I. Napoléons “Herrschaft der 100 Tage”

»Was Napo­le­on wirk­lich that, wird auf die Län­ge in dem­je­ni­gen bestehen, was er gerecht that;
was die Natur mit ihren Geset­zen geneh­mi­gen wird.
Was an Wirk­lich­keit in ihm war; das und wei­ter nichts,
wird von Bestand sein.
Alles übri­ge war Rauch und Schutt.«

(Tho­mas Car­lyle, Über Hel­den, Hel­den­ver­eh­rung und das 
Hel­den­tüm­li­che in der Geschich­te, Ber­lin 1853, Decker­sche Ober-​Hofbuchdruckerei, S. 432)

Napo­lé­on Bona­par­te *15. August 1769; †5. Mai 1821 Quel­le www​.br​.de

»Water­loo«, die­ser welt­be­rühm­te Name, ver­bun­den mit einer der blu­tigs­ten Schlach­ten der Mili­tär­ge­schich­te, wird – und das ist ein Ana­chro­nis­mus der Geschich­te – sel­ten mit den Sie­gern Wel­ling­ton (*1769; †1852) und Blü­cher (*1742;†1819) ver­bun­den, son­dern in der Regel mit dem Ver­lie­rer der Schlacht, mit Napo­lé­on Bona­par­te (*1769; †1821).

Des­sen jahr­zehn­te­lan­ger men­schen­mör­de­ri­scher, blu­ti­ger Weg durch Euro­pa, nach die­sem letz­ten sei­ner Waf­fen­gän­ge – auf Sankt Hele­na – in bri­ti­scher Gefan­gen­schaft ende­te.

[…] In der berühm­tes­ten aller Schlach­ten, in der von Belle-​Alliance, setz­te Bona­par­te sei­ne letz­ten Kräf­te dar­an, eine Schlacht zu wen­den, die nicht mehr zu wen­den war, er gab sei­nen letz­ten Hel­ler aus und floh wie ein Bett­ler vom Schlacht­fel­de und aus dem Reiche. […]
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Carl von Clau­se­witz, Ver­lag MfNV, Ber­lin 1957, IV.Buch, 9.Kap. Die Haupt­schlacht, S. 255)

Clau­se­witz (*1780; †1831) prä­fe­riert hier den Namen »Belle-​Alliance« für die Bezeich­nung der Schlacht vom 18. Juni 1815, die an die­sem Tage unweit des süd­lich von Brüs­sel gele­ge­nen Dor­fes »Water­loo« geschla­gen wur­de. Eine Namens­kon­tro­ver­se, die einen eigen­ar­ti­gen his­to­ri­schen Hin­ter­grund hat­te und bis heu­te in der Lite­ra­tur anzu­tref­fen ist.

Im deut­schen Sprach­raum hielt sich die Clau­se­witz­sche Bezeich­nung wenigs­tens bis 1945. Hier berief man sich offen­sicht­lich auf das Bemü­hen Blü­chers. Die­ser traf Wel­ling­ton noch am Abend nach der Schlacht – gegen 22:00 Uhr – beim Gast­hof »Belle-​Alliance«. Dort soll er den Vor­schlag gemacht haben, der sieg­rei­chen Schlacht den Namen des Ortes zu geben, an dem das Zusam­men­tref­fen statt­fand. Hier befand sich auch der zen­tra­le Punkt der fran­zö­si­schen Gefechtsordnung.

Die Fran­zo­sen wie­der­um bezeich­ne­ten sie nach dem Pacht­hof Mont St.-Jean, dem Schlüs­sel der bri­ti­schen Stellung.

[…] Um Mit­ter­nacht in Water­loo, von der Ver­fol­gung zurück­kom­mend, die ich mit der preu­ßi­schen Armee bis Gen­ap­pe fort­ge­setzt hat­te, sag­te ich dem Her­zog, der Feld­mar­schall wer­de die Schlacht »Belle-​Alliance« benen­nen. Er gab mir kei­ne Ant­wort dar­auf und ich bemerk­te sogleich, dass er nicht die Absicht hat­te, ihr die­sen Namen zu geben. Ob er nun fürch­te­te, sich selbst oder sei­ner Armee etwas dadurch zu ver­ge­ben, — ich weiß es nicht, indeß er hat­te in sei­nem vor­läu­fi­gen Bericht nach Eng­land, die Schlacht wahr­schein­lich bereits Schlacht bei Water­loo genannt, denn er war gewohnt, sei­ne in Indi­en und Spa­ni­en gewon­ne­nen Schlach­ten nach sei­nem Haupt­quar­tier zu benennen. […]
(Vergl. Fried­rich Karl Frei­herr v. Müff­ling, sonst Weiß genannt, »Aus mei­nem Leben«, Ber­lin 1855, Ver­lag Mitt­ler und Sohn, S. 217)

Fried­rich Karl Frei­herr von Müff­ling (?1775; †1851) war Offi­zier, Kar­to­graph und Poli­ti­ker. Er war einer der jüngs­ten Gene­ral­stabs­of­fi­zie­re der Frei­heits­krie­ge und dien­te unter Blü­cher und Gnei­se­nau u. a. als Gene­ral­quar­tier­meis­ter, spä­ter – nach 1815 – als Chef des Gene­ral­sta­bes des Hee­res. Müff­ling war Staats­rat und 1829 Ver­mitt­ler Fried­rich Wil­helm III. zwi­schen dem tür­ki­schen Sul­tan und dem Zaren von Russland.

Wir neh­men uns hier nicht vor, die His­to­rie die­ses epo­cha­len Ereig­nis­ses in Gän­ze zu schil­dern. Das wür­de den Rah­men unse­rer Mög­lich­kei­ten spren­gen. Dar­über hin­aus ist die Zahl der Publi­ka­tio­nen welt­weit schier unüber­schau­bar und füllt Bücher­re­ga­le sowie Biblio­the­ken. Des­halb wer­den hier nur aus­ge­wähl­te Fak­ten dar­ge­stellt. Vie­les ist jedoch mitt­ler­wei­le All­ge­mein­wis­sen und muss durch uns nicht in allen Fäl­len mit Quel­len unter­legt wer­den. Pro­ble­ma­tisch sind Zah­len­an­ga­ben, die in Publi­ka­tio­nen in unter­schied­li­chen Grö­ßen erschei­nen und sich kaum nivel­lie­ren las­sen. Wir bezie­hen uns daher – Zah­len über Stär­ken und Uhr­zei­ten betref­fend – auf Carl von Clausewitz.
(Vergl. Sämt­li­che Schrif­ten »Vom Krie­ge«, Stra­te­gi­sche Über­sicht des Feld­zu­ges von 1815, Mun­dus Ver­lag, 1999, S. 511 ff.8)

In den Krie­gen, in denen Napo­lé­on (*1769; †1821) die fran­zö­si­sche Armee führ­te, brach­te er bis 1812 den Armeen der wich­tigs­ten euro­päi­schen Mäch­te ver­nich­ten­de Nie­der­la­gen bei. Das war ver­bun­den mit emp­find­li­chen Gebiets­ver­lus­ten für Öster­reich und Preu­ßen in den Jah­ren 1805, 1806 und 1809. Erst 1812 stieß die »Gran­de Armée« an ihre Gren­zen, die in den Wei­ten Russ­lands im Schnee und Frost – unter den Schlä­gen der rus­si­schen Armee – unterging.

In der Völ­ker­schlacht bei Leip­zig, vom 16. bis 19. Okto­ber, schla­gen die alli­ier­ten Preu­ßen, Öster­rei­cher und Rus­sen die fran­zö­si­sche Armee. Nach har­ten Kämp­fen kapi­tu­liert Paris Ende März 1814. Napo­lé­on dankt im April ab und wird nach Elba ver­bannt. Am 30. Mai kommt es zum Frie­den zu Paris und der »Wie­ner Kon­gress« tagt infol­ge­des­sen ab dem 30. Okto­ber 1814.

Napo­lé­on beob­ach­tet den Ver­lauf des Kon­gres­ses sehr genau und sieht auch des­sen mög­li­ches Schei­tern. Im Dezem­ber 1814 hat­te sich auf dem Wie­ner Kon­gress ein Streit über die Zukunft von Sach­sen und Polen ent­facht. Russ­land streb­te nach der Macht über Polen und Preu­ßen, for­der­te Tei­le Sach­sens. Öster­reich und Frank­reich ver­folg­ten eige­ne Plä­ne. Napo­le­on ver­nimmt auch den stei­gen­den Unwil­len gegen die Bour­bo­nen in Frank­reich. Mög­li­cher­wei­se befürch­te­te der abge­dank­te Kai­ser der Fran­zo­sen auch, dass die Alli­ier­ten ihn in ein wei­ter ent­fern­tes Exil brin­gen könn­ten. Die Bri­ten wären dafür gewesen.

Die Rück­kehr Napo­lé­ons 1815, Quel­le Wikipedia

Napo­lé­on fass­te einen Ent­schluss und ver­ließ am 26. Febru­ar mit 1.100 Sol­da­ten Elba, um am 1. März 1815 mit­tags gegen 13:00 Uhr im Golf von Jou­an – an der ligu­ri­schen Küs­te – mit sei­nen Trup­pen an Land zu gehen. Nie­mand hielt ihn auf. Der bri­ti­sche Oberst Neil Camp­bell (*1776; †1827), der auf Elba für die Bewa­chung Bona­par­tes zustän­dig war, befand sich zu die­sem Zeit­punkt in der Tos­ka­na. Im Gepäck hat­te Bona­par­te die bei­den Pro­kla­ma­tio­nen »An das Volk« und »An die Armee«.

Ein Pau­ken­schlag, der bis Wien tön­te. Im Sturm­schritt erschien der Kai­ser wie­der in Paris, ver­jag­te den Bour­bo­nen­kö­nig Lud­wig XVIII. und eröff­ne­te so sei­ne »Herr­schaft der 100 Tage«, die bis zum 22. Juni, den Tag der erneu­ten Abdan­kung, dauerte.

Weni­ge Tage nach der Lan­dung wur­de Napo­lé­on bereits am 13. März durch die Alli­ier­ten auf dem Wie­ner Kon­gress in Acht und Bann gesetzt. Am 25. März wur­de die Alli­anz von 1814 erneu­ert und die Ent­sen­dung eines Hee­res beschlos­sen. Auf Napo­lé­ons Rede vom zukünf­ti­gen Frie­den ging man kon­se­quent nicht ein. Die Ver­bün­de­ten beschlos­sen, mit vier Armeen gegen Napo­le­on vor­zu­ge­hen. Eine englisch-​deutsche unter dem Her­zog von Wel­ling­ton in Bel­gi­en, eine preu­ßi­sche am Nie­der­rhein unter Feld­mar­schall Blü­cher, eine rus­si­sche am Mit­tel­rhein unter Feld­mar­schall de Tol­ly und eine österreichisch-​deutsche am Ober­rhein unter dem Fürs­ten Schwar­zen­berg. Bis zu 150.000 Sol­da­ten und Reser­ven soll­ten die vier Län­der jeweils bereitstellen.
(Vgl. Corn­well Ber­nard, Water­loo. Eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa. Rein­bek bei Ham­burg 2015, S. 36)

Die Idee war, rund 700.000 Kom­bat­tan­ten zu ent­sen­den, die mit fünf Mil­lio­nen Pfund Ster­ling Lon­do­ner Ban­ken zu finan­zie­ren waren.
(Vergl. Tak­tik und Stra­te­gie der Revo­lu­ti­ons­krie­ge, S. Fied­ler, 1988, Bern­hard & Grae­fe, S. 266)

Dem gegen­über soll­te Napo­lé­on Bona­par­te ledig­lich über rund 230.000 feld­ver­wend­ba­re Män­ner ver­fü­gen, auf die er jedoch nicht voll­stän­dig zurück­grei­fen konn­te, da er mit etwa der Hälf­te die­ser theo­re­ti­schen Trup­pen­stär­ke noch die Gren­zen Frank­reichs sichern musste.
(Vergl. Fried­rich, Rudolf: Die Befrei­ungs­krie­ge 1813 – 1815, Ber­lin 1913, Mitt­ler & Sohn 1913, Bd. 4, Der Feld­zug von 1815, S. 72 f.)

Clau­se­witz bezif­fert o. g. Stär­ke in sei­ner Schrift über den Feld­zug von 1815 jedoch auf 217.000 Mann.

Napo­lé­on begriff, dass auf Grund der stra­te­gi­schen Lage nicht abzu­war­ten war, bis sich sei­ne Geg­ner auf dem zukünf­ti­gen Kriegs­schau­platz ver­sam­melt hät­ten. Feld­mar­schall Schwar­zen­berg (*1771; †1820), der die Gesamt­füh­rung der Alli­ier­ten haben soll­te, wür­de mit den öster­rei­chi­schen Trup­pen nicht so bald am Rhein erschei­nen. Den wei­tes­ten Weg wür­den die Rus­sen haben, die sich schwer­fäl­lig mit etwa 3 bis 4 Mei­len pro Tag in Rich­tung Nie­der­rhein beweg­ten. Um zum Ver­band von Wel­ling­ton und Blü­cher zu sto­ßen, hät­ten Rus­sen und Öster­rei­cher etwa drei bis vier Wochen benö­tigt. Dem­entspre­chend ord­ne­te sich Schwar­zen­berg, der die Alli­ier­ten füh­ren soll­te, Wel­ling­ton unter.

In der Rea­li­tät stan­den dem Her­zog von Wel­ling­ton Anfang Juni etwa 100.000 Mann zur Ver­fü­gung. Die­se Armee ent­behr­te jedoch einer sta­bi­len Homo­ge­ni­tät. Nur etwa ein Drit­tel der Trup­pen waren Eng­län­der, der Rest setz­te sich aus Han­no­ve­ra­nern, Braun­schwei­gern, Lüne­bur­gern, Nas­sau­ern, Hol­län­dern und Bel­gi­ern zusam­men, an deren Pro­fes­sio­na­li­tät und Loya­li­tät zumin­des­tens der Her­zog zweifelte.

Blü­chers Preu­ßen waren schon seit Ende Mai kampf­be­reit, da die­se sich noch seit 1814 auf dem Kriegs­thea­ter befan­den. Ledig­lich die Land­wehr war nach Hau­se ent­las­sen wor­den und muss­te daher erneut her­an­ge­führt wer­den. Es stan­den rund 117.000 [115.00 nach C. v. C.] zuver­läs­si­ge Preu­ßen im Glied.
(Vergl. Tak­tik und Stra­te­gie der Revo­lu­ti­ons­krie­ge, S. Fied­ler, 1988, Bern­hard & Grae­fe, S. 266)

Die Preu­ßen hat­ten Anfang Mai – sechs Wochen vor der ent­schei­den­den Batail­le – eine Meu­te­rei säch­si­scher Trup­pen über­stan­den, die ent­spre­chend der »Wie­ner Beschlüs­se« in die preu­ßi­sche Armee ein­ge­glie­dert wor­den waren. Blü­cher griff ener­gisch durch, ließ Rädels­füh­rer füsi­lie­ren, die Batail­lons­fah­nen ver­bren­nen und schick­te die Sach­sen – immer­hin rund 15.000 Mann, ein­schließ­lich Offi­zie­re – ehr­los nach Dres­den zurück.
(Vergl. »Säch­si­sche Hei­mat­blät­ter«, 2 – 16, Auf­stand säch­si­scher Gre­na­die­re … im Mai 1815, Ste­phan Frei­herr von Welck, S. 183 f.)


Über die Eigen­tüm­lich­kei­ten der Gene­ra­le und Offiziere:

[…] Was die Eigen­tüm­lich­keit der Gene­ra­le betrifft, so geht hier alles in das Indi­vi­du­el­le über, aber die eine all­ge­mei­ne Bemer­kung dür­fen wir nicht über­ge­hen, daß man nicht, wie wohl zu gesche­hen pflegt, die vor­sich­tigs­ten und behut­sams­ten an die Spit­ze der unter­ge­ord­ne­ten Armeen stel­len soll, son­dern die unter­neh­mends­ten, denn wir kom­men dar­auf zurück: Es ist bei der getrenn­ten stra­te­gi­schen Wirk­sam­keit nichts so wich­tig, als daß jeder Teil tüch­tig arbei­te, die vol­le Wirk­sam­keit sei­ner Kräf­te äuße­re, wobei denn die Feh­ler, wel­che auf einem Punkt began­gen sein kön­nen, durch die Geschick­lich­keit auf ande­ren aus­ge­gli­chen werden. […]
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Carl von Clau­se­witz, Ver­lag MfNV, Ber­lin 1957, Skiz­zen zum ach­ten Buche, 9. Kapi­tel, Kriegs­plan …, S. 764)

Aus der Viel­zahl der 1815 her­aus­ra­gend han­deln­den Feld­her­ren, Gene­ra­len und Offi­zie­ren wol­len wir Napo­lé­on, Wel­ling­ton und Blü­cher wür­di­gen. Spä­ter dann noch Grouchy, Cam­bron­ne, Gnei­se­nau und Clau­se­witz expli­zit erwähnen.

Sir Arthur Wel­les­ley, Her­zog von Wellington

war durch die Umstän­de der Ent­fal­tung der alli­ier­ten Streit­kräf­te im Früh­som­mer 1815 prak­tisch gezwun­gen, die Füh­rung der Teil­streit­kräf­te der Bri­ten und Preu­ßen an sich zu ziehen.

Sir Arthur Wel­les­ley, 1st Duke of Wel­ling­ton, Gemäl­de von Sir Tho­mas Law­rence Quel­le: Wikipedia

Wel­ling­ton hat­te zuvor, von 1808 bis 1813, fünf Jah­re lang auf der spa­ni­schen Halb­in­sel erfolg­reich gegen die Fran­zo­sen gekämpft. Bei­spiel­ge­bend sei­ne Sie­ge bei Sala­man­ca, Vito­ria und die Ein­nah­me von Madrid. Er über­schritt die Pyre­nä­en und nahm 1814 Tou­lou­se ein. Kein Gerin­ge­rer als Lud­wig van Beet­ho­ven (*1770; †1827) kom­po­nier­te ein sin­fo­ni­sches Schlach­ten­ge­mäl­de anläss­lich der Schlacht von Vito­ria, die am 21. Juni 1813 im Bas­ken­land statt­fand und in der die Bri­ten unter Wel­ling­ton die Fran­zo­sen ver­nich­tend schlu­gen. Durch sei­ne Sie­ge war er bereits 1815 ein popu­lä­rer und geach­te­ter Sol­dat, der jedoch nicht ohne Miss­bil­li­gun­gen war. So sprach er über sei­ne Sol­da­ten bla­siert und nann­te die­se sogar »the scum of the earth«, was soviel wie »Abschaum der Erde« bedeutet.

Fried­rich Engels schrieb zur Per­son Wellington:

[…] Obwohl der Her­zog im all­ge­mei­nen den für die Eng­län­der cha­rak­te­ris­ti­schen gesun­den Men­schen­ver­stand besaß, war er doch in vie­ler Hin­sicht eng­stir­nig und beschränkt (…) Eigen­sin­nig klam­mer­te er sich an alle Miß­stän­de und Wider­sin­nig­kei­ten in der eng­li­schen Armee und ent­geg­ne­te auf jede Kri­tik: “Die­se Miß­stän­de und Wider­sin­nig­kei­ten haben uns in Spa­ni­en und Por­tu­gal zu Sie­gern gemacht”, was völ­lig mit sei­ner kon­ser­va­ti­ver Auf­fas­sung übereinstimmt. […]
(Vergl. K. Marx — Engels — Wer­ke, Bd. 10, Dietz Ber­lin 1961, S. 247 – 253)

Wir erfah­ren, dass der Her­zog den »Schlach­ten­gott« Bona­par­te als Mensch ver­ach­te­te, aber ihn jedoch als Sol­dat bewun­der­te. Im Gegen­satz zu Napo­lé­on hat­te der Duke noch nie eine Schlacht ver­lo­ren, […] … aber gegen den Kai­ser kämp­fen zu müs­sen, konn­te ihm sehr wohl die­se außer­ge­wöhn­li­che Bilanz vermiesen. […]
(Vgl. Corn­well Ber­nard, Water­loo. Eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa. Rein­bek bei Ham­burg 2015, S. 17)

Als Trup­pen­füh­rer lagen sei­ne her­aus­ra­gen­den Fähig­kei­ten auf tak­ti­schem Gebiet, im ope­ra­ti­ven Sin­ne fehl­te ihm (nach Mei­nung des Autors) ein gewis­ses Maß an Weit­sicht, was noch dar­zu­stel­len wäre. In sei­ner Fähig­keit, den »defen­si­ven Kampf« zu füh­ren, die schon in Spa­ni­en cha­rak­te­ris­tisch war, zeig­te er Wil­lens­kraft, Ner­ven­stär­ke, Kalt­blü­tig­keit und Steh­ver­mö­gen. Somit ent­kräf­te­te er erfolg­reich sei­ne Geg­ner. Er ver­füg­te über einen exzel­len­ten Stab im dama­li­gen Sin­ne, führ­te aber über den Befehl kom­pro­miss­los direkt »von vorne«.
Hein­rich von Treit­sch­ke (*1834; †1896) beschrieb das Ver­hält­nis Wel­ling­tons zu sei­nen Offi­zie­ren ernüch­ternd und vernichtend:

[…] Die Offi­zie­re lieb­ten den Gestren­gen wenig, der nie in kame­rad­schaft­li­cher Herz­lich­keit auf­tau­te, nie ein Anflug von Wohl­wol­len oder Groß­mut ver­riet, auch nicht, wenn der Dienst dabei kei­nen Scha­den neh­men konn­te. Der durch­boh­ren­de Blick der kal­ten Augen, die stol­zen Züge mit der Adler­na­se und dem fest geschlos­se­nen Mun­de, der schar­fe befeh­len­de Klang der Stim­me ver­bo­ten jede ver­trau­li­che Annä­he­rung. Aber alle gehorchten. […]
(Vergl. »Treit­sch­ke — Deut­sche Geschich­te«, H. Heff­ter, Krö­ner — Leip­zig, 1934, S. 383)

Wel­ling­ton war noch bis 1818 bri­ti­scher Ober­be­fehls­ha­ber, danach mit wenig For­tu­ne von 1827 bis 1830 kon­ser­va­ti­ver bri­ti­scher Pre­mier­mi­nis­ter. Er starb am 14. Sep­tem­ber 1852 und wur­de in der Kryp­ta der St. Paul’s Cathe­dral in Lon­don beigesetzt.

Feld­mar­schall Fürst Geb­hard Lebe­recht Blü­cher von Wahlstatt

Aus einem Gespräch Napo­lé­ons über Blü­cher auf Elba:

[…] Der alte Teu­fels­kerl hat mich stets mit glei­cher Wut ange­grif­fen; kaum hat­te ich ihn geschla­gen, so stand er wie­der kampf­be­reit vor mir. […]
(Vergl. W. v. Unger, Bd. II: Von 1812 bis 1819, Ber­lin 1908, S. 245)

Er, der usur­pier­te Kai­ser der Fran­zo­sen, hät­te es wis­sen müs­sen, als er Elba ver­ließ, dass ihm der alte Hau­de­gen wie­der gegen­über­ste­hen wür­de. Bei Ligny am 16. Juni 1815 – zwei Tage vor der Schlacht bei Water­loo – geschla­gen, stand er am 19. Juni wie­der kampf­be­reit vor ihm und »griff mit glei­cher Wut« aber­mals an und siegte.

Feld­mar­schall Fürst Geb­hard Lebe­recht Blü­cher von Wahl­statt, nach Gebau­er 1815, Quel­le: Wikipedia

Wir neh­men uns die Frei­heit, den preu­ßi­schen »Hero­en« an die­ser Stel­le aus­führ­lich zu würdigen.

Blü­cher, in Ros­tock gebo­ren, dien­te wäh­rend des Sie­ben­jäh­ri­gen Krie­ges in einem schwe­di­schen Husa­ren­re­gi­ment. 1759 geriet er in preu­ßi­sche Gefan­gen­schaft und erreg­te dort die Auf­merk­sam­keit von Oberst von Bel­ling (*1719; †1779). Von Bel­ling war einer der bedeu­tends­ten Rei­ter­ge­nera­le von Fried­rich II. Zu die­ser Zeit war er Kom­man­deur der »Toten­kopf­husa­ren«, wur­de da auf Blü­cher auf­merk­sam und nahm ihn als Kor­nett in sein Regi­ment. Undis­zi­pli­niert­hei­ten und Streit mit einem Vor­ge­setz­ten führ­ten spä­ter – nach dar­auf­hin ver­sag­tem Avance­ment – dazu, dass er als Stabs­ritt­meis­ter sei­nen Abschied nahm. Fried­rich der Gro­ße quit­tier­te Blü­chers Gesuch sicht­lich sau­er mit den Worten:

[…] Ritt­meis­ter von Blü­cher hat die Erlaub­nis, sei­nen Abschied zu neh­men und kann, sobald es ihm gefällt, sich zum Teu­fel scheren. […]
(Vergl. «Blü­cher. Der Mar­schall Vor­wärts«, R. Par­kin­son, List Ver­lag 1976, S. 27)

Blü­chers mili­tä­ri­sche Lauf­bahn war zunächst schein­bar zu Ende, und er zog sich für 14 Jah­re auf sei­ne Güter Gre­son­se, Stew­nitz, spä­ter dann Groß Rad­dow, zurück und betrieb erfolg­reich Land­wirt­schaft. Meh­re­re Ver­su­che mit ins­ge­samt 10 Bitt­brie­fen für eine Wie­der­auf­nah­me in des Königs Armee wur­den abschlä­gig beant­wor­tet. Erst Fried­richs Nach­fol­ger Fried­rich Wil­helm II. setz­te Blü­cher – mit Ernen­nung zum Major – im März 1787 wie­der in sei­nem alten Regi­ment ein. Zur glei­chen Zeit etwa wur­de ein gewis­ser 18-​jähriger Arthur Wel­les­ley – der spä­te­re Lord Wel­ling­ton und Held von Water­loo – zum Fähn­rich im 73. Highland-​Regiment ernannt. 

Bei Wie­der­auf­nah­me sei­nes Diens­te in der Preu­ßi­schen Armee war Blü­cher eigent­lich im »Pen­si­ons­al­ter« und zähl­te bereits 44 Jah­re. Major Blü­cher zeig­te sich als umsich­ti­ger Trup­pen­füh­rer und bil­de­te sei­ne Husa­ren zu einer Eli­te­for­ma­ti­on aus. Dabei setz­te er bereits vor der spä­te­ren Mili­tä­re­form die Prü­gel­stra­fe aus. Für sei­ne Trup­pe soll­te frei­wil­li­ges, muti­ges und selbst­stän­di­ges Han­deln in Ehre gel­ten. Trotz sei­ner eige­nen man­gel­haf­ten Schul­bil­dung sorg­te er sich um eine aus­ge­wo­ge­ne Bil­dung der Kin­der sei­ner Sol­da­ten und rich­te­te eine Garnisons-​Schule ein. Im Dienst und nach Dienst war Blü­cher wie­der Blü­cher, der das Leben liebte.

Im Jahr des Todes sei­ner Frau Karo­li­ne (1790) avan­cier­te »Papa Blü­cher« zum Oberst und erhielt den »Pour le Meri­te«. 1792 bis 1794, wäh­rend des ers­ten Koali­ti­ons­krie­ges, wird er Gene­ral­ma­jor und Trä­ger des »Roten Adler-​Ordens«. 1801 erfolg­te die Ernen­nung zum Gene­ral­leut­nant und Gou­ver­neur von Müns­ter. 1805 reich­te er eine Denk­schrift mit dem Titel »Gedan­ken über die Bil­dung einer preu­ßi­schen Natio­nal­ar­mee« ein. Blü­cher gehör­te pro­non­ciert der preu­ßi­schen Kriegs­par­tei an, die sich gegen Frank­reich rich­te­te. In der Dop­pel­schlacht von Jena und Auer­stedt 1806 führ­te er die Kavallerie-​Avantgarde. Nach der Nie­der­la­ge führ­ten Blü­cher und Scharn­horst unter unsag­ba­ren Stra­pa­zen rund 6.000 Mann kämp­fend nahe­zu 800 km nach Lübeck. Unter der Über­macht der Fran­zo­sen kapi­tu­lier­te Blü­cher am 7. Novem­ber bei Rat­kau mit fol­gen­den Worten:

[…] Da mir von dem Fürs­ten von Pon­te Cor­co (Ber­na­dotte) eine Kapi­tu­la­ti­on ange­bo­ten wur­de und ich ange­nom­men habe, weil ich kein Brot und kei­ne Muni­ti­on mehr habe. […]
(Vergl. «Blü­cher. Der Mar­schall Vor­wärts«, R. Par­kin­son, List Ver­lag 1976, S. 107)

Nach­dem er sich mit Ber­na­dotte geei­nigt hat­te, bestieg er am Nach­mit­tag des 7. Novem­ber, die Uni­form zer­ris­sen und schmut­zig, die Hän­de vor Müdig­keit zit­ternd, sein Pferd und ritt lang­sam zu den Fran­zo­sen in die Gefan­gen­schaft. Scharn­horst wird spä­ter am 22. Novem­ber in einem Brief an sei­ne Toch­ter sei­nen und Blü­chers Gemüts­zu­stand nach der Nie­der­la­ge schildern:

[…] Ihr kennt mei­ne Gefüh­le, mei­ne Ansich­ten Ihr könnt Euch leicht ein Bild von mei­nem inne­ren Zustand machen. (…) so habe ich die trau­ri­ge Frei­heit, mich ganz dem Aus­bruch des Schmer­zes zu über­las­sen. (…) Nie­mand sah ich jemals trau­ri­ger als den bravs­ten der Men­schen, die ich jemals kann­te, den Gene­ral Blü­cher. Mich trifft es dop­pelt, da ich alle die Feh­ler, die Dumm­heit, die Feig­heit ken­ne, die uns in die jet­zi­ge Lage gebracht haben. […]
(Vergl. »Scharn­horsts Brie­fe«, Bd.I, K. Lin­ne­bach, 1914, G. Mül­ler, S. 298)

Am 24.02.1807 wur­de Blü­cher gegen den fran­zö­si­schen Mar­schall Vic­tor aus­ge­tauscht. Napo­lé­on woll­te ihn sehen und hol­te ihn zum Schloss Fin­ken­stein. Um 1809 hat­te sich Blü­cher beim Fran­zo­sen­kai­ser mehr als unbe­liebt gemacht, und die­ser for­der­te den Preu­ßen­kö­nig auf, Blü­cher zu ent­las­sen. Nach sei­ner Ent­las­sung am 11.November 1811 ging er im Janu­ar 1812 auf das vom König geschenk­te Gut Kun­zen­dorf. Dort beob­ach­te­te er den Lauf der Geschich­te. Auf Tau­rog­gen folg­te das Preußisch-​Russische Bünd­nis von Kalisch (26.02.1813), was Blü­cher mit den Wor­ten »Mich juckt´s, den Säbel zu ergrei­fen …« kom­men­tiert haben soll.

Scharn­horst setz­te sich beim König vehe­ment für Blü­cher ein, der das Schle­si­sche Korps füh­ren soll­te. Die Schlacht bei Groß­gör­schen war am 2.Mai 1813 geschla­gen. Blü­cher und Scharn­horst wur­den ver­wun­det. Kei­ne der Sei­ten konn­te den Sieg für sich ver­bu­chen. Die Rus­sen und Preu­ßen ver­blie­ben auf dem Schlacht­feld und zogen am fol­gen­den Tag geord­net in Rich­tung Osten ab. Blü­cher sorg­te sich um die Moral ob des Rück­zu­ges und sprach zur Truppe:

[…] … nun haben uns die Fran­zo­sen ken­nen­ge­lernt, und sie wer­den sich besin­nen, bis sie uns wie­der angrei­fen. Pul­ver und Blei haben wir ver­schos­sen, das ist natür­lich, und nun gehen wir nach Dres­den, um uns fri­sches zu holen, wer das Reti­rie­ren nennt, ist ein Hundsfott! […]
(Vergl. »Erin­ne­run­gen aus dem Leben des Gene­ral­feld­mar­schalls Her­mann von Boy­en«, Doro­thea Schmidt, Bd. 2, Bran­den­bur­gi­sches Ver­lags­haus, S. 547)

Mar­schall von Boy­en mein­te an die­ser Stel­le, dass Blü­cher ein gebo­re­ner Volks­red­ner war, der die Gabe besaß, aus dem Steh­greif zu spre­chen und den Gang der Rede den Vor­stel­lun­gen der Zuhö­rer anzupassen.

Mit der Schle­si­schen Armee sieg­te er an der »Katz­bach« (26.08.1813), bei War­ten­burg mit Gene­ral Yorck (*1759; †1830) und in der »Völ­ker­schlacht« bei Leip­zig. Nach der Schlacht, am 21.10 1813, wur­de der »Маршал Вперед« (Mar­schall vor­wärts), wie die rus­si­schen Ver­bün­de­ten Blü­cher nann­ten, Generalfeldmarschall.

Nach Leip­zig trie­ben die Ver­bün­de­ten Napo­lé­on über den Rhein bei Kaub (1.1.1814). Am 31. März, nach schwe­ren und ver­lust­rei­chen Kämp­fen, folg­te die Kapi­tu­la­ti­on von Paris. Blü­cher – kräf­te­mä­ßig am Ende – ließ sich durch Yorck beim Ein­zug der Ver­bün­de­ten in Paris ver­tre­ten. Die­ser ant­wor­te­te eisig auf die Fra­ge des Preu­ßi­schen Königs, der mit dem Aus­se­hen sei­ner Trup­pen unzu­frie­den war, wo sei­ne Gar­den wären, mit »Majes­tät, dies sind Ihre Gar­den«. Die Preu­ßi­sche Land­wehr durf­te wegen ihres schlech­ten Zustan­des nicht an der Para­de auf dem Mont­mart­re teil­neh­men. Was Blü­cher nur schwer ertrug.

In der Fol­ge die­ser Ereig­nis­se wur­de der Gene­ral­feld­mar­schall hoch geehrt. Er erhielt den Titel »Fürst von Wahl­stadt«, die Ehren­dok­tor­wür­de in Cam­bridge und Oxford und ande­re. Nach den Kämp­fen zog sich der »Alte« auf sei­ne schle­si­schen Güter zurück. Nach Rück­kehr des Kor­sen rief der König ihn wie­der zur Füh­rung der Armee, mit Gnei­se­nau als Stabs­chef. Ihm und Gnei­se­nau war es zu dan­ken, dass nach der ver­lo­re­nen Bat­tail­le bei Ligny die Preu­ßen zwei Tage spä­ter, am 18. Juni, auf der lin­ke Flan­ke Wel­ling­tons auf­tauch­ten und unter Füh­rung Blü­chers zum fina­len Sieg über Napo­lé­on Bona­par­te bei­tru­gen. »Vater Blü­cher« wur­de mit dem Blücher-​Stern des Eiser­nen Kreu­zes geehrt und quit­tier­te end­gül­tig den Dienst. Der König such­te sei­nen Hel­den noch ein­mal auf und bedank­te sich.

Am 12. Sep­tem­ber starb der »Alte Blü­cher« auf sei­nem Gut Krie­b­lo­witz. Auf dem Ster­be­la­ger bat er – so die Erzäh­lung – sich das Trom­pe­ten­si­gnal zur Retrai­te (Rück­zug) aus. Sei­ne Hei­mat­stadt Ros­tock ehr­te ihn mit einem Denk­mal von Scha­dow, auf dem die Wor­te Goe­thes zu lesen sind:

In Har­ren und Krieg,
In Sturz und Sieg
Bewußt und groß,
So riß er uns
Von Fein­den los.

[…] Es ist gera­de­zu wun­der­sam, daß die­ser meck­len­bur­gi­scher Jun­ker und friedrich‘sche Sol­dat in sei­nen Grei­sen­jah­ren ein deutsch-​patriotisches Feu­er in der See­le trug, (…) Sum­ma:- ein gan­zer Mann, ein gro­ßer Feld­herr, ein hell­sich­ti­ger und war­mer Patri­ot, ein tap­fe­rer Vor­wärts­gän­ger und ener­gi­scher Vor­wärts­trei­ber, ein ech­ter und rech­ter Nationalheld. […]
(Vergl. Blü­cher 1813 – 1819, sei­ne Zeit und sein Leben, Bd. 3, Johan­nes Scheer, Hes­se & Becker, 1920 S. 422)

Die Geschich­te geht oft selt­sa­me und trau­ri­ge Wege. Bei der Ein­nah­me des Ortes Krie­b­lo­witz durch die Rote Armee im Früh­jahr 1945 wur­de das Mau­so­le­um des Hel­den zer­stört, und der Sarg sowie die sterb­li­chen Über­res­te des »Маршал Вперед« gin­gen durch Van­da­lis­mus ver­lo­ren. Die rus­si­schen Sol­da­ten wuss­ten nicht mehr, wer der Held und Russ­lands Ver­bün­de­ter – »Маршал Вперед« – war.

Blü­cher­denk­mal in Ros­tock, Quel­le Wikipedia

Napo­lé­on Bonaparte

Napo­lé­on Bona­par­te Quel­le: pla​net​-wis​sen​.de

Fünf Fra­gen, die ein fran­zö­si­scher Schrift­stel­ler und His­to­ri­ker uns und der Welt stellt, die einer Betrach­tung bedürfen.

[…] Die Schick­sa­le gro­ßer Men­schen sind unvor­aus­sag­bar. Wer hät­te 1769 gedacht, daß ein Kind, das in jenem Jahr auf Kor­si­ka gebo­ren wur­de, in Frank­reich ein Kai­ser­reich errich­ten und Euro­pas Thro­ne an sei­ne Brü­der ver­tei­len wür­de? Wer hät­te 1794 vor­aus­ge­se­hen, daß ein jun­ger Leut­nant, der nicht ein­mal Fran­zo­se war, im Jahr 1800 Herr­scher von Frank­reich wür­de? Wer hät­te 1810 zu behaup­ten gewagt, daß die­ser leuch­ten­de Stern fünf Jah­re spä­ter wie­der erlischt? Wer hät­te sich 1815 vor­stel­len kön­nen, daß sechs Jah­ren Ver­ban­nung den Akkord anschla­gen wür­den für den erstaun­lichs­ten Nach­hall des Jahr­hun­derts? Und wer dach­te damals, daß die Fran­zo­sen die Erin­ne­run­gen an die­sen Mann, der sie zwan­zig Jah­re lang zur Schlacht, zum Sieg und dann zur Nie­der­la­ge führ­te, teu­er blei­ben und sein Leben zu einer der glän­zends­ten Legen­den der Geschich­te wür­de? […]
(Vergl. »Napo­le­on« André Mau­rois, RM Buch und Medi­en Ver­trieb GmbH, Rein­beck bei Ham­burg, S. 7)


Wege zur Macht
Napo­lé­on Bona­par­te, eigent­lich Napo­léo­ne Buo­na­par­te, kommt am 15. August 1769 in Ajac­cio zur Welt, der Haupt­stadt der Insel Kor­si­ka. Sei­ne Fami­lie stammt ursprüng­lich aus Ita­li­en, und sei­ne Eltern gehö­ren zum nie­de­ren Adel der Insel. Mit neun Jah­ren kann Napo­lé­on dank eines könig­li­chen Sti­pen­di­ums für ver­arm­te Adli­ge auf die Mili­tär­schu­le von Bri­en­ne gehen. Der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on von 1789 ver­dankt Napo­le­on sei­ne stei­le Kar­rie­re in der Armee. 1793 führ­te er erfolg­reich die Artil­le­rie der Revo­lu­ti­ons­trup­pen in der Schlacht um Tou­lon gegen die königs­treu­en Roya­lis­ten, dar­auf­hin wird er zum Bri­ga­de­ge­ne­ral beför­dert. 1796 führt Napo­le­on die Revo­lu­ti­ons­ar­mee im Ita­li­en­feld­zug. Der Sieg gegen Öster­reich und die Beset­zung Bel­gi­ens, der Lom­bar­dei und des Rhein­ufers ebnen den Weg zur Macht. 1798 bricht er auf Befehl der Revo­lu­ti­ons­re­gie­rung zur »Ägyp­ti­schen Expe­di­ti­on« auf. Die­ser Feld­zug an den Nil wird zum schein­ba­ren Tri­umph. Napo­lé­on erreicht nicht nur die Los­lö­sung Ägyp­tens vom Osma­ni­schen Reich, er ver­ur­sacht mit dem Feld­zug auch eine beach­tens­wer­te kul­tu­rel­le Ent­wick­lung. Das Inter­es­se am Ägyp­ten der Pha­rao­nen lebt euro­pa­weit auf.


Kaiserkrönung
Napo­le­ons gro­ße Popu­la­ri­tät in der Armee und im Volk ermög­licht es ihm, 1799 zum Sturz der Revo­lu­ti­ons­re­gie­rung bei­zu­tra­gen. Am 13. Dezem­ber lässt er sich für zehn Jah­re zum obers­ten von drei Kon­suln wäh­len. Prak­tisch hat er nun die allei­ni­ge Macht. Er zen­tra­li­siert den Staat und ver­an­lasst Refor­men in der Jus­tiz, im Mili­tär und in der Bil­dung. 1804 ver­öf­fent­licht er den »Code Civil«, das ers­te bür­ger­li­che Gesetz­buch Frank­reichs, wel­ches auch in die deut­schen Län­der hin­ein­wirkt und eine bis heu­te gül­ti­ge Geset­zes­form dar­stellt. Damit stellt sich Napo­lé­on als Ver­fech­ter von Pro­gress und Frei­heit dar. Es gelingt ihm, den fran­zö­si­schen Haus­halt zu sanieren.

Bereits seit 1802 Kon­sul, folgt 1804 die Krö­nung zum Kai­ser von Frank­reich. In der Pari­ser Kathe­dra­le »Not­re Dame« ent­reißt er dem Papst die Kro­ne und krönt sich kur­zer­hand selbst. Sei­ner Intui­ti­on, Herr­scher Euro­pas sein zu wol­len, folg­te er als Kai­ser Napo­le­on I. durch eine aggres­si­ve Expan­si­ons­po­li­tik. Er erobert Ita­li­en und Hol­land und setzt sei­ne Brü­der als Köni­ge der Vasal­len­staa­ten ein. Einen sei­ner größ­ten mili­tä­ri­schen Erfol­ge fei­ert Napo­le­on 1805 bei der soge­nann­ten “Drei­kai­ser­schlacht” von Aus­ter­litz. Dort schlägt er Öster­reich und Russ­land ver­nich­tend. Der Frie­dens­ver­trag von Press­burg ver­setzt dem schon lan­ge über­leb­ten Hei­li­gen Römi­schen Reich deut­scher Nati­on den Todesstoß.


Der genia­le Feld­herr neu­en Typs
Der Her­zog von Wel­ling­ton erkann­te das Genie Napo­lé­on und for­mu­lier­te, dass allei­ne die

[…] Anwe­sen­heit [Napo­lé­ons] auf dem Schlacht­feld einen Unter­schied von 40.000 Mann ausmachte. […]«
(Vergl. »Den Krieg den­ken«, B. Heu­ser, F. Schö­ningh, 2010, S. 146)

Gebo­ren wur­de die­se neue Art der Kriegs­füh­rung, die sich fun­da­men­tal von der des »Anci­en Régime« unter­schei­det, durch das Prin­zip der Theo­rie »Levée en mas­se« (frz. für »Mas­sen­aus­he­bung«). Begrün­det durch Graf Laza­re Nico­las Mar­gue­ri­te Car­not (*1753; †1823).
Graf Car­not brach­te die Dekla­ra­ti­on der »Levée en mas­se« (frz. für »Mas­sen­aus­he­bung«) unter dem Ein­druck schwe­rer Nie­der­la­gen der jun­gen fran­zö­si­schen Armee gegen die Koali­ti­ons­trup­pen in den Wohl­fahrts­aus­schuss Frank­reichs ein, die dann am 23. August 1793 im Natio­nal­kon­vent ver­ab­schie­det wurde.

Danach soll­ten

[…] Von die­sem Moment an und bis alle Fein­de vom Ter­ri­to­ri­um der Fran­zö­si­schen Repu­blik ver­trie­ben sind, alle fran­zö­si­schen Per­so­nen in stän­di­ge Bereit­schaft für den Dienst in der Armee ver­setzt wer­den. Die jun­gen Män­ner wer­den in den Kampf zie­hen, ver­hei­ra­te­te Män­ner wer­den Waf­fen schmie­den und Vor­rä­te trans­por­tie­ren; Frau­en wer­den Zel­te und Klei­dung nähen und in den Hos­pi­tä­lern die­nen; Kin­der wer­den alte Wäsche auf­tren­nen; alte Män­ner wer­den an öffent­li­che Plät­ze ver­bracht, um den Mut der Krie­ger zu erwe­cken und den Hass auf die Köni­ge zu pre­di­gen und ande­rer­seits die Ein­heit der Republik. [..]«
(Vergl. leg-ego.eu/…/ambrogio-a-caiani-levée-en-masse)

Die Idee, die For­de­rung Car­not´, war sinngemäß:

[…] »Agir tou­jours en mas­se« – in Mas­sen han­deln, kei­ne Manö­ver mehr, kei­ne Kriegs­kunst, son­dern Feu­er, Stahl und Vaterlandsliebe. […]
(Vergl. M. Howard »Krieg in der euro­päi­schen Geschich­te: vom Mit­tel­al­ter bis …«, S. 114)

Clau­se­witz erkann­te, daß der Krieg in Abhän­gig­keit der Kul­tu­ren, die ihn füh­ren, sich in ver­än­der­ter Gestalt zei­gen kann. Mit dem Erschei­nen Napo­lé­ons auf den Schlacht­fel­dern Euro­pas war es das Ziel, den Geg­ner nicht nur vor sich her zu trei­ben, zu manö­vrie­ren oder aus­zu­wei­chen, son­dern der Feind soll­te nie­der­ge­wor­fen, bes­ser noch, ver­nich­tet wer­den. Napo­lé­on kon­zen­trier­te sei­ne Trup­pen und führ­te einen Schlag mit den ver­bun­de­nen Waf­fen (Artil­le­rie, Kaval­le­rie, Infan­te­rie) auf einen wesent­li­chen Punkt der geg­ne­ri­schen Schlacht­ord­nung, von dem deren Resi­li­enz abhän­gen wür­de. Dabei mas­sier­te er sei­ne Kräf­te und schuf am ent­schei­den­den Punkt ein deut­li­ches Über­ge­wicht. Dort­hin führ­te Napo­lé­on einen »Schlag« mit der Artil­le­rie, stieß dann mit mas­si­ven Kolon­nen in die Bre­schen der feind­li­chen Lini­en und ließ danach den Erfolg durch die Kaval­le­rie ausweiten.

Clau­se­witz schil­der­te die­ses Prin­zip in sei­nem mili­tä­ri­schen Den­ken schon sehr früh. Bereits in der »Aus­bil­dung der Kron­prin­zen zu den Grund­sät­zen des Krieg­füh­rens« an der All­ge­mei­nen Kriegs­schu­le – ab 1810 zu Ber­lin –, kön­nen wir das erkennen.
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Carl von Clau­se­witz, Ver­lag MfNV, Ber­lin 1957, Anhang zum ach­ten Buche Kriegs­plan, S.788 f)

Mit einer Kon­ti­nen­tal­sper­re (1806 bis 1814) schafft Napo­le­on eine neue Art des Krie­ges, den »Wirt­schafts­krieg«. Um Eng­land in die Knie zu zwin­gen, ver­hängt er 1806 einen radi­ka­len Import­stopp für sämt­li­che Güter der bri­ti­schen Insel und ihrer Kolonien.

Napo­lé­on besticht durch die Schnel­lig­keit sei­ner Ent­schei­dun­gen und sein kom­pro­miss­lo­ses Handeln.

Mit raschen Angriffs­krie­gen defi­niert Bona­par­te eine neue Kriegs­phi­lo­so­phie. Sei­ne Krie­ge sind tota­le Ver­nich­tungs­krie­ge, sie stel­len die Exis­tenz gan­zer Staa­ten in Fra­ge und mobi­li­sie­ren aber auch gan­ze Völ­ker (sie­he Russ­land und Preußen).

Clau­se­witz demons­triert die­ses Phä­no­men durch die Defi­ni­ti­on drei­er Wechselwirkungen:

1. Äußers­te Anwen­dung der Gewalt;

2. Das Ziel ist, den Feind wehr­los zu machen;

3. Äußers­te Anstren­gung der Kräfte.

Nach­fol­gend die ers­te der drei Wechselwirkungen.

[…] Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, und es gibt in der Anwen­dung der­sel­ben kei­ne Gren­zen; so gibt jeder dem ande­ren das Gesetz, es ent­steht eine Wech­sel­wir­kung, die dem Begriff nach zum Äußers­ten füh­ren muß. […]
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Carl von Clau­se­witz, Ver­lag MfNV, Ber­lin 1957, Ers­tes Buch, 1. Kapi­tel, S. 18 bis 21)


Der Weg von Til­sit nach St. Helena

1807 ist Napo­le­on auf dem Höhe­punkt sei­ner Macht. Kurz zuvor hat er in Jena und Auer­stedt die Preu­ßen ver­nich­tend geschla­gen. Im Frie­den von Til­sit schließt er ein Bünd­nis mit Russ­lands Zar Alex­an­der I. Damit reicht sei­ne Ein­flu­sphä­re von Spa­ni­en bis Polen.

1812 bricht Napo­le­on mit dem rus­si­schen Zaren und mar­schiert mit sei­ner »Gran­de Armée« in Russ­land ein. Der Russland-​Feldzug, zu dem er Trup­pen aus nahe­zu allen Tei­len sei­nes Ein­fluss­be­reichs mobi­li­siert, so auch in Preu­ßen, wird für Napo­le­on zum Desas­ter. Zehn­tau­sen­de Sol­da­ten ster­ben, Napo­le­on ist nun in der Defen­si­ve. Russ­land ver­bün­det sich erfolg­reich mit Preu­ßen und Öster­reich. Napo­le­on ver­liert schließ­lich im Jahr 1813 die Völ­ker­schlacht bei Leipzig.

Am 31. März 1814 erobert die anti­na­po­leo­ni­sche Koali­ti­on Paris, Kai­ser Napo­le­on I. muss abdan­ken und wird ins Exil auf die Mit­tel­meer­in­sel Elba ver­bannt. Am 1. März 1815 gelingt Napo­le­on die Flucht nach Frank­reich. Er kann Trup­pen um sich sam­meln und die Macht tem­po­ral zurück­ge­win­nen. Hun­dert Tage herrscht er, wird dann aber am 18. Juni bei der Schlacht in der Nähe des bel­gi­schen Water­loo ver­nich­tend geschla­gen. Auf der Flucht wird Napo­lé­on fest­ge­setzt. Die Bri­ten ver­ban­nen ihn auf die eng­li­sche Insel St. Hele­na, mit­ten im Südatlantik.


Der Mythos Napoléon

Unmit­tel­bar nach sei­nem Tode beginnt die Aus­ein­an­der­set­zung um die Bedeu­tung Napo­lé­ons für die Nach­welt. Er sorg­te durch sich selbst noch in sei­nem letz­ten Ver­ban­nungs­ort durch Betrach­tun­gen über sein Leben und Wir­ken dafür. So führ­te er Gesprä­che mit ver­schie­de­nen Per­so­nen, die mit ihm auf St. Hele­na weil­ten, wie z. B. Bert­rand, Gene­ral Gour­gaud, Emma­nu­el de Las Cases, Gene­ral de Montho­lon, Louis-​Étienne Saint-​Denis, auch bekannt als der Mame­lu­cke Ali, sowie sein Maît­re d’hô­tel Jean Bap­tis­te Cipria­ni und sein Kam­mer­die­ner Mar­chand. Berich­te dar­über wur­den auf­ge­zeich­net und die­nen heu­te als Quel­len­la­ge über Napo­lé­ons Dasein und Mémo­ri­al. Er dach­te laut über Poli­tik, Staat, Demo­kra­tie, Ver­fas­sung, Frei­heit, Gleich­heit, Moral, Recht­spre­chung, Bil­dung und Erzie­hung und vor allem über Euro­pa nach. Er ver­fass­te sei­ne Memoi­ren »Mémo­ri­al de Sainte-​Hélène« dar­über, die im 19. Jahr­hun­dert brei­te Beach­tung fan­den. Das wenig ruhm­rei­che Ende des »Schlachten-​Gottes« erwies sich als Ursprung sei­nes Mythos.

Über die »Memoi­ren Napo­lé­ons« schreibt Hein­rich Mann in sei­nem Werk »Essays« folgendes:

[…] Das Buch, zu dem ich am häu­figs­ten zurück­keh­re, sind die Memoi­ren Napo­le­ons. Er hat sie in der drit­ten Per­son geschrie­ben, was wie gött­li­che Unper­sön­lich­keit wirkt und auch so wir­ken soll. Er hat sich dar­in weni­ger sich selbst ver­herr­licht, als das Schick­sal geehrt, das so Gro­ßes von ihm woll­te und in ihn in allem recht­fer­tig­te… Er selbst ist der Füh­rer von heu­te, der Intel­lek­tu­el­le, der zur Gewalt greift. Wo heu­te irgend­ei­ne Art von Füh­rer an der Zukunft der Men­schen sich ver­sucht, ist es immer die­se. Sei­en Memoi­ren sind unser Hand­buch, wir ver­ste­hen uns mit ihm von selbst. Wäre er noch­mals da, er wäre umge­ben von der glei­chen, »tie­fen schwei­gen­den Ehr­furcht«, die Stendhal nennt. Er wäre »völ­lig außer Ver­gleich und jeder wür­de es füh­len«, wie einst. […]
(Vergl. Hein­rich Mann »Essays«, Ham­burg: Cla­as­sen, 1960, S. 140)

Mann’s Wor­te schei­nen heu­te von einer ver­blüf­fen­den Aktua­li­tät, beson­ders wenn wir die Rol­le Russ­lands im Ver­hält­nis zu Euro­pa betrach­ten, über die sich Napo­lé­on auf St. Hele­na einließ.


La fin
de L’em­per­eur

Napo­lé­on litt am Ende sei­nes Lebens, neben ande­ren Gebre­chen, an sehr star­ken Unter­leibs­schmer­zen. Es war Zeit, sein Tes­ta­ment zu machen, und er ver­teil­te das ihm gelas­se­nen Ver­mö­gen an Getreue. Er, der bis­her der Kir­che fern blieb, rief nach einem Pries­ter. Am 5. Mai 1821 starb Napo­lé­on Bona­par­te. Sei­ne Lei­che wur­de obdu­ziert und Magen­kar­zi­nom dia­gnos­ti­ziert. »A la tête de l´armée« – »An der Spit­ze der Armee« – sol­len sei­ne letz­ten Wor­te gewe­sen sein?

Ster­be­la­ger Napo­lé­ons auf St. Hele­na, Quel­le: Wikipedia

1840 wur­den sei­ne sterb­li­chen Über­res­te nach Paris über­führt, wo ihm ein exor­bi­tan­tes Begräb­nis im Inva­li­den­dom berei­tet wur­de. Sie lie­gen bis heu­te in einem Sarkophag.


Quintessenz