I. Napoléons “Herrschaft der 100 Tage”
»Was Napoleon wirklich that, wird auf die Länge in demjenigen bestehen, was er gerecht that;
was die Natur mit ihren Gesetzen genehmigen wird.
Was an Wirklichkeit in ihm war; das und weiter nichts,
wird von Bestand sein.
Alles übrige war Rauch und Schutt.«
(Thomas Carlyle, Über Helden, Heldenverehrung und das
Heldentümliche in der Geschichte, Berlin 1853, Deckersche Ober-Hofbuchdruckerei, S. 432)

»Waterloo«, dieser weltberühmte Name, verbunden mit einer der blutigsten Schlachten der Militärgeschichte, wird – und das ist ein Anachronismus der Geschichte – selten mit den Siegern Wellington (*1769; †1852) und Blücher (*1742;†1819) verbunden, sondern in der Regel mit dem Verlierer der Schlacht, mit Napoléon Bonaparte (*1769; †1821).
Dessen jahrzehntelanger menschenmörderischer, blutiger Weg durch Europa, nach diesem letzten seiner Waffengänge – auf Sankt Helena – in britischer Gefangenschaft endete.
[…] In der berühmtesten aller Schlachten, in der von Belle-Alliance, setzte Bonaparte seine letzten Kräfte daran, eine Schlacht zu wenden, die nicht mehr zu wenden war, er gab seinen letzten Heller aus und floh wie ein Bettler vom Schlachtfelde und aus dem Reiche. […]
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag MfNV, Berlin 1957, IV.Buch, 9.Kap. Die Hauptschlacht, S. 255)
Clausewitz (*1780; †1831) präferiert hier den Namen »Belle-Alliance« für die Bezeichnung der Schlacht vom 18. Juni 1815, die an diesem Tage unweit des südlich von Brüssel gelegenen Dorfes »Waterloo« geschlagen wurde. Eine Namenskontroverse, die einen eigenartigen historischen Hintergrund hatte und bis heute in der Literatur anzutreffen ist.
Im deutschen Sprachraum hielt sich die Clausewitzsche Bezeichnung wenigstens bis 1945. Hier berief man sich offensichtlich auf das Bemühen Blüchers. Dieser traf Wellington noch am Abend nach der Schlacht – gegen 22:00 Uhr – beim Gasthof »Belle-Alliance«. Dort soll er den Vorschlag gemacht haben, der siegreichen Schlacht den Namen des Ortes zu geben, an dem das Zusammentreffen stattfand. Hier befand sich auch der zentrale Punkt der französischen Gefechtsordnung.
Die Franzosen wiederum bezeichneten sie nach dem Pachthof Mont St.-Jean, dem Schlüssel der britischen Stellung.
[…] Um Mitternacht in Waterloo, von der Verfolgung zurückkommend, die ich mit der preußischen Armee bis Genappe fortgesetzt hatte, sagte ich dem Herzog, der Feldmarschall werde die Schlacht »Belle-Alliance« benennen. Er gab mir keine Antwort darauf und ich bemerkte sogleich, dass er nicht die Absicht hatte, ihr diesen Namen zu geben. Ob er nun fürchtete, sich selbst oder seiner Armee etwas dadurch zu vergeben, — ich weiß es nicht, indeß er hatte in seinem vorläufigen Bericht nach England, die Schlacht wahrscheinlich bereits Schlacht bei Waterloo genannt, denn er war gewohnt, seine in Indien und Spanien gewonnenen Schlachten nach seinem Hauptquartier zu benennen. […]
(Vergl. Friedrich Karl Freiherr v. Müffling, sonst Weiß genannt, »Aus meinem Leben«, Berlin 1855, Verlag Mittler und Sohn, S. 217)
Friedrich Karl Freiherr von Müffling (?1775; †1851) war Offizier, Kartograph und Politiker. Er war einer der jüngsten Generalstabsoffiziere der Freiheitskriege und diente unter Blücher und Gneisenau u. a. als Generalquartiermeister, später – nach 1815 – als Chef des Generalstabes des Heeres. Müffling war Staatsrat und 1829 Vermittler Friedrich Wilhelm III. zwischen dem türkischen Sultan und dem Zaren von Russland.
Wir nehmen uns hier nicht vor, die Historie dieses epochalen Ereignisses in Gänze zu schildern. Das würde den Rahmen unserer Möglichkeiten sprengen. Darüber hinaus ist die Zahl der Publikationen weltweit schier unüberschaubar und füllt Bücherregale sowie Bibliotheken. Deshalb werden hier nur ausgewählte Fakten dargestellt. Vieles ist jedoch mittlerweile Allgemeinwissen und muss durch uns nicht in allen Fällen mit Quellen unterlegt werden. Problematisch sind Zahlenangaben, die in Publikationen in unterschiedlichen Größen erscheinen und sich kaum nivellieren lassen. Wir beziehen uns daher – Zahlen über Stärken und Uhrzeiten betreffend – auf Carl von Clausewitz.
(Vergl. Sämtliche Schriften »Vom Kriege«, Strategische Übersicht des Feldzuges von 1815, Mundus Verlag, 1999, S. 511 ff.8)
In den Kriegen, in denen Napoléon (*1769; †1821) die französische Armee führte, brachte er bis 1812 den Armeen der wichtigsten europäischen Mächte vernichtende Niederlagen bei. Das war verbunden mit empfindlichen Gebietsverlusten für Österreich und Preußen in den Jahren 1805, 1806 und 1809. Erst 1812 stieß die »Grande Armée« an ihre Grenzen, die in den Weiten Russlands im Schnee und Frost – unter den Schlägen der russischen Armee – unterging.
In der Völkerschlacht bei Leipzig, vom 16. bis 19. Oktober, schlagen die alliierten Preußen, Österreicher und Russen die französische Armee. Nach harten Kämpfen kapituliert Paris Ende März 1814. Napoléon dankt im April ab und wird nach Elba verbannt. Am 30. Mai kommt es zum Frieden zu Paris und der »Wiener Kongress« tagt infolgedessen ab dem 30. Oktober 1814.
Napoléon beobachtet den Verlauf des Kongresses sehr genau und sieht auch dessen mögliches Scheitern. Im Dezember 1814 hatte sich auf dem Wiener Kongress ein Streit über die Zukunft von Sachsen und Polen entfacht. Russland strebte nach der Macht über Polen und Preußen, forderte Teile Sachsens. Österreich und Frankreich verfolgten eigene Pläne. Napoleon vernimmt auch den steigenden Unwillen gegen die Bourbonen in Frankreich. Möglicherweise befürchtete der abgedankte Kaiser der Franzosen auch, dass die Alliierten ihn in ein weiter entferntes Exil bringen könnten. Die Briten wären dafür gewesen.

Napoléon fasste einen Entschluss und verließ am 26. Februar mit 1.100 Soldaten Elba, um am 1. März 1815 mittags gegen 13:00 Uhr im Golf von Jouan – an der ligurischen Küste – mit seinen Truppen an Land zu gehen. Niemand hielt ihn auf. Der britische Oberst Neil Campbell (*1776; †1827), der auf Elba für die Bewachung Bonapartes zuständig war, befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Toskana. Im Gepäck hatte Bonaparte die beiden Proklamationen »An das Volk« und »An die Armee«.
Ein Paukenschlag, der bis Wien tönte. Im Sturmschritt erschien der Kaiser wieder in Paris, verjagte den Bourbonenkönig Ludwig XVIII. und eröffnete so seine »Herrschaft der 100 Tage«, die bis zum 22. Juni, den Tag der erneuten Abdankung, dauerte.
Wenige Tage nach der Landung wurde Napoléon bereits am 13. März durch die Alliierten auf dem Wiener Kongress in Acht und Bann gesetzt. Am 25. März wurde die Allianz von 1814 erneuert und die Entsendung eines Heeres beschlossen. Auf Napoléons Rede vom zukünftigen Frieden ging man konsequent nicht ein. Die Verbündeten beschlossen, mit vier Armeen gegen Napoleon vorzugehen. Eine englisch-deutsche unter dem Herzog von Wellington in Belgien, eine preußische am Niederrhein unter Feldmarschall Blücher, eine russische am Mittelrhein unter Feldmarschall de Tolly und eine österreichisch-deutsche am Oberrhein unter dem Fürsten Schwarzenberg. Bis zu 150.000 Soldaten und Reserven sollten die vier Länder jeweils bereitstellen.
(Vgl. Cornwell Bernard, Waterloo. Eine Schlacht verändert Europa. Reinbek bei Hamburg 2015, S. 36)
Die Idee war, rund 700.000 Kombattanten zu entsenden, die mit fünf Millionen Pfund Sterling Londoner Banken zu finanzieren waren.
(Vergl. Taktik und Strategie der Revolutionskriege, S. Fiedler, 1988, Bernhard & Graefe, S. 266)
Dem gegenüber sollte Napoléon Bonaparte lediglich über rund 230.000 feldverwendbare Männer verfügen, auf die er jedoch nicht vollständig zurückgreifen konnte, da er mit etwa der Hälfte dieser theoretischen Truppenstärke noch die Grenzen Frankreichs sichern musste.
(Vergl. Friedrich, Rudolf: Die Befreiungskriege 1813 – 1815, Berlin 1913, Mittler & Sohn 1913, Bd. 4, Der Feldzug von 1815, S. 72 f.)
Clausewitz beziffert o. g. Stärke in seiner Schrift über den Feldzug von 1815 jedoch auf 217.000 Mann.
Napoléon begriff, dass auf Grund der strategischen Lage nicht abzuwarten war, bis sich seine Gegner auf dem zukünftigen Kriegsschauplatz versammelt hätten. Feldmarschall Schwarzenberg (*1771; †1820), der die Gesamtführung der Alliierten haben sollte, würde mit den österreichischen Truppen nicht so bald am Rhein erscheinen. Den weitesten Weg würden die Russen haben, die sich schwerfällig mit etwa 3 bis 4 Meilen pro Tag in Richtung Niederrhein bewegten. Um zum Verband von Wellington und Blücher zu stoßen, hätten Russen und Österreicher etwa drei bis vier Wochen benötigt. Dementsprechend ordnete sich Schwarzenberg, der die Alliierten führen sollte, Wellington unter.
In der Realität standen dem Herzog von Wellington Anfang Juni etwa 100.000 Mann zur Verfügung. Diese Armee entbehrte jedoch einer stabilen Homogenität. Nur etwa ein Drittel der Truppen waren Engländer, der Rest setzte sich aus Hannoveranern, Braunschweigern, Lüneburgern, Nassauern, Holländern und Belgiern zusammen, an deren Professionalität und Loyalität zumindestens der Herzog zweifelte.
Blüchers Preußen waren schon seit Ende Mai kampfbereit, da diese sich noch seit 1814 auf dem Kriegstheater befanden. Lediglich die Landwehr war nach Hause entlassen worden und musste daher erneut herangeführt werden. Es standen rund 117.000 [115.00 nach C. v. C.] zuverlässige Preußen im Glied.
(Vergl. Taktik und Strategie der Revolutionskriege, S. Fiedler, 1988, Bernhard & Graefe, S. 266)
Die Preußen hatten Anfang Mai – sechs Wochen vor der entscheidenden Bataille – eine Meuterei sächsischer Truppen überstanden, die entsprechend der »Wiener Beschlüsse« in die preußische Armee eingegliedert worden waren. Blücher griff energisch durch, ließ Rädelsführer füsilieren, die Bataillonsfahnen verbrennen und schickte die Sachsen – immerhin rund 15.000 Mann, einschließlich Offiziere – ehrlos nach Dresden zurück.
(Vergl. »Sächsische Heimatblätter«, 2 – 16, Aufstand sächsischer Grenadiere … im Mai 1815, Stephan Freiherr von Welck, S. 183 f.)
Über die Eigentümlichkeiten der Generale und Offiziere:
[…] Was die Eigentümlichkeit der Generale betrifft, so geht hier alles in das Individuelle über, aber die eine allgemeine Bemerkung dürfen wir nicht übergehen, daß man nicht, wie wohl zu geschehen pflegt, die vorsichtigsten und behutsamsten an die Spitze der untergeordneten Armeen stellen soll, sondern die unternehmendsten, denn wir kommen darauf zurück: Es ist bei der getrennten strategischen Wirksamkeit nichts so wichtig, als daß jeder Teil tüchtig arbeite, die volle Wirksamkeit seiner Kräfte äußere, wobei denn die Fehler, welche auf einem Punkt begangen sein können, durch die Geschicklichkeit auf anderen ausgeglichen werden. […]
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag MfNV, Berlin 1957, Skizzen zum achten Buche, 9. Kapitel, Kriegsplan …, S. 764)
Aus der Vielzahl der 1815 herausragend handelnden Feldherren, Generalen und Offizieren wollen wir Napoléon, Wellington und Blücher würdigen. Später dann noch Grouchy, Cambronne, Gneisenau und Clausewitz explizit erwähnen.
Sir Arthur Wellesley, Herzog von Wellington
war durch die Umstände der Entfaltung der alliierten Streitkräfte im Frühsommer 1815 praktisch gezwungen, die Führung der Teilstreitkräfte der Briten und Preußen an sich zu ziehen.

Wellington hatte zuvor, von 1808 bis 1813, fünf Jahre lang auf der spanischen Halbinsel erfolgreich gegen die Franzosen gekämpft. Beispielgebend seine Siege bei Salamanca, Vitoria und die Einnahme von Madrid. Er überschritt die Pyrenäen und nahm 1814 Toulouse ein. Kein Geringerer als Ludwig van Beethoven (*1770; †1827) komponierte ein sinfonisches Schlachtengemälde anlässlich der Schlacht von Vitoria, die am 21. Juni 1813 im Baskenland stattfand und in der die Briten unter Wellington die Franzosen vernichtend schlugen. Durch seine Siege war er bereits 1815 ein populärer und geachteter Soldat, der jedoch nicht ohne Missbilligungen war. So sprach er über seine Soldaten blasiert und nannte diese sogar »the scum of the earth«, was soviel wie »Abschaum der Erde« bedeutet.
Friedrich Engels schrieb zur Person Wellington:
[…] Obwohl der Herzog im allgemeinen den für die Engländer charakteristischen gesunden Menschenverstand besaß, war er doch in vieler Hinsicht engstirnig und beschränkt (…) Eigensinnig klammerte er sich an alle Mißstände und Widersinnigkeiten in der englischen Armee und entgegnete auf jede Kritik: “Diese Mißstände und Widersinnigkeiten haben uns in Spanien und Portugal zu Siegern gemacht”, was völlig mit seiner konservativer Auffassung übereinstimmt. […]
(Vergl. K. Marx — Engels — Werke, Bd. 10, Dietz Berlin 1961, S. 247 – 253)
Wir erfahren, dass der Herzog den »Schlachtengott« Bonaparte als Mensch verachtete, aber ihn jedoch als Soldat bewunderte. Im Gegensatz zu Napoléon hatte der Duke noch nie eine Schlacht verloren, […] … aber gegen den Kaiser kämpfen zu müssen, konnte ihm sehr wohl diese außergewöhnliche Bilanz vermiesen. […]
(Vgl. Cornwell Bernard, Waterloo. Eine Schlacht verändert Europa. Reinbek bei Hamburg 2015, S. 17)
Als Truppenführer lagen seine herausragenden Fähigkeiten auf taktischem Gebiet, im operativen Sinne fehlte ihm (nach Meinung des Autors) ein gewisses Maß an Weitsicht, was noch darzustellen wäre. In seiner Fähigkeit, den »defensiven Kampf« zu führen, die schon in Spanien charakteristisch war, zeigte er Willenskraft, Nervenstärke, Kaltblütigkeit und Stehvermögen. Somit entkräftete er erfolgreich seine Gegner. Er verfügte über einen exzellenten Stab im damaligen Sinne, führte aber über den Befehl kompromisslos direkt »von vorne«.
Heinrich von Treitschke (*1834; †1896) beschrieb das Verhältnis Wellingtons zu seinen Offizieren ernüchternd und vernichtend:
[…] Die Offiziere liebten den Gestrengen wenig, der nie in kameradschaftlicher Herzlichkeit auftaute, nie ein Anflug von Wohlwollen oder Großmut verriet, auch nicht, wenn der Dienst dabei keinen Schaden nehmen konnte. Der durchbohrende Blick der kalten Augen, die stolzen Züge mit der Adlernase und dem fest geschlossenen Munde, der scharfe befehlende Klang der Stimme verboten jede vertrauliche Annäherung. Aber alle gehorchten. […]
(Vergl. »Treitschke — Deutsche Geschichte«, H. Heffter, Kröner — Leipzig, 1934, S. 383)
Wellington war noch bis 1818 britischer Oberbefehlshaber, danach mit wenig Fortune von 1827 bis 1830 konservativer britischer Premierminister. Er starb am 14. September 1852 und wurde in der Krypta der St. Paul’s Cathedral in London beigesetzt.
Feldmarschall Fürst Gebhard Leberecht Blücher von Wahlstatt
Aus einem Gespräch Napoléons über Blücher auf Elba:
[…] Der alte Teufelskerl hat mich stets mit gleicher Wut angegriffen; kaum hatte ich ihn geschlagen, so stand er wieder kampfbereit vor mir. […]
(Vergl. W. v. Unger, Bd. II: Von 1812 bis 1819, Berlin 1908, S. 245)
Er, der usurpierte Kaiser der Franzosen, hätte es wissen müssen, als er Elba verließ, dass ihm der alte Haudegen wieder gegenüberstehen würde. Bei Ligny am 16. Juni 1815 – zwei Tage vor der Schlacht bei Waterloo – geschlagen, stand er am 19. Juni wieder kampfbereit vor ihm und »griff mit gleicher Wut« abermals an und siegte.

Wir nehmen uns die Freiheit, den preußischen »Heroen« an dieser Stelle ausführlich zu würdigen.
Blücher, in Rostock geboren, diente während des Siebenjährigen Krieges in einem schwedischen Husarenregiment. 1759 geriet er in preußische Gefangenschaft und erregte dort die Aufmerksamkeit von Oberst von Belling (*1719; †1779). Von Belling war einer der bedeutendsten Reitergenerale von Friedrich II. Zu dieser Zeit war er Kommandeur der »Totenkopfhusaren«, wurde da auf Blücher aufmerksam und nahm ihn als Kornett in sein Regiment. Undiszipliniertheiten und Streit mit einem Vorgesetzten führten später – nach daraufhin versagtem Avancement – dazu, dass er als Stabsrittmeister seinen Abschied nahm. Friedrich der Große quittierte Blüchers Gesuch sichtlich sauer mit den Worten:
[…] Rittmeister von Blücher hat die Erlaubnis, seinen Abschied zu nehmen und kann, sobald es ihm gefällt, sich zum Teufel scheren. […]
(Vergl. «Blücher. Der Marschall Vorwärts«, R. Parkinson, List Verlag 1976, S. 27)
Blüchers militärische Laufbahn war zunächst scheinbar zu Ende, und er zog sich für 14 Jahre auf seine Güter Gresonse, Stewnitz, später dann Groß Raddow, zurück und betrieb erfolgreich Landwirtschaft. Mehrere Versuche mit insgesamt 10 Bittbriefen für eine Wiederaufnahme in des Königs Armee wurden abschlägig beantwortet. Erst Friedrichs Nachfolger Friedrich Wilhelm II. setzte Blücher – mit Ernennung zum Major – im März 1787 wieder in seinem alten Regiment ein. Zur gleichen Zeit etwa wurde ein gewisser 18-jähriger Arthur Wellesley – der spätere Lord Wellington und Held von Waterloo – zum Fähnrich im 73. Highland-Regiment ernannt.
Bei Wiederaufnahme seines Dienste in der Preußischen Armee war Blücher eigentlich im »Pensionsalter« und zählte bereits 44 Jahre. Major Blücher zeigte sich als umsichtiger Truppenführer und bildete seine Husaren zu einer Eliteformation aus. Dabei setzte er bereits vor der späteren Militäreform die Prügelstrafe aus. Für seine Truppe sollte freiwilliges, mutiges und selbstständiges Handeln in Ehre gelten. Trotz seiner eigenen mangelhaften Schulbildung sorgte er sich um eine ausgewogene Bildung der Kinder seiner Soldaten und richtete eine Garnisons-Schule ein. Im Dienst und nach Dienst war Blücher wieder Blücher, der das Leben liebte.
Im Jahr des Todes seiner Frau Karoline (1790) avancierte »Papa Blücher« zum Oberst und erhielt den »Pour le Merite«. 1792 bis 1794, während des ersten Koalitionskrieges, wird er Generalmajor und Träger des »Roten Adler-Ordens«. 1801 erfolgte die Ernennung zum Generalleutnant und Gouverneur von Münster. 1805 reichte er eine Denkschrift mit dem Titel »Gedanken über die Bildung einer preußischen Nationalarmee« ein. Blücher gehörte prononciert der preußischen Kriegspartei an, die sich gegen Frankreich richtete. In der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt 1806 führte er die Kavallerie-Avantgarde. Nach der Niederlage führten Blücher und Scharnhorst unter unsagbaren Strapazen rund 6.000 Mann kämpfend nahezu 800 km nach Lübeck. Unter der Übermacht der Franzosen kapitulierte Blücher am 7. November bei Ratkau mit folgenden Worten:
[…] Da mir von dem Fürsten von Ponte Corco (Bernadotte) eine Kapitulation angeboten wurde und ich angenommen habe, weil ich kein Brot und keine Munition mehr habe. […]
(Vergl. «Blücher. Der Marschall Vorwärts«, R. Parkinson, List Verlag 1976, S. 107)
Nachdem er sich mit Bernadotte geeinigt hatte, bestieg er am Nachmittag des 7. November, die Uniform zerrissen und schmutzig, die Hände vor Müdigkeit zitternd, sein Pferd und ritt langsam zu den Franzosen in die Gefangenschaft. Scharnhorst wird später am 22. November in einem Brief an seine Tochter seinen und Blüchers Gemütszustand nach der Niederlage schildern:
[…] Ihr kennt meine Gefühle, meine Ansichten Ihr könnt Euch leicht ein Bild von meinem inneren Zustand machen. (…) so habe ich die traurige Freiheit, mich ganz dem Ausbruch des Schmerzes zu überlassen. (…) Niemand sah ich jemals trauriger als den bravsten der Menschen, die ich jemals kannte, den General Blücher. Mich trifft es doppelt, da ich alle die Fehler, die Dummheit, die Feigheit kenne, die uns in die jetzige Lage gebracht haben. […]
(Vergl. »Scharnhorsts Briefe«, Bd.I, K. Linnebach, 1914, G. Müller, S. 298)
Am 24.02.1807 wurde Blücher gegen den französischen Marschall Victor ausgetauscht. Napoléon wollte ihn sehen und holte ihn zum Schloss Finkenstein. Um 1809 hatte sich Blücher beim Franzosenkaiser mehr als unbeliebt gemacht, und dieser forderte den Preußenkönig auf, Blücher zu entlassen. Nach seiner Entlassung am 11.November 1811 ging er im Januar 1812 auf das vom König geschenkte Gut Kunzendorf. Dort beobachtete er den Lauf der Geschichte. Auf Tauroggen folgte das Preußisch-Russische Bündnis von Kalisch (26.02.1813), was Blücher mit den Worten »Mich juckt´s, den Säbel zu ergreifen …« kommentiert haben soll.
Scharnhorst setzte sich beim König vehement für Blücher ein, der das Schlesische Korps führen sollte. Die Schlacht bei Großgörschen war am 2.Mai 1813 geschlagen. Blücher und Scharnhorst wurden verwundet. Keine der Seiten konnte den Sieg für sich verbuchen. Die Russen und Preußen verblieben auf dem Schlachtfeld und zogen am folgenden Tag geordnet in Richtung Osten ab. Blücher sorgte sich um die Moral ob des Rückzuges und sprach zur Truppe:
[…] … nun haben uns die Franzosen kennengelernt, und sie werden sich besinnen, bis sie uns wieder angreifen. Pulver und Blei haben wir verschossen, das ist natürlich, und nun gehen wir nach Dresden, um uns frisches zu holen, wer das Retirieren nennt, ist ein Hundsfott! […]
(Vergl. »Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen«, Dorothea Schmidt, Bd. 2, Brandenburgisches Verlagshaus, S. 547)
Marschall von Boyen meinte an dieser Stelle, dass Blücher ein geborener Volksredner war, der die Gabe besaß, aus dem Stehgreif zu sprechen und den Gang der Rede den Vorstellungen der Zuhörer anzupassen.
Mit der Schlesischen Armee siegte er an der »Katzbach« (26.08.1813), bei Wartenburg mit General Yorck (*1759; †1830) und in der »Völkerschlacht« bei Leipzig. Nach der Schlacht, am 21.10 1813, wurde der »Маршал Вперед« (Marschall vorwärts), wie die russischen Verbündeten Blücher nannten, Generalfeldmarschall.
Nach Leipzig trieben die Verbündeten Napoléon über den Rhein bei Kaub (1.1.1814). Am 31. März, nach schweren und verlustreichen Kämpfen, folgte die Kapitulation von Paris. Blücher – kräftemäßig am Ende – ließ sich durch Yorck beim Einzug der Verbündeten in Paris vertreten. Dieser antwortete eisig auf die Frage des Preußischen Königs, der mit dem Aussehen seiner Truppen unzufrieden war, wo seine Garden wären, mit »Majestät, dies sind Ihre Garden«. Die Preußische Landwehr durfte wegen ihres schlechten Zustandes nicht an der Parade auf dem Montmartre teilnehmen. Was Blücher nur schwer ertrug.
In der Folge dieser Ereignisse wurde der Generalfeldmarschall hoch geehrt. Er erhielt den Titel »Fürst von Wahlstadt«, die Ehrendoktorwürde in Cambridge und Oxford und andere. Nach den Kämpfen zog sich der »Alte« auf seine schlesischen Güter zurück. Nach Rückkehr des Korsen rief der König ihn wieder zur Führung der Armee, mit Gneisenau als Stabschef. Ihm und Gneisenau war es zu danken, dass nach der verlorenen Battaille bei Ligny die Preußen zwei Tage später, am 18. Juni, auf der linke Flanke Wellingtons auftauchten und unter Führung Blüchers zum finalen Sieg über Napoléon Bonaparte beitrugen. »Vater Blücher« wurde mit dem Blücher-Stern des Eisernen Kreuzes geehrt und quittierte endgültig den Dienst. Der König suchte seinen Helden noch einmal auf und bedankte sich.
Am 12. September starb der »Alte Blücher« auf seinem Gut Krieblowitz. Auf dem Sterbelager bat er – so die Erzählung – sich das Trompetensignal zur Retraite (Rückzug) aus. Seine Heimatstadt Rostock ehrte ihn mit einem Denkmal von Schadow, auf dem die Worte Goethes zu lesen sind:
In Harren und Krieg,
In Sturz und Sieg
Bewußt und groß,
So riß er uns
Von Feinden los.
[…] Es ist geradezu wundersam, daß dieser mecklenburgischer Junker und friedrich‘sche Soldat in seinen Greisenjahren ein deutsch-patriotisches Feuer in der Seele trug, (…) Summa:- ein ganzer Mann, ein großer Feldherr, ein hellsichtiger und warmer Patriot, ein tapferer Vorwärtsgänger und energischer Vorwärtstreiber, ein echter und rechter Nationalheld. […]
(Vergl. Blücher 1813 – 1819, seine Zeit und sein Leben, Bd. 3, Johannes Scheer, Hesse & Becker, 1920 S. 422)
Die Geschichte geht oft seltsame und traurige Wege. Bei der Einnahme des Ortes Krieblowitz durch die Rote Armee im Frühjahr 1945 wurde das Mausoleum des Helden zerstört, und der Sarg sowie die sterblichen Überreste des »Маршал Вперед« gingen durch Vandalismus verloren. Die russischen Soldaten wussten nicht mehr, wer der Held und Russlands Verbündeter – »Маршал Вперед« – war.

Napoléon Bonaparte

Fünf Fragen, die ein französischer Schriftsteller und Historiker uns und der Welt stellt, die einer Betrachtung bedürfen.
[…] Die Schicksale großer Menschen sind unvoraussagbar. Wer hätte 1769 gedacht, daß ein Kind, das in jenem Jahr auf Korsika geboren wurde, in Frankreich ein Kaiserreich errichten und Europas Throne an seine Brüder verteilen würde? Wer hätte 1794 vorausgesehen, daß ein junger Leutnant, der nicht einmal Franzose war, im Jahr 1800 Herrscher von Frankreich würde? Wer hätte 1810 zu behaupten gewagt, daß dieser leuchtende Stern fünf Jahre später wieder erlischt? Wer hätte sich 1815 vorstellen können, daß sechs Jahren Verbannung den Akkord anschlagen würden für den erstaunlichsten Nachhall des Jahrhunderts? Und wer dachte damals, daß die Franzosen die Erinnerungen an diesen Mann, der sie zwanzig Jahre lang zur Schlacht, zum Sieg und dann zur Niederlage führte, teuer bleiben und sein Leben zu einer der glänzendsten Legenden der Geschichte würde? […]
(Vergl. »Napoleon« André Maurois, RM Buch und Medien Vertrieb GmbH, Reinbeck bei Hamburg, S. 7)
Wege zur Macht
Napoléon Bonaparte, eigentlich Napoléone Buonaparte, kommt am 15. August 1769 in Ajaccio zur Welt, der Hauptstadt der Insel Korsika. Seine Familie stammt ursprünglich aus Italien, und seine Eltern gehören zum niederen Adel der Insel. Mit neun Jahren kann Napoléon dank eines königlichen Stipendiums für verarmte Adlige auf die Militärschule von Brienne gehen. Der Französischen Revolution von 1789 verdankt Napoleon seine steile Karriere in der Armee. 1793 führte er erfolgreich die Artillerie der Revolutionstruppen in der Schlacht um Toulon gegen die königstreuen Royalisten, daraufhin wird er zum Brigadegeneral befördert. 1796 führt Napoleon die Revolutionsarmee im Italienfeldzug. Der Sieg gegen Österreich und die Besetzung Belgiens, der Lombardei und des Rheinufers ebnen den Weg zur Macht. 1798 bricht er auf Befehl der Revolutionsregierung zur »Ägyptischen Expedition« auf. Dieser Feldzug an den Nil wird zum scheinbaren Triumph. Napoléon erreicht nicht nur die Loslösung Ägyptens vom Osmanischen Reich, er verursacht mit dem Feldzug auch eine beachtenswerte kulturelle Entwicklung. Das Interesse am Ägypten der Pharaonen lebt europaweit auf.
Kaiserkrönung
Napoleons große Popularität in der Armee und im Volk ermöglicht es ihm, 1799 zum Sturz der Revolutionsregierung beizutragen. Am 13. Dezember lässt er sich für zehn Jahre zum obersten von drei Konsuln wählen. Praktisch hat er nun die alleinige Macht. Er zentralisiert den Staat und veranlasst Reformen in der Justiz, im Militär und in der Bildung. 1804 veröffentlicht er den »Code Civil«, das erste bürgerliche Gesetzbuch Frankreichs, welches auch in die deutschen Länder hineinwirkt und eine bis heute gültige Gesetzesform darstellt. Damit stellt sich Napoléon als Verfechter von Progress und Freiheit dar. Es gelingt ihm, den französischen Haushalt zu sanieren.
Bereits seit 1802 Konsul, folgt 1804 die Krönung zum Kaiser von Frankreich. In der Pariser Kathedrale »Notre Dame« entreißt er dem Papst die Krone und krönt sich kurzerhand selbst. Seiner Intuition, Herrscher Europas sein zu wollen, folgte er als Kaiser Napoleon I. durch eine aggressive Expansionspolitik. Er erobert Italien und Holland und setzt seine Brüder als Könige der Vasallenstaaten ein. Einen seiner größten militärischen Erfolge feiert Napoleon 1805 bei der sogenannten “Dreikaiserschlacht” von Austerlitz. Dort schlägt er Österreich und Russland vernichtend. Der Friedensvertrag von Pressburg versetzt dem schon lange überlebten Heiligen Römischen Reich deutscher Nation den Todesstoß.
Der geniale Feldherr neuen Typs
Der Herzog von Wellington erkannte das Genie Napoléon und formulierte, dass alleine die
[…] Anwesenheit [Napoléons] auf dem Schlachtfeld einen Unterschied von 40.000 Mann ausmachte. […]«
(Vergl. »Den Krieg denken«, B. Heuser, F. Schöningh, 2010, S. 146)
Geboren wurde diese neue Art der Kriegsführung, die sich fundamental von der des »Ancien Régime« unterscheidet, durch das Prinzip der Theorie »Levée en masse« (frz. für »Massenaushebung«). Begründet durch Graf Lazare Nicolas Marguerite Carnot (*1753; †1823). Graf Carnot brachte die Deklaration der »Levée en masse« (frz. für »Massenaushebung«) unter dem Eindruck schwerer Niederlagen der jungen französischen Armee gegen die Koalitionstruppen in den Wohlfahrtsausschuss Frankreichs ein, die dann am 23. August 1793 im Nationalkonvent verabschiedet wurde.
Danach sollten
[…] Von diesem Moment an und bis alle Feinde vom Territorium der Französischen Republik vertrieben sind, alle französischen Personen in ständige Bereitschaft für den Dienst in der Armee versetzt werden. Die jungen Männer werden in den Kampf ziehen, verheiratete Männer werden Waffen schmieden und Vorräte transportieren; Frauen werden Zelte und Kleidung nähen und in den Hospitälern dienen; Kinder werden alte Wäsche auftrennen; alte Männer werden an öffentliche Plätze verbracht, um den Mut der Krieger zu erwecken und den Hass auf die Könige zu predigen und andererseits die Einheit der Republik. [..]«
(Vergl. leg-ego.eu/…/ambrogio-a-caiani-levée-en-masse)
Die Idee, die Forderung Carnot´, war sinngemäß:
[…] »Agir toujours en masse« – in Massen handeln, keine Manöver mehr, keine Kriegskunst, sondern Feuer, Stahl und Vaterlandsliebe. […]
(Vergl. M. Howard »Krieg in der europäischen Geschichte: vom Mittelalter bis …«, S. 114)
Clausewitz erkannte, daß der Krieg in Abhängigkeit der Kulturen, die ihn führen, sich in veränderter Gestalt zeigen kann. Mit dem Erscheinen Napoléons auf den Schlachtfeldern Europas war es das Ziel, den Gegner nicht nur vor sich her zu treiben, zu manövrieren oder auszuweichen, sondern der Feind sollte niedergeworfen, besser noch, vernichtet werden. Napoléon konzentrierte seine Truppen und führte einen Schlag mit den verbundenen Waffen (Artillerie, Kavallerie, Infanterie) auf einen wesentlichen Punkt der gegnerischen Schlachtordnung, von dem deren Resilienz abhängen würde. Dabei massierte er seine Kräfte und schuf am entscheidenden Punkt ein deutliches Übergewicht. Dorthin führte Napoléon einen »Schlag« mit der Artillerie, stieß dann mit massiven Kolonnen in die Breschen der feindlichen Linien und ließ danach den Erfolg durch die Kavallerie ausweiten.
Clausewitz schilderte dieses Prinzip in seinem militärischen Denken schon sehr früh. Bereits in der »Ausbildung der Kronprinzen zu den Grundsätzen des Kriegführens« an der Allgemeinen Kriegsschule – ab 1810 zu Berlin –, können wir das erkennen.
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag MfNV, Berlin 1957, Anhang zum achten Buche Kriegsplan, S.788 f)
Mit einer Kontinentalsperre (1806 bis 1814) schafft Napoleon eine neue Art des Krieges, den »Wirtschaftskrieg«. Um England in die Knie zu zwingen, verhängt er 1806 einen radikalen Importstopp für sämtliche Güter der britischen Insel und ihrer Kolonien.
Napoléon besticht durch die Schnelligkeit seiner Entscheidungen und sein kompromissloses Handeln.
Mit raschen Angriffskriegen definiert Bonaparte eine neue Kriegsphilosophie. Seine Kriege sind totale Vernichtungskriege, sie stellen die Existenz ganzer Staaten in Frage und mobilisieren aber auch ganze Völker (siehe Russland und Preußen).
Clausewitz demonstriert dieses Phänomen durch die Definition dreier Wechselwirkungen:
1. Äußerste Anwendung der Gewalt;
2. Das Ziel ist, den Feind wehrlos zu machen;
3. Äußerste Anstrengung der Kräfte.
Nachfolgend die erste der drei Wechselwirkungen.
[…] Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem anderen das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, die dem Begriff nach zum Äußersten führen muß. […]
(Vergl. »Vom Kriege«, Carl von Clausewitz, Verlag MfNV, Berlin 1957, Erstes Buch, 1. Kapitel, S. 18 bis 21)
Der Weg von Tilsit nach St. Helena
1807 ist Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht. Kurz zuvor hat er in Jena und Auerstedt die Preußen vernichtend geschlagen. Im Frieden von Tilsit schließt er ein Bündnis mit Russlands Zar Alexander I. Damit reicht seine Einflusphäre von Spanien bis Polen.
1812 bricht Napoleon mit dem russischen Zaren und marschiert mit seiner »Grande Armée« in Russland ein. Der Russland-Feldzug, zu dem er Truppen aus nahezu allen Teilen seines Einflussbereichs mobilisiert, so auch in Preußen, wird für Napoleon zum Desaster. Zehntausende Soldaten sterben, Napoleon ist nun in der Defensive. Russland verbündet sich erfolgreich mit Preußen und Österreich. Napoleon verliert schließlich im Jahr 1813 die Völkerschlacht bei Leipzig.
Am 31. März 1814 erobert die antinapoleonische Koalition Paris, Kaiser Napoleon I. muss abdanken und wird ins Exil auf die Mittelmeerinsel Elba verbannt. Am 1. März 1815 gelingt Napoleon die Flucht nach Frankreich. Er kann Truppen um sich sammeln und die Macht temporal zurückgewinnen. Hundert Tage herrscht er, wird dann aber am 18. Juni bei der Schlacht in der Nähe des belgischen Waterloo vernichtend geschlagen. Auf der Flucht wird Napoléon festgesetzt. Die Briten verbannen ihn auf die englische Insel St. Helena, mitten im Südatlantik.
Der Mythos Napoléon
Unmittelbar nach seinem Tode beginnt die Auseinandersetzung um die Bedeutung Napoléons für die Nachwelt. Er sorgte durch sich selbst noch in seinem letzten Verbannungsort durch Betrachtungen über sein Leben und Wirken dafür. So führte er Gespräche mit verschiedenen Personen, die mit ihm auf St. Helena weilten, wie z. B. Bertrand, General Gourgaud, Emmanuel de Las Cases, General de Montholon, Louis-Étienne Saint-Denis, auch bekannt als der Mamelucke Ali, sowie sein Maître d’hôtel Jean Baptiste Cipriani und sein Kammerdiener Marchand. Berichte darüber wurden aufgezeichnet und dienen heute als Quellenlage über Napoléons Dasein und Mémorial. Er dachte laut über Politik, Staat, Demokratie, Verfassung, Freiheit, Gleichheit, Moral, Rechtsprechung, Bildung und Erziehung und vor allem über Europa nach. Er verfasste seine Memoiren »Mémorial de Sainte-Hélène« darüber, die im 19. Jahrhundert breite Beachtung fanden. Das wenig ruhmreiche Ende des »Schlachten-Gottes« erwies sich als Ursprung seines Mythos.
Über die »Memoiren Napoléons« schreibt Heinrich Mann in seinem Werk »Essays« folgendes:
[…] Das Buch, zu dem ich am häufigsten zurückkehre, sind die Memoiren Napoleons. Er hat sie in der dritten Person geschrieben, was wie göttliche Unpersönlichkeit wirkt und auch so wirken soll. Er hat sich darin weniger sich selbst verherrlicht, als das Schicksal geehrt, das so Großes von ihm wollte und in ihn in allem rechtfertigte… Er selbst ist der Führer von heute, der Intellektuelle, der zur Gewalt greift. Wo heute irgendeine Art von Führer an der Zukunft der Menschen sich versucht, ist es immer diese. Seien Memoiren sind unser Handbuch, wir verstehen uns mit ihm von selbst. Wäre er nochmals da, er wäre umgeben von der gleichen, »tiefen schweigenden Ehrfurcht«, die Stendhal nennt. Er wäre »völlig außer Vergleich und jeder würde es fühlen«, wie einst. […]
(Vergl. Heinrich Mann »Essays«, Hamburg: Claassen, 1960, S. 140)
Mann’s Worte scheinen heute von einer verblüffenden Aktualität, besonders wenn wir die Rolle Russlands im Verhältnis zu Europa betrachten, über die sich Napoléon auf St. Helena einließ.
La fin de L’empereur
Napoléon litt am Ende seines Lebens, neben anderen Gebrechen, an sehr starken Unterleibsschmerzen. Es war Zeit, sein Testament zu machen, und er verteilte das ihm gelassenen Vermögen an Getreue. Er, der bisher der Kirche fern blieb, rief nach einem Priester. Am 5. Mai 1821 starb Napoléon Bonaparte. Seine Leiche wurde obduziert und Magenkarzinom diagnostiziert. »A la tête de l´armée« – »An der Spitze der Armee« – sollen seine letzten Worte gewesen sein?

1840 wurden seine sterblichen Überreste nach Paris überführt, wo ihm ein exorbitantes Begräbnis im Invalidendom bereitet wurde. Sie liegen bis heute in einem Sarkophag.
Quintessenz
(Vergl. »Napoléons Staatsgedanken auf St. Helena, W. Leisner, Duncker & Humblot • Berlin, S. 13)