Gneisenau Generalstabschef der Observationsarmee an der Ostgrenze Preußens, bietet durch seinen regen Briefverkehr mit Feldmarschall Gneisenau und seiner Gattin Marie kaum Einblicke, unser Thema betreffend.
Bei unserem Carl, der im ständigen freundschaftlichen Gedankenaustausch mit seinem väterlichen Freund Gneisenau steht, finden wir also keinerlei Hinweise auf die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung jüdischer Menschen für das preußische Heer. Erst im Jahr 1831, als Clausewitz wieder auf »polnischem« Boden weilt, kommen noch einmal Aversionen gegen Land und Leute dort zum Vorschein. Der Begriff »Jude« fällt jedoch nicht, denn der Boden ist nun seit 1815 preußisch. Die Provinz Posen war der einzige Landesteil mit nicht-deutscher Bevölkerungsmehrheit. Zwei Drittel der Menschen dort sprachen polnisch und waren katholisch, das Drittel der Deutschen vorwiegend evangelisch. Der Anteil der Juden in der Provinz war im Vergleich deutlich höher als im Stammland Preußen.
(Vergl. dewiki.de/Lexikon/Provinz_Posen)
In einem Brief an Marie vom 6. April 1831 schreibt Carl aus Posen im Zusammenhang mit militärpolitischen Entwicklungen an den Grenzen Preußens:
»(…) Mir wird tausendmal besser sein, wenn wir uns erst mit einem der beiden Gegner, sei es Polack oder Franzos, bei den Ohren hätten. (…)«
(Vergl. »Karl und Marie von Clausewitz«, Ein Lebensbild in Briefen und Tagebuchblättern, Hg. K. Linnebach, Warneck Berlin, 1916, S. 427)
Zu Clausewitz´ Zeiten war der Begriff »Polack« mitnichten abwertend und durchaus zeitgemäß gebräuchlich, so wie auch der »Franzos«. Den »Franzos« betreffend müssen wir allerdings an dieser Stelle auf eine frühe Schrift Clausewitz´ verweisen. Im Jahre 1807, immer noch unter dem Eindruck der Katastrophe von 1806 und nachfolgender Gefangenschaft unter Napoléon, charakterisiert er »den Franzosen«. Der Aufsatz »Die Deutschen und die Franzosen« spiegelt die temporär deutlich sichtbare Frankophobie wider, mit der Clausewitz entsprechend des Zeitgeistes allerdings nicht allein stand.
(Vergl. »Karl von Clausewitz Politische Schriften und Briefe«, Hg. Dr. Hans Rothfels, Drei Masken Verlag, 1921, S. 35 bis 51)
Anders sieht es jedoch aus, wenn derselbe Wochen später seiner Gattin am 23. Mai 1831 aus Posen über ein bürgerliches Scheibenschießen berichtet :
»(…) Was ich bei dem Scheibenschießen von der Posener Bürgerwelt sah, war eben nicht anziehend; Die Hauptmasse war ziemlich aus der geringsten Klasse; das Ganze hatte wenig Charakter, und der Begriff einer stattlichen Bürgerschaft fehlte ganz. Nur eine Masse von Bäuerinnen aus den deutschen Dörfern haben mich durch ihren deutschen Typus, deutschen Anzug und echt süddeutschen Dialekt ergötzt. (…)«
(Vergl. »Karl und Marie von Clausewitz«, Ein Lebensbild in Briefen und Tagebuchblättern, Hg. K. Linnebach, Warneck Berlin, 1916, S. 439)
Dieser Schilderung entnehmen wir, dass sich bei Clausewitz über die Jahre hinweg möglicherweise so etwas wie Standesdünkel entwickelt hatte. Wir erkennen hier eine zwar nicht ausgesprochene ethnische Trennung der »neupreußischen« Bevölkerung , aber durch Begriffe wie »Bäuerinnen deutschen Typus« wohl erkennbar.
Hatte Clausewitz nicht erkannt, dass die neue preußische Provinz Posen vorwiegend agrarisch war, in der es noch kein entwickeltes Bürgertum gab? Selbst rund ein Jahrhundert später lebte und arbeitete noch drei Viertel der Bevölkerung desselben Gebietes auf dem Land. Selbst Städter betrieben kleinere Landwirtschaften nebenher.
(Vergl. http://library.fes.de/breslau/pdf/a20715/a20715_08.pdf)
Wir müssen hier also feststellen, dass der Clausewitz des Jahres 1831 nicht frei von Tendenzen der Segregation war. Ob diese gewagte Feststellung aber auch auf seine jüdischen Mitbürger erweitert werden kann, wäre reine Spekulation. Gleichwohl muss hier darauf aufmerksam gemacht werden, dass die genannten Tendenzen auf beiden Seiten der damaligen Bevölkerung im Verlaufe der Zeit zu nationalistischen Bestrebungen führten, die sich bis hin in das Jahr 1945 letztendlich verheerend auswirkten.
Zunächst wollen wir jedoch noch einmal in das Jahr 1830 zurückschauen um eine überraschende Entwicklung zu betrachten. In diesem Jahr erfuhr Clausewitz offensichtlich ein scheinbar erstaunliches Wohlwollen seines Königs. Auf seine Bitte hin um Verwendung in der Truppe, die er am 27.12.1829 schriftlich an den Monarchen richtete, erhielt er am 9.3.1830 folgende Antwort:
»(…) In Verfolg Meiner Antwort vom 7. 1. des Jahres auf Ihr Gesuch um Übertragung einer Truppenführung mache Ich Ihnen hierdurch bekannt, daß ich beschlossen habe, Sie in der Folge, bei sich dazu ergebender Erledigung, in der Artillerie anzustellen.[…]Ich bestimme Sie für diese Waffe vorzugsweise in der Erwägung, daß dieselbe Ihnen bei Ihrer vielseitigen wissenschaftlich-militärischen Ausbildung und Ihrer Neigung zur besonderen Tätigkeit mehrfache Veranlassung gibt, für meinen Dienst nützlich wirksam zu sein. (…)«
(Vergl. Priesdorf, »Soldatisches Führertum«, Hg. Kurt von Priesdorf, Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg, T. 8, 1429., S. 70)
Allerdings »humpelte« diese Anstellung. Gneisenau teilte Stein mit, dass der Beweggrund wohl war, dass dem König »andere Talente« fehlten und es womöglich Beschwerden gegen Clausewitz gab, seine Dienstführung an der Kriegsakademie betreffend. Dort fand er sich als Direktor der Schule mit Missständen, die er nicht zu verantworten hatte, nicht ab.
(Vergl. Carl von Clausewitz Persönlichkeit und Wirkungsgeschichte seines Werkes bis 1918, Hg. U. Marwedel, H. Boldt Verlag, 1978, S. 56)
Unabhängig davon machte sich Clausewitz Ende 1830 – zu Planungsberatungen gerufen, die mit der Juli-Revolution in Frankreich befasst waren – weitestgehend unentbehrlich.
(Vergl. ebenda, S. 57). Seine Berufung in ein neues Kommando war die logische Folge seiner hervorragenden Arbeit)
Im Verlaufe seines Aufenthaltes bei der Observationsarmee erfüllte der als Chef des Generalstabes (C. v. C.) zuverlässig umfangreiche Arbeiten in der operativen Führung derselben. Durch glückliche Umstände wurde Preußen nicht in die Kämpfe zwischen den Russen und Polen verwickelt und spielte die Rolle des Beobachters. Von erheblicher Wichtigkeit war außerdem die Realisierung des »Cordon sanitaire«, um ein Übergreifen der Cholera nach Preußen zu verhindern. Mit beiden Aufgaben war Clausewitz sehr zur Zufriedenheit seines Chefs – Feldmarschall Gneisenau – befasst. Dieser schilderte dessen Arbeit in einem Brief an die Frau von Clausewitz.
»(…) Frei von Nahrungssorgen, bewege ich mich hier zwischen wenig lästigen Geschäften, Lektüre und Spazierengehen; Clausewitz mit seinem vortrefflichen Geschäftsgeist bringt in jene die offizielle Ordnung. (…)«
(Vergl. »Gneisenau Ein Leben in Briefen«, Hg. Dr. Karl Griewank, Koehler & Amelang /Leipzig, 1939, S. 389)
Clausewitz ertrug offensichtlich geduldig die Passivität Gneisenaus, die er vor allem angesichts der wachsenden Kriegsgefahr in West und Ost nachweislich nicht guthieß. Nach Hause an seine Marie schrieb er am 28. Mai. 1831:
»(…) Wie wenig befriedigen mich alle meine Verhältnisse und Pflichten! […] im Inneren des Herzens ist eine große Verstimmung in mir. (…)«
(Vergl. »Karl und Marie von Clausewitz«, Ein Lebensbild in Briefen und Tagebuchblättern, Hg. K. Linnebach, Warneck Berlin, 1916, S. 441)
Wiederum war Clausewitz eine echte Anerkennung auch in seinem letzten Kommando von höchster Stelle versagt. Sie wurde erst nach dem Ableben Gneisenaus sichtbar. Wehmütig und ahnungsvoll daher seine Klage vom 28. Juli 1831 – auch im Zusammenhang mit der Cholera zu sehen – gerichtet an seine Frau.
»(…) Wenn ich sterbe, teure Marie, so ist es in meinem Beruf. Gräm Dich nicht zu sehr um ein Leben, womit nicht viel mehr anzufangen war. […] Ich kann nicht sagen, mit welcher Geringschätzung des menschlichen Urteils ich aus der Welt gehe. (…)«
(Vergl. ebenda S. 472)
Nicht unerwähnt soll jedoch sein, dass der vielbeschäftigte General neben allen Sorgen und Ängsten Zeit und Muße fand, sich mit innenpolitischen Problemen zu beschäftigen und sich als Person noch einmal zu verorten.
In einem Brief an Marie vom 24. März 1831 lesen wir:
»(…) Sehr viel Vergnügen hast Du mir mit der Abschrift des Schleiermachschen Aufsatzes gemacht. Er wird ihn beim Könige rehabilitieren und ist eine ganz andere Widerlegung der Artikel im M. b. Ch. [Messager des Chambres] als der Aufsatz von W. [Willisen?] und jeder andere, den man einrücken ließ. Ich habe ihn hier rechts und links mitgeteilt, wo er mit größtem Interesse gelesen worden ist. (…)«
(Vergl. ebenda S. 423 bis 424)
Clausewitz kannte den Theologen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher(*1768; †1834) von der »Deutschen Tischgesellschaft« her. Im Rahmen der »Demagogenverfolgung« stand auch Schleiermacher wie andere Professoren der Universitäten unter Druck. Ein Berliner Korrespondent der französischen Zeitung »Messager des Chambres« hatte ihn im Zusammenhang mit den »Umtrieben« auf die »linke Seite« gesetzt. Dagegen hatte Schleiermacher protestiert, indem er sich verwahrte, weder einer linken noch einer rechten Seite anzugehören.
(Vergl. »Christentum, Staat, Kultur: Akten des Kongresses der Internationalen Schleiermacher-Gesellschaft Berlin, Hg. Arndt, Barth, Gräb, d. Gruyter /Berlin , 2006, S. 377 bis 378)
Sicher befriedigte es Clausewitz, dass Schleiermacher, den er vermutlich schätzte, damit aus dem Fokus des Königs genommen war. Obwohl die Texte Schleiermachers in der damaligen Gesellschaft mitunter kontrovers rezipiert wurden, können wir uns vorstellen, dass Clausewitz religiöse Ansichten des Theologen, die nicht immer vom König toleriert wurden, mitunter teilte. Seine »Glaubenslehre«, erschienen 1821 und 1822, war für diese Zeit außerordentlich modern. Der Philosoph Clausewitz hätte sich einer These Schleiermachers vielleicht anschließen können, die da lautete:
»(…) Der Mensch ist sich immer einer partiellen Freiheit und einer partiellen Abhängigkeit in allem Denken und Handeln bewusst, aber gerade die teilweise Abhängigkeit in allem Bewusstsein der Freiheit führt letztlich auf ein Gefühl völliger Abhängigkeit. (…)«
(Vergl. »Friedrich Schleiermacher« Aus Enzyklopädie der deutschen Literatur, world-literature.org/index.php/Friedrich_Schleiermacher)
Besonders Schleiermachers Ansichten über das Studium wird Clausewitz gerade in seiner Zeit als Direktor der »Allgemeinen Kriegsschule« aus dem Herzen gesprochen haben.
»(…) Je mehr sich der Geist der Wissenschaft regt, desto mehr wird sich auch der Geist der Freiheit regen, und sie werden sich nur in Opposition stellen gegen die ihnen zugemutete Dienstbarkeit. (…)
(Vergl. »Die Idee der Universität – revisited«, Hg. Ricken, Koller, Springer VS, 2014, S. 72 bis 73)
Wir haben nun versucht, Clausewitz´Entwicklung über die Zeit seiner materiellen, sozialen und geistigen Selbstfindung zu verfolgen. Eine geradlinige Verbindung zum eigentlichen Thema konnten wir nicht herstellen. Der General war uns dabei nicht behilflich. Das hatte Gründe.
»(…) Indem sein äußeres Leben zu einer gewissen Ruhe und Gleichmäßigkeit gelangt, sind auch die wichtigsten inneren Entscheidungen gefallen; […] So schreitet Clausewitz in die neue Epoche hinüber, ohne die bewußten Konflikte oder die unbewußten Zäsuren zu erfahren, […] Die skeptische Haltung, die er in schwerem Kampf errungen, bewahrten ihn davor, (…)«
(Vergl. »Carl von Clausewitz Politik und Krieg«, Hg. Hans Rothfels, Dümmler, 1920, S. 192)
Clausewitz war ein vorzüglicher Soldat, ein genialer Militär-Philosoph, ein politischer Denker. Ein Politiker – im Interesse der jüdischen Minderheit – war er mitnichten, wie wir meinen. Daher sagen wir uns »Respice post te, hominem te esse memento«.
Als der Feldmarschall Gneisenau am 6. März 1831 an Clausewitz schrieb, …
»(…) Wir beide sind bestimmt, nach Posen zu gehen und zwar auf das schleunigste. Ich habe dem G[eneral] Witzleben als Zeit meiner Abreise den 8. d. [übermorgen] bestimmt. Oetzel und Brandt sollen mit uns gehen. – Der Ihrige G.
Die Abreise soll als Geheimnis behandelt werden. (…)«
(Vergl. »Gneisenau« Ein Leben in Briefen, Hg. Dr. Karl Griewank, Köhler & Amelang /Leipzig, 1939, S. 383)
… konnte keiner von den beiden Männern ahnen, dass dieses Kommando ihr letztes sein würde.
Die Cholera, der unsichtbarer und heimtückische Feind, wurde ihnen zum Verhängnis. Am 23. August 1831 starb Gneisenau, und am 16. November erlag auch Carl von Clausewitz dem »Gallenbrechdurchfall«, dem die Preußen, Russen und Polen zu dieser Zeit relativ machtlos ausgesetzt waren. Erst 1854 wurde das Bakterium »Vibrio cholerae« entdeckt, das diese verheerende Krankheit erregte.
König F. W. III. schreibt am 22.11.1831 zu Clausewitz´ Tod an den General Graf Zieten, der dem Monarchen die Meldung über dessen Ableben erstattet hatte:
»(…) Ihre Meldung von dem plötzlichen Ableben des Generalmajors von Clausewitz, Inspekteur der 2. Artillerieinspektion, ist Mir ebenso unerwartet als schmerzlich gewesen. Die Armee erleidet dadurch einen schwer zu ersetzenden Verlust, der mich sehr betrübt. (…)«
(Vergl. Priesdorf, »Soldatisches Führertum«, Hg. Kurt von Priesdorf, Hanseatische Verlagsanstalt Hamburg, T. 8, 1429, S. 71)
Clausewitz wurde auf dem alten Militärfriedhof in Breslau beigesetzt. Am 19. November 1971 – nach 140 Jahren – wurden die sterblichen Überreste Clausewitz´und seiner Gattin Marie nach deren Überführung auf dem Burger Ostfriedhof mit einem feierlichen Staatsakt wieder der Erde übergeben.
Die überaus spannende Geschichte dieses Ereignisses schildert Dr. Andrée Türpe in »Der vernachlässigte General? Das Clausewitz-Bild in der DDR«, 2. von Breslau nach Burg – die Rückführung des Generals Carl von Clausewitz 1971, S. 117 bis 150.
_________________
Zu den Häuptern des Grabes steht ein Steinernes Kreuz, das auf den Armen die Inschrift trägt:
Hier ruht in Gott Karl Philipp Gottfried von Clausewitz
königlicher Generalmajor und Inspekteur der Artillerie
Geb. 1. 06. 1780 – Gest. 16. 11. 1831
Der Sockel des Kreuzes trägt die Worte:
»Amara mors amorem non separat«
Das Grab selbst bedeckt eine Steinplatte mit der Inschrift:
Hier ruht an der Seite des vorangegangenen geliebten Gemahls
Marie Sophie von Clausewitz geb. Gräfin von Brühl
Geb. in Warschau 3.6.1779 – Gest. in Dresden 28.1.1836
(Quelle: Priesdorf, S.71)