II. Der Feldzug in den Tagen des 14. Juni bis 19. Juni 1815

Der Nebel des Krieges

Der Beginn des Feld­zu­ges war geprägt von einer außer­or­dent­lich unkla­ren Lage. Die Fra­ge war: »Was wür­de Napo­lé­on tun?« Es war für die Alli­ier­ten kaum anzu­neh­men, dass der Kai­ser war­ten wür­de, bis die Hee­res­mas­se sei­ner Geg­ner ver­sam­melt war, also Rus­sen und Öster­rei­cher zu Wel­ling­ton und Blü­cher auf­schlie­ßen konn­ten. Den­noch lag über dem Kriegs­thea­ter eine knis­tern­de Ungewissheit.

[…] Der Krieg ist das Gebiet der Unge­wiß­heit; drei Vier­tei­le der­je­ni­gen Din­ge, wor­auf das Han­deln im Krie­ge gebaut wird, lie­gen im Nebel einer mehr oder weni­ger gro­ßen Unge­wiß­heit. Hier ist es also zuerst, wo ein fei­ner, durch­drin­gen­der Ver­stand in Anspruch genom­men wird, um mit dem Tak­te sei­nes Urteils die Wahr­heit herauszufühlen. […]
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Carl von Clau­se­witz, Ver­lag MfNV, Ber­lin 1957, I.Buch, 3.Kap. Der krie­ge­ri­sche Geni­us, S.55)

Den Duke of Wel­ling­ton und den Mar­schall Blü­cher beweg­te die Fra­ge: Was plan­te Bona­par­te, und was wür­de er tat­säch­lich unter­neh­men? Erstaun­li­cher­wei­se ver­sag­te Wel­ling­tons Spio­na­ge­sys­tem nahe­zu voll­stän­dig, da die Gren­zen in Rich­tung Bel­gi­en abge­schot­tet waren und die Bevöl­ke­rung rela­tiv loy­al zu Frank­reich stand. Somit lagen kei­ne ver­läss­li­chen Infor­ma­tio­nen über etwa­ige Hand­lun­gen der fran­zö­si­schen Armee vor. Bei­de Heer­füh­rer unter­schätz­ten die Mög­lich­kei­ten der rea­len Gefahr eines sprung­haf­ten und bal­di­gen Angriffs Napo­lé­ons. Gleich­wohl gab es früh­zei­ti­ge War­nun­gen. Zwei Tage bevor Napo­lé­on, der am 12. Juni aus Paris abreis­te und am 14. Juni bei den Trup­pen war, mel­de­te der Chef des Sta­bes des III. Armee­korps, Oberst Carl von Clau­se­witz, Bewe­gun­gen der Fran­zo­sen. Wonach zwei im Raum Metz ste­hen­de fran­zö­si­sche Divi­sio­nen aus ihren Räu­men abmar­schiert sei­en. Mit einer deut­li­che­ren War­nung vor einer unmit­tel­bar bevor­ste­hen­den Akti­on der Fran­zo­sen sei wohl kaum noch zu rech­nen, bemerk­te er ahnungsvoll.
(Vergl. »Die Schlacht« Water­loo 1815, K.-J. Bremm, WBG Darm­stadt, 2015, S. 79)

Wäh­rend der Kor­se zur Tat schritt, beging Wel­ling­ton – am 15. Juni – in Brüs­sel den Jah­res­tag der Schlacht von Vito­ria von 1813 mit einem fest­li­chen Ball, den die »Her­zo­gin von Rich­mond« ver­an­stal­te­te. Ihm selbst war zu die­sem Zeit­punkt wohl schon bewusst, dass die »Luft brann­te«, woll­te aber kei­ne Panik ver­brei­ten. Der größ­te Teil sei­ner wich­ti­gen Offi­zie­re war anwe­send, und so konn­te er unauf­fäl­lig füh­ren. Die Alli­ier­ten rech­ne­ten für den 16. Juni mit Gefech­ten bei Ligny und bei Quadre-​Bras (vier Arme).

[…] Der Duke muss­te drin­gen­de Befeh­le aus­ge­ben (…) Der Ball dien­te in der Tat als Stabs­tref­fen, (…) An der Stra­ße von Char­le­roi war die Höl­le losgebrochen. […]
(Vgl. Corn­well Ber­nard, »Water­loo«. Eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa. Rein­bek bei Ham­burg 2015, S. 69 bis 70)

Als Wel­ling­ton am Abend von Gene­ral Müff­ling – gegen 18:00 Uhr – durch eine schrift­li­che Nach­richt von Blü­cher über die ent­stan­de­ne Lage infor­miert wird, zögert der Duke noch. Spä­ter jedoch, als die Nach­richt, dass die Fran­zo­sen vor Quatre-​Bras ste­hen, soll der Her­zog gesagt haben »He has hum­bug­ged me« (“Er hat mich übers Ohr gehau­en”). Nun war der Her­zog gezwun­gen, schnell zu han­deln. Das gro­ße »Ren­dez­vouz« war eröffnet.

Die Streit­kräf­te

Mit­te Juni ver­füg­ten die Alli­ier­ten auf dem bel­gi­schen Kriegs­schau­platz über fol­gen­de annä­hern­de Truppenstärke:
Die nie­der­län­di­sche Armee unter Wel­ling­ton … 100.000 Mann;
Blü­cher … 115.000 Mann;
Bun­des­trup­pen an der Mosel (Reser­ven) … 20.000 Mann;
Mit­hin also … 235.000 Mann insgesamt.

Gegen die­se Trup­pen hat­ten die Franzosen
etwa vom ste­hen­den Heer … 180.000 Mann;
von den Natio­nal­gar­den .… 15.000 Mann;
Zusam­men im Fel­de … 195.000 Mann insgesamt.
(Vergl. Carl von Clau­se­witz Sämt­li­che Schrif­ten »Vom Krie­ge«, Stra­te­gi­sche Über­sicht des Feld­zu­ges von 1815, W. von Seyd­litz, Mun­dus, 1999, S. 323 bis 324)

Die hier dar­ge­stell­ten Stär­ken vari­ie­ren in Abhän­gig­keit der im Ver­lau­fe der Gefech­te ein­ge­setz­ten Armee­korps und der ope­ra­tiv tak­ti­schen Auf­ga­ben und Zie­le. Clau­se­witz schlüs­selt die­se akri­bisch auf. Mit Beginn der Hand­lun­gen am 15. Juni kam es fort­wäh­rend zu Bestands­ver­än­de­run­gen bei­der Sei­ten durch sani­tä­re und leta­le Ver­lus­te sowie durch Fluk­tua­tio­nen (z. B. Desertion).

Das Schlacht­feld

15 Kilo­me­ter süd­lich von Brüs­sel liegt das Dorf Water­loo. Die­se Regi­on gehör­te damals noch zu den Nie­der­lan­den. Durch Water­loo führt die gut aus­ge­bau­te Stra­ße von Brüs­sel nach Char­le­roi. Im Zen­trum des klei­nes Dorfs befand sich ein Gast­hof. Auf­grund sei­ner expo­nier­ten Lage mach­te der bri­ti­sche Gene­ral­stab das Gebäu­de zum Haupt­quar­tier für den Her­zog von Wel­ling­ton. Vier Kilo­me­tern wei­ter liegt an der Stra­ße die klei­ne Ansie­de­lung Mont-​Saint-​Jean mit einer Kreu­zung und einem Bau­ern­hof. Von der Kreu­zung führt eine Stra­ße in süd­west­li­cher Rich­tung nach Nivel­les. Ent­lang der Stra­ße nach Char­le­roi befin­det sich etwa einen Kilo­me­ter ent­fernt, am Ende eines klei­nen Hügels, der Nach­bar­hof La Haye Sain­te. Folgt man der Stra­ße nach Süden, erreicht man nach einem klei­nen Anstieg und gut einem Kilo­me­ter das ehe­ma­li­ge Gast­haus Belle-​Alliance (Schö­ne Ver­bin­dung). Bleibt man auf der Stra­ße, erreicht man nach 2,5 Kilo­me­tern den Bau­ern­hof Le Caill­ou. Am Vor­abend der Schlacht von Water­loo ließ Gene­ral Bert­rand, der Adju­tant des Kai­sers, Napo­le­ons Haupt­quar­tier auf dem Bau­ern­hof Le Caill­ou ein­rich­ten. West­lich von La Bel­le Alli­ance, an der Stra­ße nach Nivel­les, liegt das gro­ße Anwe­sen Hougo­mont. Öst­lich von La Haye Sain­te liegt der Bau­ern­hof Pape­lot­te. La Haye Sain­te ist wie Pape­lot­te ein typi­scher Bau­ern­hof der Regi­on in der Zeit um 1815.

Das Ter­rain des eigent­li­chen Schlacht­fel­des – am Tag von Belle-​Alliance – war mit einer Brei­te von knapp 4.000 m und einer Tie­fe von ca. 1.500 m, also etwa 6 Qua­drat­ki­lo­me­ter, eine extrem beschränk­te Wal­statt für eine blu­ti­ge Schlacht die­ses Aus­ma­ßes, auf der sich rund 150.000 Kom­bat­tan­ten bei­der Sei­ten fast neun Stun­den erbit­tert schlu­gen. Prä­gnant die Höhen­zü­ge von etwa 150 m über NN, auf denen sich beherr­schen­de Orts­la­gen befan­den, die durch die Bri­ten besetzt waren. Das Gelän­de war nicht bewal­det und land­wirt­schaft­lich in Nut­zung. Hohl­we­ge stell­ten ins­be­son­de­re für die Kaval­le­rie Hin­der­nis­se dar. Durch schwe­re wol­ken­bruch­ar­ti­ge Nie­der­schlä­ge vom 17. zum 18. Juni war die Pas­sier­bar­keit für Infan­te­rie, Artil­le­rie und Kaval­le­rie sehr erschwert.

Lage der Alli­ier­ten am 14. Juni 1815

Quel­le: »Water­loo — Eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa«, B.Cornwell, 2015, Rowohlt, Rein­beck, S. 58


Das Spiel der »Lini­en«

Napo­lé­on hat­te sich klu­ger­wei­se ent­schlos­sen, sei­ne Geg­ner schnell nach­ein­an­der anzu­grei­fen und zu schla­gen. Erst dann, so dach­te er, kön­ne er sich den Öster­rei­chern zuwen­den. Damit nutz­te er den Vor­teil der »Inne­ren Linie«. Er schob sich schlag­ar­tig zwi­schen Wel­ling­ton und Blü­cher, nutz­te das Über­ra­schungs­mo­ment und gewann so, als der sich schein­bar Ver­tei­di­gen­de, die Initia­ti­ve. Das Prin­zip war: schnel­le Bewe­gung und über­ra­schen­de Schlä­ge durch Mas­sie­rung der Kräf­te, durch die Napo­lé­on zunächst ope­ra­ti­ve Vor­tei­le gewann. So waren erst ein­mal Erfol­ge beim Über­gang der Sombre, bei Quatre-​Bras und Ligny mög­lich. Daher konn­te Bona­par­te den sich schwer­fäl­lig, immer noch im Auf­bau befin­den­den ope­ra­ti­ven Auf­bau der Alli­ier­ten, der sich auf der » Äuße­ren Linie« beweg­te, aus­ma­nö­vrie­ren. Wir erin­nern uns, dass Rus­sen und Öster­rei­cher zum Zeit­punkt des Beginns der napo­léo­ni­schen Ope­ra­ti­on noch eini­ge Tages­mär­sche vom Zen­trum des Gesche­hens ent­fernt waren. Auf Sei­ten der Alli­ier­ten war im Juni 1815 immer noch der ver­häng­nis­vol­le mili­tä­ri­sche Geist des über­leb­ten »Anci­en Regims« zu erkennen.

Ligny und Quatre-Bras

Napo­lé­on trifft am 15. Juni gegen 3:00 Uhr bei der Nord­ar­mee ein. Dort trifft er Maß­re­ge­lun­gen und gibt »Ord­re de Batail­le«. Mar­schall Ney über­nimmt zwei Korps (44.000 Mann) des lin­ken Flü­gels. Den rech­ten mit einem Korps (30.000 Mann) und mit einem Kaval­le­rie­korps führt Mar­schall Grouchy. Im Zen­trum der Angriffs­grup­pie­rung fol­gen drei Korps (54.000 Mann) mit der Kaval­le­rie­re­ser­ve. Napo­lé­on führt sel­ber bei Ligny.

Am Don­ners­tag, dem 15. Juni, 04:00 Uhr, for­ciert Napo­lé­on mit der Nord­ar­mee bei Char­le­roi an drei Über­gän­gen (Mar­chi­en­nes, Char­leroy, Cha­te­let) die »Sambre«. Der Fluß stell­te mit etwa 20 m Brei­te ein rela­tiv leicht zu neh­men­des Was­ser­hin­der­nis dar.

Gene­ral Zie­then gelang es nicht, sei­ne Vor­pos­ten zu hal­ten und ver­lor im hin­hal­ten­den Kampf dabei ein Batail­lon. Ney stößt bei Quatre-​Bras auf die Bri­ten, Grouchy bei Ligny auf die Preu­ßen. Die Preu­ßen wichen nach Nord­os­ten auf Ligny zurück, um sich dort gegen die Fran­zo­sen zu stel­len. Blü­cher hoff­te auf die Hil­fe Wel­ling­tons. Vor­aus­set­zung dafür war, das Quadre-​Bras in bri­ti­scher Hand blieb. Ihnen gegen­über, auf dem lin­ken Flü­gel, stand Maré­chal Ney »Le plus bra­ve des braves«,»Der Tap­fers­te der Tap­fe­ren«, wie sein Kai­ser ihn mal bezeichnete.

Die Alli­ier­ten rech­ne­ten erst für den 16. Juni mit Gefech­ten bei Ligny und bei Quadre-​Bras (vier Arme). Ney trifft bald bei Fras­nes auf den jun­gen Her­zog von Wei­mar, der mit etwa 4.000 Nas­sau­ern und Nie­der­län­dern einen wei­te­ren Vor­marsch auf Brüs­sel ver­zö­gern konn­te. Als Wel­ling­ton gegen 18:00 die Mel­dung über einen Gene­ral­an­griff der Fran­zo­sen erhält, befin­det er sich immer noch auf dem Ball der Her­zo­gin von Rich­mond in Brüs­sel. Erst am 16. Juni gegen 7:00 Uhr in der Früh erreicht Wel­ling­ton Quadre-​Bras.

Bewe­gung der Nord­ar­mee Napo­lé­ons am 15. Juni 1815

Quel­le: »Water­loo — Eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa«, B.Cornwell, 2015, Rowohlt, Rein­beck, S. 88

Bei Quadre-​Bras gelang es Ney nicht, Wel­ling­tons Trup­pen eine ent­schei­den­de tak­ti­sche Nie­der­la­ge zuzu­fü­gen. Er konn­te jedoch ver­hin­dern, dass sich die Trup­pen von Wel­ling­ton mit denen Blü­chers ver­ei­nig­ten. Die Bri­ten gin­gen kämp­fend und geord­net in Rich­tung Brüs­sel zurück. Die Stra­ßen­kreu­zung »Vier Arme« stell­te eine ope­ra­ti­ve Schlüs­sel­stel­lung dar, die den Zugang nach Brüs­sel hät­te decken kön­nen. Auf Grund eines Feh­lers, ver­ur­sacht durch das nie­der­län­di­sche Korps, kommt es zu Unstim­mig­kei­ten zwi­schen die­sen und der Sachsen-​Weimar-​Brigade, die schluss­end­lich Wel­ling­ton zum Rück­zug zwangen.

In die­sen Kämp­fen fiel auch Gene­ral  Fried­rich Wil­helm von Braun­schweig, genannt der »Schwar­ze Her­zog«. Ney war zu die­sem Zeit­punkt aller­dings schon ohne Reser­ven und konn­te sei­nen Geg­ner nicht ver­fol­gen. Ihm feh­len zu die­ser Zeit die 20.000 Mann des Korps Drou­et d´Erlon. Die­se Trup­pe wird am 16. Juni sinn­los zwi­schen den Flü­geln des napo­léo­ni­schen Auf­baus hin und her geschickt, ohne zunächst kämp­fend ein­grei­fen zu kön­nen. Ver­ur­sacht durch wider­sprüch­li­che Befeh­le, die d´Erlon nicht oder nicht zeit­ge­recht erreich­ten. Spä­ter, am 17. Juni in den Mor­gen­stun­den, beginnt Wel­ling­ton, sich von Quadre-​Bras auf eine neue Posi­ti­on zurück­zu­zie­hen. Der Her­zog hat­te zuvor den Höhen­zug von Mont-​St-​Jean reko­gnos­ziert und die­sen für eine Auf­stel­lung zur Ver­tei­di­gung für vor­teil­haft befun­den. Dabei setz­te er vor­aus, daß Blü­cher, wie ver­spro­chen, zu ihm sto­ßen würde.

Gegen 13:00 Uhr, am 16. Juni, tref­fen Blü­cher und Wel­ling­ton an der Wind­müh­le von Bus­sy zusam­men und tau­schen sich über die Lage und das wei­te­re Vor­ge­hen aus.

[…] Um 1 Uhr kam der Her­zog zum Feld­mar­schall Blü­cher bei der Wind­müh­le von Bry an. Der Her­zog sag­te dem Feld­mar­schall, daß sei­ne Armee sich in die­sem Augen­blick bei Quatre-​Bras ver­samm­le und daß er damit zu einer Hil­fe in weni­gen Stun­den her­bei­ei­len wer­de; »a quat­re heu­res je serais ici«, sol­len sei­ne Wor­te gewe­sen sein, indem er dem Pferd die Spo­ren gab. […]
(Vergl. Carl von Clau­se­witz: Sämt­li­che Schrif­ten »Vom Krie­ge«, Stra­te­gi­sche Über­sicht des Feld­zu­ges von 1815, W. von Seyd­litz, Mun­dus, 1999, S. 350)

Wel­ling­ton hat­te bis zu die­sem Zeit­punkt die Lage nicht real ein­ge­schätzt (nicht gekonnt, oder nicht gewollt?) und sah erst bei Blü­cher, wie es tat­säch­lich in ope­ra­ti­ver Sicht stand. Ein gan­zer Tag war de fac­to ver­lo­ren gegan­gen. Er ließ Blü­cher mit einem Ver­spre­chen zurück, das er nicht hal­ten konn­te, denn er befürch­te­te, daß der Feld­mar­schall sonst zau­dern wür­de. Er nahm aber die Zusi­che­rung des Mar­schalls mit, ihm sel­ber unter allen Umstän­den mit wenigs­tens zwei Korps zur Hil­fe zu eilen. Ein Rück­zug war für bei­de Feld­her­ren kei­ne Opti­on. Blü­cher ent­schloss sich, die Schlacht um Ligny anzu­neh­men. Zu ver­zeich­nen ist jedoch, dass Wel­ling­ton Blü­cher über sei­ne eige­ne Lage bei Quatre-​Bras und sei­ne tat­säch­li­chen Mög­lich­kei­ten im Unkla­ren ließ. Unklar auch Müfff­lings Rol­le in die­ser Cau­sa. Mög­li­cher­wei­se wäre die­se Schlacht bei genau­er Kennt­nis der Lage anders verlaufen.
(Vergl. Fried­rich Karl Frei­herr v. Müff­ling, sonst Weiß genannt, »Aus mei­nem Leben«, Ber­lin 1851, Mitt­ler & Sohn, S. 233 f.)

Gegen 18:00 Uhr infor­miert Wel­ling­ton Blü­cher, dass er auf der all­ge­mei­nen Linie Braine‑L´Alleud — MT.St.-Jean — La Haye Sain­te gegen Napo­lé­on kämp­fen werde.

Quel­le: »Water­loo — Eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa«, B.Cornwell, 2015, Rowohlt, Rein­beck, S. 114


16. Juni, der Tag von Ligny

Am 16. Juni, gegen 14:30 Uhr, begin­nen die Feind­se­lig­kei­ten bei Ligny und Qatre-​Bras nahe­zu gleich­zei­tig. Clau­se­witz unter­schei­det die­se Schlacht bei Ligny in drei ver­schie­de­ne gleich­zei­ti­ge Akte.

[…] Der Kampf um die Dör­fer St. Amand, der Kampf um das Dorf Ligny und die Demons­tra­ti­on gegen das drit­te Armeekorps. […]
(Vergl. Carl von Clau­se­witz Sämt­li­che Schrif­ten »Vom Krie­ge«, Stra­te­gi­sche Über­sicht des Feld­zu­ges von 1815, W. von Seyd­litz, Mun­dus, 1999, S. 357)

Wir geben hier einen Aus­zug der Gelän­de­be­spre­chung, for­mu­liert durch den königlich-​preußischen Gene­ral der Infan­te­rie, Lud­wig von Rei­che, aus dem Jahr 1857, der Teil­neh­mer an der Schlacht bei Water­loo war.

[…] Was nun das Schlacht­feld … in sei­ner Aus­deh­nung betrifft, so sind die Gren­zen des­sel­ben in fol­gen­der Wei­se zu bezeich­nen. Mit der Front nach Süd­west dehnt es sich lin­ker Hand von von dem Wan­fer­cé­er Grun­de zwi­schen Wan­fer­cée und Bau­let auf Fleu­rus, und von hier längs dem Wege auf Mel­let bis zum Kreu­zungs­punk­te der Römer­stras­se und der Chaus­see von Gos­se­lies nach Gen­ap­pe aus. Rech­ter Hand macht die Römer­stra­ße bis zum Kreu­zungs­punk­te der­sel­ben und der Namur-​Brüsseler Chau­see die Gren­ze. Lin­ker Hand reicht das Schlacht­feld bis zum Wan­fer­cé­er Grun­de, und von da über Tong­rin­ne bis Point du Jour an der Namur-​Brüsseller Chaus­see zwi­schen Som­bres­se und Boteh Auf der letz­ten, nörd­li­chen Sei­te wird es durch die oben genann­te Chaus­see begrenzt. […]
(Vergl. »Memoi­ren« des könig­lich preu­ßi­schen Gene­rals der Infan­te­rie Lud­wig von Rei­che, L. v. Welt­zi­en, 2. Teil, 1857, S. 176)

Nach Clau­se­witz war der ers­te die­ser Akte der blu­tigs­te, der zwei­te der ent­schei­dends­te, der drit­te unwich­tig, aber ein wirk­sa­mer Schein­an­griff gegen die Fran­zo­sen. Blü­cher kon­zen­triert sich auf die Ver­tei­di­gung sei­nes Zen­trums in und um Ligny. Sei­ne Lage mit der rech­ten Flan­ke etwa 10 km ost­wärts von Quadre-​Bras bei Sombref­fe und Ligny. Wel­ling­ton wird es nicht gelin­gen, an Blü­chers Flan­ke auf­zu­schlie­ßen, da bei Quadre-​Bras gebun­den. Der Feld­mar­schall nimmt die Schlacht gegen Napo­lé­on an, obwohl das 32.000 Mann star­ke IV. Korps Bülows von Den­ne­witz noch nicht auf­ge­schlos­sen hat­te, das aus dem Raum Lüt­tich im Anmarsch war.

Gegen 17:00 Uhr, 17:30 Uhr fal­len die ers­ten Dör­fer vor Ligny – (Wag­ne­lee, St. Armand, La Haye Sain­te und Ton­gri­nel­le) – an die Fran­zo­sen. Ligny – hart­nä­ckig ver­tei­digt – bleibt in Blü­chers Hand. Gegen 18:00 Uhr neh­men die Preu­ßen Armand zurück. Von 18:00 Uhr bis 20:30 Uhr greift Napo­lé­ons Gar­de an, drückt die Preu­ßen zurück und durch­bricht das preu­ßi­sche Zen­trum. Bei einem ver­zwei­fel­ten Gegen­an­griff – gegen 20:30 Uhr – den Blü­cher selbst führt, wird der Feld­mar­schall außer Gefecht gesetzt, stürzt vom Pferd und erlei­det schwe­re Kon­tus­io­nen. Durch das beherz­te Ein­grei­fen August Lud­wig Fer­di­nand Graf von Nos­titz´ konn­te Blü­cher gebor­gen, beschützt und ver­sorgt wer­den. Die Preu­ßen zie­hen sich zum Tages­aus­gang auf Sombreff zurück. Vie­le preu­ßi­sche Ein­hei­ten konn­ten in eini­ger Ord­nung das Gefecht abbre­chen. Zeit­wei­se über­nimmt Gnei­se­nau die Füh­rung der preu­ßi­schen Trup­pen. Abends, wie­der mit Blü­cher ver­eint, bestä­tigt die­ser den Ent­schluss Gnei­sen­aus, sich wider aller Regeln der Kriegs­kunst nicht nach Osten ins Rhein­land, son­dern nach Nor­den, nach Wav­re zu mar­schie­ren. Das Ziel war, nicht zuzu­las­sen, dass Bona­par­te die Ver­bün­de­ten nach­ein­an­der nie­der­rin­gen konn­te. Vor­satz war, Napo­lé­on end­gül­tig zu schla­gen. Das bezeich­ne­te Clau­se­witz als den End­erfolg über den Feind.

[…]…wegen aller die­ser natür­li­chen Ver­hält­nis­se des Krie­ges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, näm­lich den End­erfolg. Bis dahin ist nichts ent­schie­den, nichts gewon­nen, nichts ver­lo­ren. Hier ist es, wo man sich unauf­hör­lich sagen muß: das Ende krönt das Werk. In die­ser Vor­stel­lung ist also der Krieg ein unteil­ba­res Gan­zes, des­sen Glie­der (die ein­zel­nen Erfol­ge) nur Wert haben in Bezie­hung auf dies Ganze. […]
(Vergl. »Vom Krie­ge«, Carl von Clau­se­witz, Ver­lag MfNV, Ber­lin 1957, Skiz­zen zum ach­ten Buche, 3.Kap. A. Inne­rer Zusam­men­hang des Krie­ges, S. 698)

Die Intui­ti­on Gnei­sen­aus, das Ver­trau­en des Feld­mar­schalls, Moral und Wil­le der preu­ßi­schen Batail­lo­ne führ­te zum Links­ab­marsch Blü­chers Trup­pen, hin zu Wel­ling­tons lin­ker Flan­ke und somit letzt­end­lich zum Sieg über Napoléon

Gene­ral August Wil­helm Anton Graf Neid­hardt von Gnei­se­nau (* 27.10.1760; 23.8.1831) …

Gnei­se­nau, Quel­le Wikipedia

… schil­dert die Umstän­de des Tref­fens bei Ligny und die Beson­der­heit des Ver­hält­nis­ses zu Wel­ling­ton in einem Brief vom 17. Juni 1815 aus Wav­re an sei­ne Gattin:

[…] Wir haben ges­tern eine Schlacht gelie­fert, die von uns mit einem gro­ßen Miß­ver­hält­nis gegen die feind­li­chen Kräf­te, das heißt mit etwa 80.000 Mann gegen eine Macht von 120.000 Mann, die Bona­par­te gegen uns brach­te, zur gro­ßen Ehre unse­rer bra­ven Infan­te­rie bis 9 Uhr abends durch­foch­ten wur­de. Da die ver­spro­che­ne Hil­fe nicht kam und Miß­ver­ste­hun­gen statt­ge­fun­den hat­ten, so waren wir genö­tigt, den Rück­zug anzu­tre­ten, um uns mit der Armee des Her­zogs von Wel­ling­ton näher zu ver­ei­ni­gen. Wir gin­gen 1½ Stun­den zurück und haben durch den heu­ti­gen klei­nen Marsch der bri­ti­schen Armee uns genä­hert und wol­len eine erneu­te Schlacht suchen. […]
(Vergl. »Gnei­se­nau Ein Leben in Brie­fen, Dr. Karl Grie­wank, Köh­ler & Ame­lang /​Leip­zig, S. 319)

In die­ser Schlacht ver­lie­ren die Preu­ßen annä­hernd 12.000, die Fran­zo­sen etwa 11.000 Man an Ver­wun­de­ten und Toten. Gleich­zei­tig bei Quadre-​Bras ver­liert Wel­ling­ton 4.700 und Ney 4.300 Männer.
(Vergl.»Die Befrei­ungs­krie­ge in Augen­zeu­gen­be­rich­ten, E. Kleß­mann, dtv, 1973, S. 303)

Im vor­herr­schen­de Cha­os gal­ten eini­ge Tau­send Preu­ßen und Fran­zo­sen als ver­misst. Nicht weni­ge nutz­ten das Schlacht­ge­tüm­mel, um zu desertieren.

Napo­lé­on konn­te bei Ligny kei­nen ent­schei­den­den Sieg errin­gen, son­dern führ­te ledig­lich eine sehr blu­ti­ge Abnut­zungs­schlacht ohne ope­ra­ti­ve Wir­kung. Blü­cher war zwar geschla­gen, aber nicht vom Schlacht­feld geflo­hen, son­dern stell­te über Nacht die Marsch- und Kampf­be­reit­schaft wie­der her und konn­te so sein Ver­spre­chen an Wel­ling­ton ehren­haft einlösen.

17.Juni

Nach Mit­ter­nacht vom 16. zum 17. räu­men die Preu­ßen Sombref­fe. In den Abend­stun­den des 16. bis zum Mor­gen des 17. ist Napo­lé­on als Feld­herr nicht mehr aktiv. Wel­ling­ton lässt Sir Alex­an­der Gor­don – gefal­len am 18. bei Water­loo – in den frü­hen Mor­gen­stun­den des 17. den Aus­gang des Rin­gens um Ligny auf­klä­ren und kann auf die Preu­ßen hof­fen. An die­ser Stel­le bit­tet Blü­cher sei­nen 2. Gene­ral­stabs­chef Müff­ling, an Wel­ling­ton fol­gen­de Bot­schaft zu überbringen:

Wav­re, 18. Juni 1815, 10 Uhr vormittags
E.H.ersuche ich namens mei­ner dem Her­zog Wel­ling­ton zu sagen, daß, so krank ich auch bin, ich mich den­noch an die Spit­ze mei­ner Trup­pen stel­len wer­de, um den rech­ten Flü­gel des Fein­des sofort anzu­grei­fen, sobald Napo­le­on etwas gegen den Her­zog unter­nimmt. Soll­te der heu­ti­ge Tag aber ohne einen feind­li­chen Angriff hin­ge­hen, so ist es mei­ne Mei­nung, daß wir mor­gen ver­eint die fran­zö­si­sche Armee angreifen …
(Vergl. »Blü­chers Brie­fe«, W. Capel­le, Insel Ver­lag Leip­zig, 1920, S. 71)

Blü­cher befiehlt 09:30 Uhr Wav­re als Sam­mel­punkt aller preu­ßi­schen Trup­pen, die dann mit dem bülow­schen Korps wie­der etwa 90.000 Mann haben wer­den. Wel­ling­ton teilt am Abend – gegen 20:00 Uhr – Blü­cher mit, dass er sich Napo­lé­on auf der Linie Braine‑L´Alleud — MT. St.-Jean — La Haye Sain­te zur Schlacht stel­len wird. Napo­lé­ons Avant­gar­den errei­chen um die­se Zeit La Belle-​Alliance. Die fol­gen­den Vor­hut­ge­fech­te las­sen Bona­par­te erken­nen, dass Wel­ling­ton sich hier schla­gen wird.

Napo­le­on beur­teil­te die Lage am Vor­mit­tag des 17. Juni falsch und wähn­te den geschla­ge­nen Blü­cher auf dem Rück­zug nach Lüttich.

Grouchy erhält die Ord­re, mit drei Korps (33.000 Mann, III. und IV. Korps sowie 1 Kaval­le­rie­korps) Blü­cher zu ver­fol­gen, jedoch Ver­bin­dung zu hal­ten. Gegen 13:00 setzt sich Grouchy ohne Eile in Marsch. Als die­ser mit sei­nem Stab am 18. Juni gegen 11:30 Uhr am Früh­stücks­tisch saß, hör­te er den Kano­nen­do­ner aus Wes­ten. Gene­ral Gérard for­der­te, sofort Napo­lé­on ent­ge­gen­zu­ei­len. Maré­chal Grouchy lehn­te ent­schie­den ab und berief sich auf sei­nen Befehl. Anders­lau­ten­de Depe­schen hat­ten ihn noch nicht erreicht. Napo­lé­on wird erst mit Beginn des Angrif­fes auf Houh­go­u­mont Grouchy befeh­len, sich in sei­ne Rich­tung zu bewegen.

[…] Ver­lie­ren Sie kei­nen Augen­blick, sich uns zu nähern und sich mit uns zu ver­ei­nen, um Bülow zu ver­nich­ten, den Sie auf fri­scher Tat antref­fen werden. […]
(Vergl. »Die Befrei­ungs­krie­ge«, R. Fried­rich, 4Bde, Bd.4: Der Feld­zug von 1815, Mitt­ler & Sohn Ber­lin 1913, S. 188)

Napo­lé­on erreicht 14:30 Uhr Quadre-​Bras. Die her­ein­bre­chen­den schwe­ren Regen­fäl­le ver­hin­dern, Wel­ling­ton zu bin­den, sodass die­ser sich auf sei­ne neue Ver­tei­di­gungs­li­nie zurück­zie­hen kann.

Sonn­tag 18. Juni 1815, Water­loo, Belle-Alliance

Wel­ling­ton hat­te, so wie an Blü­cher über­mit­telt, sei­ne Trup­pen zum Mor­gen des 18. Juni bei Mont St. Jean mit etwa 68.000 Mann und 164 Kano­nen dis­lo­ziert. Das Korps des Prin­zen von Ora­ni­en mit etwa 19.000 Mann stand bei Hal als Deckung der Ver­bin­dungs­we­ge an der rech­ten Flan­ke und zur Schlacht nicht zur Ver­fü­gung. Das stell­te Wel­ling­tons Rück­ver­si­che­rung dar, falls die Schlacht unglück­lich aus­ge­hen soll­te. Rechts Lord Hill, im Zen­trum der Prinz von Ora­ni­en, am lin­ken Flü­gel Gene­ral Picton.

Im Rücken des Auf­baus fiel das Gelän­de sanft ab. Die dort auf­ge­stell­ten Regi­men­ter waren von den Fran­zo­sen nicht ein­seh­bar. Wich­tig auch der wei­ter nörd­lich an der Stra­ße lie­gen­de Wald von Goi­g­nes, der für einen Rück­zug mög­lich war. Ein ent­lang der Front ver­lau­fen­der Quer­weg, der mit Hecken bewach­sen war, stell­te ein Hin­der­nis dar. Das Gelän­de vor Wel­ling­tons Auf­bau, der etwa 5.000 Schritt breit war, zeig­te sich durch­schnit­ten, nicht bewal­det, land­wirt­schaft­lich in Nut­zung (Getrei­de auf dem Halm), mit zahl­rei­chen klei­nen Grä­ben. Auf Grund der Nie­der­schlä­ge wur­de auf schwe­rem Boden gefochten.

Mit Beginn der Schlacht ver­lief Wel­ling­tons Front mit dem rech­ten Flü­gel an der Chau­see von Nivel­les, über das Zen­trum hin­ter la Haye Sain­te, zur lin­ken Flan­ke bei den Höfen Smou­hen, Pape­lot­te sowie la Haye.

18.Juni 1815. Der Tag von Waterloo

Quel­le: »Water­loo — Eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa«, B.Cornwell, 2015, Rowohlt, Rein­beck, S. 148

Napo­lé­on sei­ner­seits konn­te annä­hernd 100.000 Mann ver­sam­meln, die eine Linie mit 2.500 Schritt – vor Belle-​Allianz – par­al­lel zu Wel­ling­tons stell­ten. Die­se Linie hat­te zwei Tref­fen Infan­te­rie, sowie ein drit­tes und vier­tes mit Kaval­le­rie. Die­ser demons­tra­ti­ve ope­ra­ti­ve Auf­bau Napo­lé­ons ent­sprach nicht einer sei­ner tra­di­tio­nel­len Ideen für eine Schlacht.

[…] Sie ist ganz unge­wöhn­lich, denn man fin­det sie in kei­ner der Bona­par­ti­schen Schlach­ten; sie ist ganz unnütz, denn die Korps müs­sen sich zum Angriff doch erst wie­der in Kolon­nen set­zen. Anstatt sei­ne Kräf­te soviel als mög­lich zu ver­ber­gen, wie jeder tut, und unver­merkt zu nähern, läßt er sich so breit und syt­se­ma­tisch wie mög­lich ent­wi­ckeln, als käme es nur dar­auf an, ein Schau­ge­richt zu geben. […]
(Vergl. Carl von Clau­se­witz Sämt­li­che Schrif­ten »Vom Krie­ge«, Stra­te­gi­sche Über­sicht des Feld­zu­ges von 1815, W. von Seyd­litz, Mun­dus, 1999, S. 382)

Clau­se­witz lässt sich hier zu einer spöt­ti­schen Bemer­kung hin­rei­ßen und mut­maßt, ent­we­der woll­te Bona­par­te bei sei­nen eige­nen Leu­ten Mut erzeu­gen oder Wel­ling­ton impo­nie­ren. Oder aber sein Geist war nicht mehr im Gleichgewicht.

So zer­fällt – nach Clau­se­witz – die Schlacht in zwei Haupt­mo­men­te: 1. in die Ver­tei­di­gung Wel­ling­tons und 2. in den Flan­ken­an­griff Blü­chers. Der operativ-​taktische Auf­tritt Napo­lé­ons bleibt hier­bei ohne Würdigung.
(Vergl. Carl von Clau­se­witz Sämt­li­che Schrif­ten »Vom Krie­ge«, Stra­te­gi­sche Über­sicht des Feld­zu­ges von 1815, W. von Seyd­litz, Mun­dus, 1999, S. 383)

Napo­lé­on prä­zi­siert sei­nen ursprüng­li­chen Plan, um 09:00 Uhr anzu­grei­fen, nach­dem er sich sel­ber vom schwer pas­sier­ba­ren Gelän­de über­zeugt hat­te. Der Gene­ral­an­griff soll­te nun um 11:00 Uhr begin­nen. Wel­ling­ton selbst hat­te sei­nen ope­ra­ti­ven Auf­bau um 09:00 Uhr been­det und war­te­te auf den Angriff der Franzosen.

Die Schlacht begann um 11:00 Uhr

His­to­ri­ker unter­tei­len in der Regel die­se Schlacht in fünf Phasen:

Pha­se 1 - Napolè­ons Schein­an­griff auf Hou­go­u­mont. Die­sen mit dem mög­li­chen Ziel, Wel­ling­tons Zen­trum zu schwä­chen, da die­ser wahr­schein­lich Reser­ven von dort zum Ort des Gesche­hens wer­fen würde.

Pha­se 2 — Der Angriff des Korps d´Erlon.
Dabei erfolg­te ein Angriff auf das Zen­trum der Gefechts­ord­nung Wellingtons.

Pha­se 3 — Kaval­le­rie­at­ta­cken gegen das bri­ti­sche Zen­trum. Maré­chal Ney führ­te erfolg­los Kaval­le­rie und Infanterie.

Pha­se 4 — Erfolg­rei­che fran­zö­si­sche Infan­te­rie­an­grif­fe. Tem­po­ra­le Raum­vor­tei­le auf dem Gefechts­feld für die Franzosen.

Pha­se 5 — Kul­mi­ta­ti­ons­punkt der Schlacht. Kampf der Ver­zweif­lung und Abwehr der Preu­ßen. Auf­lö­sung des fran­zö­si­chen Hee­res, Flucht und Ver­fol­gung, Napo­lé­ons ekla­tan­te Niederlage.
(Vergl. »Das Ant­litz des Krie­ges«, John Kee­gan, Econ, 1978, S. 145 f.)

Das III. Armee­korps unter Thie­le­mann und Stabs­chef Clau­se­witz führ­te nahe­zu zeit­gleich, abseits der gro­ßen Schlacht, einen glück­lo­sen Kampf gegen das von Napo­lé­on ent­sen­de­te Obser­va­ti­ons­korps des Maré­chals Grouchy. Was einer eige­nen Betrach­tung im Wei­te­ren bedarf.

Zum Zeit­punkt des Beginns der Schlacht sehen wir Napo­lé­ons ope­ra­ti­ven Auf­bau folgendermaßen:
Das Haupt­quar­tier zunächst im Bau­ern­hof Le Caill­ou entfaltet.
Das Korps von Drou­et d´Erlon rechts der Stra­ße, links davon das Korps von Charles Reille.
Das Korps Lobau hin­ter dem Zen­trum in Abhän­gig­keit eines mög­li­chen Ein­grei­fens Blüchers.
Die Gar­de in Reserve.
Die Mas­se der Artil­le­rie (ca. 80 Geschüt­ze), wie damals nach Stand der Kriegs­wis­sen­schaft oppor­tun, vor dem Zen­trum in Hauptschlagrichtung.


Der Kampf um Hougoumont

Quel­le: »Water­loo — Eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa«, B.Cornwell, 2015, Rowohlt, Rein­beck, S. 186


Die Schlacht beginnt mit dem Kampf um Hougoumont

Gegen 11:30 Uhr (in den Quel­len unter­schied­lich um 30 Minu­ten) eröff­nen die Fran­zo­sen mit drei Artil­le­rie­sal­ven den Kampf. Es folgt ein Artil­le­rie­du­ell der Sei­ten, das fast eine Stun­de dau­er­te. Danach rück­ten die Fran­zo­sen mit rund 4.000 Mann gegen den Guts­hof Hou­go­u­mont vor, der von bri­ti­schen Pio­nie­ren zu einer »Fes­tung« aus­ge­baut wor­den war. Die Ver­tei­di­ger, 200 Gar­de­sol­da­ten, 800 Nas­sau­er und 200 Jäger, zeig­ten außer­or­dent­li­ches Stehvermögen.

Hou­go­u­mont, ein Gebäude-​Park-​Komplex mit drei unter­schied­lich gro­ßen inein­an­der ste­hen­den Rechtecken.

Quelle:Wikipedia »Hou­go­u­mont« um 1815

Napo­lé­on hat­te das II. Armee­korps unter der Füh­rung des Gene­rals Reil­le mit der Auf­ga­be betraut, einen Schein­an­griff mit zwei Divi­sio­nen (Jérô­me und Foy) zu füh­ren. Sein Ziel war es, Wel­ling­ton zu ver­an­las­sen, Trup­pen aus sei­nem Zen­trum nach dort zu ver­le­gen. Der Gene­ral Honoré-​Charles-​Michel-​Joseph, Comte Reil­le, hat­te in Spa­ni­en gegen Wel­ling­ton gekämpft und wuss­te um die Stand­haf­tig­keit der bri­ti­schen Infan­te­rie. Der ers­te Angriff Jérô­mes, des gewe­se­nen Königs von West­pha­len, zeig­te anfäng­lich Erfolg. Zeit­wei­se muss­ten Tei­le des Wal­des beim Hof den Fran­zo­sen über­las­sen werden.

Die nach Zeit und Ziel ursprüng­lich begrenz­te Hand­lung – so die Pla­nung – war offen­sicht­lich weder von Jérô­me noch von Reil­le ver­stan­den worden.
Nach­dem das Gefecht um den Hof eine Stun­de gedau­ert hat­te, wur­de ein zwei­ter Angriff mit begrenz­tem Erfolg – kurz­zei­ti­ges Ein­drin­gen – geführt. Es folg­ten Angriff Num­mer drei und vier.

Gegen 14:00 Uhr, immer noch tob­te der Kampf um Hou­go­u­mont. Reil­le und Jérô­me zeig­ten sich unfä­hig, die Lage real ein­zu­schät­zen und tak­ti­sche Schluss­fol­ge­run­gen zu zie­hen. Ein fünf­ter Angriff ende­te in einem Desas­ter, als fri­sche Trup­pen aus dem Zen­trum quer über das Schlacht­feld her­an­ge­führt, durch bri­ti­sche Artil­le­rie wirk­sam bekämpft wur­den und dar­auf­hin nicht mehr ein­grei­fen konn­ten. Ein dra­ma­ti­scher Höhe­punkt war zu erken­nen, als es einer Grup­pe Fran­zo­sen (ca. 25 Mann) gelang, das Haupt­tor auf­zu­bre­chen und auf den Hof vor­zu­drin­gen. Im blu­ti­gen Nah­kampf »mit dem kal­ten Stahl« gelang es den Bri­ten, das Tor wie­der zu schlie­ßen und die Ein­dring­lin­ge niederzumachen.

Zwi­schen­zeit­lich, gegen 13:30 Uhr, bestä­tigt sich Napo­lé­ons Beob­ach­tung, dass offen­sicht­lich die Preu­ßen doch ost­wärts auf­tau­chen, nach­dem ein preu­ßi­scher Gefan­ge­ner bestä­tigt, dass es sich um das IV. Korps unter Bülow han­delt. Zuvor hat­ten preu­ßi­sche Husa­ren über­ra­schend gegen 12:00 Uhr St. Lam­bert ca. 3 Mei­len west­wärts von La-​Belle-​Alliance erreicht. Napo­lé­ons rech­te Flan­ke war offen.

Napo­lé­on wur­de klar, dass er Wel­ling­ton schla­gen muss, bevor Blü­cher auf der Wal­statt erschien. Andern­falls wür­de er die Schlacht abbre­chen müssen.

Wel­ling­ton wur­de klar, dass er mit sei­ner Armee durch­hal­ten muss, bis Blü­cher an sei­ner lin­ken Flan­ke sei­ne Korps ent­fal­ten würde.

Gegen 15:00 Uhr ver­lo­ren Jérô­me und sein Gene­ral offen­sicht­lich die Ner­ven und began­nen, den Hof durch Hau­bit­zen mit Brand­gra­na­ten zu beschie­ßen. Nach­dem gegen 18:00 Uhr La Haie Sain­te zwi­schen­zeit­lich gefal­len war, erfolg­te die ach­te und letz­te erfolg­lo­se Atta­cke der Franzosen.
Die Kämp­fe gin­gen wei­ter, bis gegen 20:00 Uhr Napo­lé­ons Armee zusam­men­brach. Hou­go­u­mont stell­te eine Schlüs­sel­po­si­ti­on der Ver­tei­di­gung Wel­ling­tons dar. Die­ser fes­te Punkt stell­te die rech­te Flan­ken­si­che­rung der Bri­ten dar. Ope­ra­tiv tak­tisch von gro­ßer Bedeu­tung, da hier über 9 Stun­den 4.000 Mann rund 13.000 Fran­zo­sen in ver­lust­rei­chen Kämp­fen ban­den. In die­sem erbit­ter­ten Kampf ver­lo­ren sowohl die Bri­ten als auch die Fran­zo­sen annä­hernd 3000 Mann an Toten und Verwundeten.

Der Angriff des Korps d´Erlon

Napo­lé­ons Plan, das Zen­trum Wel­ling­tons durch den Angriff auf Hou­go­u­mont zu schwä­chen, schei­ter­te fort­lau­fend. Somit war das Zen­trum der Bri­ten nahe­zu unge­schwächt. Aller­dings hat­te es eine 30-​minütige Kano­na­de von etwa 80 Kano­nen über sich erge­hen las­sen müs­sen. Mit klin­gen­dem Spiel gin­gen 13:45 Uhr vier fran­zö­si­sche Divi­sio­nen (33 Batail­lo­ne, rund 17.000 Mann) gegen die Bri­ten vor und durch­schrit­ten die Boden­sen­ke, die die Lini­en mit 700 m von­ein­an­der trennten.

Quel­le: Water­loo Napo­le­ons letz­te Schlacht, J. Will­ms, C. H. Beck, 2015, S. 204

Eini­ge Vor­pos­ten der Bri­ten fie­len, u. a. auch Pape­lot­te. Um La Haye Sain­te ent­wi­ckel­te sich ein har­tes Gefecht, das lan­ge fortdauerte.

Auf La Haye Sain­te, weni­ge hun­dert Meter vor der bri­ti­schen Linie und in der Haupt­schlag­rich­tung Napo­lé­ons gele­gen, erfolg­te 13:30 Uhr der ers­te von drei Angriffen.

La Haye Sainte

Quel­le: »Der längs­te Nach­mit­tag«, B. Simms, C. H. Beck, 2014, S. 17

Die Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit des Mey­er­ho­fes war durch Pro­vi­so­ri­en gekenn­zeich­net. Durch rund 400 Män­ner, der Kings Ger­man Legi­on (KGL), wur­de über Nacht der Hof mit weni­gen Hilfs­mit­teln zur Ver­tei­di­gung aus­ge­baut. Es ent­wi­ckel­ten sich bis gegen 18:30 Uhr ange­spann­te Kämp­fe um die­sen Hof, der aber letzt­end­lich von den Fran­zo­sen ein­ge­nom­men wur­de. Man­gels Muni­ti­on und nach aus­sichts­lo­sem Kampf mit dem »kal­ten Stahl« zogen sich die Res­te der KGL zurück. Die Ver­lus­te waren sehr hoch. Allei­ne die KGL unter Füh­rung von Major Georg Frei­herr von Baring (*1773; †1848) ver­lor von 400 Män­nern etwa 350.

In Wel­ling­tons Haupt­an­stren­gung konn­te eine holländisch-​belgische Bri­ga­de dem Druck der Angriffs­ko­lon­nen und dem Artil­le­rie­be­schuss nicht stand­hal­ten und wich – in Unord­nung gera­ten – zurück. Ein von Gene­ral Pic­tons Infan­te­rie geführ­ter Gegen­an­griff ebne­te der bri­ti­schen Kaval­le­rie das Feld. Hier wur­de meis­ter­haft das tak­ti­sche »Prin­zip des Kamp­fes mit ver­bun­den Waf­fen« erfolg­reich durchgesetzt.

Ein Gegen­an­griff – gegen 14:00 Uhr – mit zwei Bri­ga­den bri­ti­scher Kaval­le­rie unter dem Earl of Uxbridge — stell­te die alte Lage wie­der her. Die Fran­zo­sen reti­rier­ten. Legen­där die Atta­cken der Roy­al Dra­goons, der Innis­kil­ling Dra­goons und der Scots Greys, die spä­ter 1881 in einem monu­men­ta­len Schlach­ten­ge­mäl­de dar­ge­stellt wurde.

Quel­le: Wiki­pe­dia »Scot­land for Ever«

Zwar wur­den zwei Regi­ments­fah­nen erobert und Tei­le der fran­zö­si­chen Artil­le­rie­bat­te­rie wur­den dezi­miert, aber ein über­ra­schen­der Gegen­stoß fran­zö­si­cher Kür­as­sie­re been­de­te die­sen Gang. Die Bri­ten zogen sich in Unord­nung auf ihre Linie zurück. Die Gene­ra­le Pon­son­by, Kempts und Pic­ton fie­len. Der Blut­zoll die­ses Erfol­ges war unver­hält­nis­mä­ßig hoch, denn die ruhm­rei­chen Bri­ga­den ver­lo­ren rund 45% ihrer Kampfstärke.

Kaval­le­rie­at­ta­cken gegen das bri­ti­sche Zentrum

Gegen 15:00 Uhr und 16:00 Uhr wur­de eine Rei­he von Kaval­le­rie­at­ta­cken gegen das bri­ti­sche Zen­trum geführt. Da Napo­lé­on zu die­ser Zeit aus gesund­heit­li­chen Grün­den nicht per­sön­lich führ­te, kam es zu einer Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on der Lage durch Ney. Wel­ling­ton zog sei­ne Linie aus der Reich­wei­te der fran­zö­si­schen Artil­le­rie zurück. Ney mein­te hin­ge­gen, Wel­ling­ton wür­de das Gefecht abbre­chen wol­len. Was Ney nicht wuss­te, Wel­ling­ton dis­lo­zier­te einen Teil sei­ner Trup­pen an einem Hin­ter­hang, den die Fran­zo­sen nicht ein­se­hen konn­ten. Mehr­fach hin­ter­ein­an­der ließ er die schwe­re fran­zö­si­sche Kaval­le­rie mit etwa 4.400 Mann ohne Infan­te­rie und Artil­le­rie­un­ter­stüt­zung angrei­fen. 22 bri­ti­schen Kar­rees mit rund 13.000 Mann hiel­ten jedoch stand und schlu­gen somit die Angrif­fe ab.

Die Ver­tei­di­gung der Kar­rees zu durch­bre­chen, wäre nur mit Infan­te­rie und Artil­le­rie, durch Feu­er und Stoß mög­lich gewe­sen. Die­ser kapi­ta­le Feh­ler Neys lei­tet somit das ver­hee­ren­de Ende der Schlacht ein. Gegen Ende die­ser Pha­se der Schlacht hat­te Ney 20 Regi­men­ter mit etwa 10.000 Mann in den Kampf ein­ge­führt und teil­wei­se ver­braucht. Clau­se­witz bezeich­ne­te einen der­ar­ti­gen Zustand als »Schla­cke«.

Erfolg­rei­che fran­zö­si­sche Infanterieangriffe

Die fol­gen­de rela­tiv kur­ze Pha­se der Schlacht wur­de nun­mehr haupt­säch­lich durch mehr oder weni­ger erfolg­rei­che Angrif­fe der fran­zö­si­schen Infan­te­rie beherrscht. Die Wucht der fran­zö­si­schen Angriffs­ko­lon­nen war beein­dru­ckend. Durch den Fall von La Haie Sain­te war die bri­ti­sche Linie im Zen­trum außer­dem stark geschwächt wor­den. Ney stand prak­tisch vor einem Durch­bruch der Ver­tei­di­gung Wel­ling­tons. Sei­ne For­de­rung nach dem Ein­satz der »Alten Gar­de« wur­de von Napo­lé­on zunächst abge­wie­sen. Er woll­te sie gegen die Korps von Bülow und Pirch zum Ein­satz brin­gen, um sei­ne rech­te Flan­ke zu decken.

Kul­mi­na­ti­ons­punkt der Schlacht

Inzwi­schen, es ist etwa 15:00 Uhr, tre­ten die preu­ßi­schen Korps unter Zieh­ten, Bülow und Pirch in die Schlacht ein. Blü­cher hat­te sei­ne Armee seit den frü­hen Mor­gen­stun­den, von Wav­re kom­mend, wie Wel­ling­ton zuge­sagt, in Rich­tung der Posi­ti­on der Bri­ten mar­schie­ren las­sen. Bei Clau­se­witz lesen wir, dass uner­war­te­te Frik­tio­nen, ein Brand in Wav­re, meh­re­re Defi­lees, schlech­te Wege und not­wen­di­ges wie­der­hol­tes Sam­meln, zu einer Ver­zö­ge­rung von zwei Stun­den geführt hat­ten. Die­se Zeit, die prak­tisch ver­lo­ren war, kom­pen­sier­te Bülow mit sei­nem IV. Korps durch einen Eil­marsch in Rich­tung des Schlachtenlärms.

Gegen 15:30 Uhr tref­fen die preu­ßi­schen Husa­ren unter Wil­helm Graf Schwe­rin auf die fran­zö­si­schen Husa­ren unter Oberst Mar­cel­lin de Mar­bot. Napo­lé­ons Hoff­nung, Grouchy wür­de vor Plan­cenoit auf­tau­chen und sei­ne rech­te Flan­ke decken, war zer­sto­ben, denn die­ser irr­te immer noch umher, um Blü­cher zu fin­den. 16:30 Uhr erreicht preu­ßi­sche Infan­te­rie den Ort Plan­cenoit unter­halb des rech­ten Flü­gels der napo­leo­ni­schen Schlacht­ord­nung. Den Ort aus der Bewe­gung her­aus zu neh­men, war nicht mög­lich. Der Ort war in der Hand des VI. Korps von Lobau, die sich mit ca. 4.000 Mann in den Häu­sern und Gär­ten des Orte ver­schanzt hat­ten. Die Preu­ßen ihrer­seits grif­fen mit knapp 1½ facher Über­le­gen­heit mit 2 Bri­ga­den des IV. Korps an.
Es ent­wi­ckel­te sich ein erbar­mungs­lo­ser Nah­kampf, in dem kaum Par­don gege­ben wur­de. Plan­ceo­nit war zunächst in preu­ßi­scher Hand. Napo­lé­on, sich der Gefahr die­ses Flan­ken­schla­ges bewusst, warf sei­ne »Jun­ge Gar­de« mit rund 4.700 Mann in den Kampf. Im Resul­tat des­sen erober­ten sie den Ort zurück. Die Preu­ßen, ver­stärkt mit fri­schen Kräf­ten, dreh­ten die Lage erneut. Stun­den­lang wur­de hart­nä­ckig gekämpft, bevor Napo­lé­on zwei Batail­lo­ne der »Alten Gar­de« ent­sand­te und gegen 19:30 Uhr im Zusam­men­wir­ken mit der bereits erschöpf­ten jun­gen Gar­de erneut den Ort ein­nahm. Aber um 20:30 Uhr war Plan­ceo­nit end­gül­tig an die Preu­ßen gefal­len. Die­ser fünf­stün­di­ge, außer­or­dent­lich har­te erbit­ter­te Kampf for­der­te auf preu­ßi­scher Sei­te etwa 6.300 Tote und Ver­wun­de­te. Auf fran­zö­si­scher Sei­te ca. 4.500.
Angriff der Preu­ßen in Plan­ceo­nit in der Schlacht von Waterloo
Quel­le: Meis­ter­dru­cke. de, Adolf Not­hern, 1868

An der Hauptverteidigungslinie:

Das stun­den­lan­ge Anren­nen und der inten­si­ve Beschuss mit der Artil­le­rie hat­te die Ver­tei­di­gung Wel­ling­tons stark geschwächt. Das war der legen­dä­re Zeit­punkt, als Wel­ling­ton geäu­ßert haben soll, »Nacht oder die Preu­ßen«. Napo­lé­on ver­sucht alles, um die Moral der Trup­pe hoch­zu­hal­ten und lässt ver­brei­ten, dass Grouchy in Anmarsch sei, wohl wis­sent­lich, dass das nicht der Wahr­heit ent­sprach. Bona­par­te stand auf Grund der Lage vor der Ent­schei­dung, die Schlacht abzu­bre­chen oder alles auf eine Kar­te zu set­zen. Gegen
19:30 Uhr gibt Napo­lé­on den fina­len Befehl zum Angriff der »Alten Gar­de«, die unter »Le pas de Char­ge« und »Pas Caden­cé« mit neun Batail­lo­nen auf das Zen­trum Wel­ling­tons mar­schier­ten. Flan­kie­rend scho­ben sich die ver­blie­be­nen Trup­pen­tei­le der Infan­te­rie und Kaval­le­rie noch ein­mal auf die bri­ti­schen Trup­pen zu.

[…] Ney führt sie zu Fuß den Kamm hin­auf. In makel­lo­ser Ord­nung bewe­gen sich die Grog­nards vor­an, wie beim Exer­zie­ren. Mit ihren roten Epau­let­ten, den über den grau­en Jacken gekreuz­ten Trä­gern und den Bären­fell­müt­zen erschei­nen sie den Ver­tei­di­gern wie eine gewal­ti­ge, unein­nehm­ba­re Fes­tung. Aber sie sind nur die Nach­hut einer ver­lo­re­nen Armee, einer unter­ge­hen­den Epoche. […]
(Vergl. »Napo­le­ons Hun­dert Tage«, G. Müch­ler, Theiss, 2014, S. 220) 
Wel­ling­ton, der den Auf­bau der Fran­zo­sen beob­ach­te­te, ver­stärk­te zügig sein Zen­trum durch Trup­pen von den Flan­ken und aus der Reser­ve. Das war mög­lich, weil das I. preu­ßi­sche Korps unter Zie­then an sei­nem lin­ken Flü­gel ope­rier­te. Die bri­ti­sche Linie ließ dis­zi­pli­niert die Angrei­fer bis auf die Ent­fer­nung von 100 Schritt her­an­rü­cken und feu­er­te dann in der gan­zen Linie eine Gene­ral­sal­ve von ele­men­ta­rer Gewalt. Über­ra­schend stan­den die Gre­na­die­re, die bis­lang auf dem Hin­ter­hang der bri­ti­schen Linie lagen, auf und eröff­ne­ten für die Fran­zo­sen über­ra­schend das Feu­er. Die­se Sal­ve aus 1.400 Mus­ke­ten hat­te eine ver­hee­ren­de Wir­kung. Die Fran­zo­sen wichen unge­ord­net zurück. Wel­ling­ton nutzt die­sen Augen­blick und ließ sei­ne Linie ener­gisch vor­ge­hen, um den Preu­ßen unter Bülow von Den­ne­witz den Ruhm nicht allei­ne zukom­men zu lassen.
Als die Gar­de eben­falls wank­te, erscholl der Ruf » La gar­de recu­le, sauve-​toi si tu peux«. Die Ord­nung der Fran­zo­sen begann sich auf­zu­lö­sen, und die Trup­pen flo­hen Hals über Kopf. Ein Kar­ree der Fran­zo­sen unter Graf Cam­bron­ne war ein­ge­schlos­sen und wur­de auf­ge­for­dert, die Waf­fen nie­der­zu­le­gen. Cam­bron­ne soll dar­au­hin geru­fen haben »La Gar­de meurt mais ne se rend pas«. Nach­dem der Auf­for­de­rung Nach­druck ver­lie­hen wur­de, soll er den Fran­zo­sen »Mer­de« zuge­ru­fen haben. Danach wur­de das Kar­ree mit Artil­le­rie und Mus­ke­ten­feu­er zusam­men­ge­schos­sen. Cam­bron­ne wur­de ver­wun­det gefan­gen genom­men. Er starb 1842. (Lud­wig der XVIII. hat­te ihn zuvor 1820 zum Vicomte ernannt.) Ledig­lich zwei Batail­lo­ne der Alten Gar­de zogen sich in mili­tä­ri­scher Ord­nung in Kar­rees zurück. In einem davon ent­ging Napo­lé­on zunächst der Gefan­gen­nah­me. Die Wor­te des Gene­rals Cam­bron­ne, die er stets zu sei­nen Leb­zei­ten bestritt, wur­den in der His­to­rie zu einem Mythos, und die­ser lebt, vor allem bei Eli­te­sol­da­ten, bis heu­te fort.

Die Armee Wel­ling­tons biwa­kier­te, nach­dem der Schlach­ten­lärm ver­klun­gen war, direkt auf der Walstatt.

[…]… des­sen Flä­che dicht bedeckt war mit über 45.000 toten oder ver­wun­de­ten Sol­da­ten und mehr als 15.000 toten oder ster­ben­den Pferden. […]
(Vergl. »Water­loo Napo­le­ons letz­te Schlacht«, J. Will­ms, C.H. Beck, 2015, S. 229)

Gnei­se­nau über­nahm die Ver­fol­gung der flie­hen­den Fran­zo­sen. Dar­über hat­ten sich Wel­ling­ton und Blü­cher geei­nigt, nach­dem die­se gegen 21:30 Uhr auf der Stra­ße nach Brüs­sel zwi­schen Rossom­me und La Belle-​Alliance zusam­men­tra­fen. Blü­cher befahl ihm in die­sem Zusam­men­hang, die Ver­fol­gung sol­le »bis zum letz­ten Hauch von Mann und Roß« geführt wer­den. Gnei­se­nau dazu in sei­nem Bericht zur Schlacht:

[…] Es war 9½ Uhr. Der Feld­mar­schall ver­sam­mel­te jetzt die höhe­ren Offi­zie­re und befahl, daß der letz­te Hauch von Mensch und Pferd zur Ver­fol­gung auf­ge­bo­ten wer­den sollte. […]
(Vergl. »August Wil­helm Anton Neid­hardt von Gnei­se­nau« Aus­ge­wähl­te mili­tä­ri­sche Schrif­ten, Förs­ter & Gud­zent, MV DDR, Ber­lin 1984, S. 349)

Gnei­se­nau führt sei­ne Trup­pen, unge­ach­tet der Stra­pa­zen der letz­ten drei Tage, in einer uner­bitt­li­chen nächt­li­chen Jagd auf die flüch­ten­den Fran­zo­sen, die erst bei Char­le­roi endet. Dabei mach­ten die Preu­ßen rei­che Beu­te, Napo­lé­ons Kriegs­kas­se, sein Hut und Säbel, Orden und Dia­man­ten wer­den Blü­cher über­ge­ben. Dar­über berich­te­te Blü­cher sei­ner Frau am 20. Juni 1815 aus Gos­se­lies bei Char­le­roi :

[…] Unser Sieg ist der voll­kom­mens­te, der je erfoch­ten ist. Napo­le­on ist in der Nacht ohne Hut und Degen ent­wischt; sei­nen Hut und Degen schi­cke ich heu­te am König; sein über­aus rei­cher Staats­man­tel, sein Wagen sind in mei­nen Hän­den, auch sein Per­spek­tiv, wodurch er uns am Schlacht­ta­ge bese­hen, besit­ze ich. … Sei­ne Juwe­len und alle sei­ne Pre­zio­sen sind unse­ren bra­ven Trup­pen zur Beu­te gewor­den, von sei­ne Equi­pa­ge ist ihm nichts geblie­ben; man­cher Sol­dat hat 5 – 6000 Taler Beu­te gemacht. […]
(Vergl. »Blü­chers Brie­fe«, W. Capel­le, Insel Ver­lag Leip­zig, 1920, S. 71)

Es zeugt von der preu­ßi­schen Dis­zi­plin, dass die­se Tro­phä­en nicht im Dun­kel des Sie­ges­tau­mel verschwanden.

Das Tref­fen von Wel­ling­ton und Blü­cher nach der Schlacht.

Das Tref­fen von Wel­ling­ton und Blü­cher nach der Schlacht von Water­loo von Dani­el Macli­se. Quel­le: meis​ter​dru​cke​.com/
»Die Schlacht« am Ran­de der Schlacht
Das III. Armee­korps (15.000 Mann, 22 Batail­lo­ne Infan­te­rie, 21 Schwa­dro­nen und 35 Geschüt­ze) unter Thie­le­mann mit sei­nem Stabs­chef Clau­se­witz war am Abend des 17. Juni bei Wav­re ver­sam­melt. Mit dem Abmarsch des Gros der Armee Blü­chers in Rich­tung Wel­ling­tons erhielt Thie­le­mann am Mor­gen des 18. Juni die Ord­re de Batail­le, die Arrié­re­gar­de der Armee zu bil­den. Als er sich anschick­te, der Armee lang­sam zu fol­gen, änder­te sich sei­ne Lage.
Mar­schall Grouchy näher­te sich mit sei­nem 33.000 Mann star­ken Korps, war am 18. Juni gegen 15:00 Uhr in Sicht­wei­te Thie­le­manns gerückt und hat­te die­sen unver­zü­gilch ange­grif­fen. Thie­le­mann muss­te sich ver­tei­di­gen. Der Befehl Napo­lé­ons, zur Armee auf­zu­schlie­ßen, erreich­te Grouchy erst gegen 18:00 Uhr. Die Lage zu die­ser Zeit war für bei­de Sei­ten außer­or­dent­lich unklar. Auf­klä­rungs­er­geb­nis­se und Infor­ma­tio­nen wider­spra­chen sich.
Als am Abend gegen 21:20 Uhr der Gefechts­lärm aus Rich­tung La-​Belle-​Alliance nicht mehr zu hören war, waren Grouchy und Thie­le­mann über den Aus­gang der dor­ti­gen Schlacht im Unkla­ren und set­zen ihre Gefechts­hand­lun­gen fort. Thie­le­mann berei­tet sich dar­auf vor, am 19. Juni bei Namur den Kampf fort­zu­set­zen. Am frü­hen Mor­gen des neu­en Tages wur­de Thie­le­mann hart bedrängt. Um 09:00 Uhr erhielt Thie­le­mann zuver­läs­sig Mel­dung über den Sieg der Alli­ier­ten über Napo­lé­on. Grouchy, der erst gegen 11:00 Uhr von dem Desas­ter Nach­richt erhielt, hat­te bis dahin den Angriff auf die Preu­ßen fort­ge­setzt. Erst dann begann er das Gefecht abzu­bre­chen und in Rich­tung Frank­reich zu marschieren.
Eini­ge His­to­ri­ker betrach­ten die Gefechts­hand­lun­gen zwi­schen dem preu­ßi­schen III. Armee­krops und dem Korps von Grouchy als Epi­so­de am Ran­de einer gro­ßen Schlacht. Viel­leicht ist ein Kom­men­tar Gnei­sen­aus auch der Anlass zu die­ser Mut­ma­ßung? Auf dem Höhe­punkt im Kampf um Plan­cenoit rich­te­te Thie­le­mann aus Wav­re an Blü­cher die Bit­te um Ver­stär­kung, da er sich durch eine dop­pel­te Über­macht ange­grif­fen sah. Gnei­se­nau quit­tier­te die­se Bit­te mit der küh­len Bemerkung:
[…]… das III. Korps möge sich ver­tei­di­gen, so gut es kann. Es spie­le kei­ne Rol­le, ob es geschla­gen wird, da die Ent­schei­dung ohne­hin hier falle. […]

(Vergl.»Die Schlacht Water­loo 1815« K.J. Bremm, WBG, 2015, S. 157, dort zitiert nach Hamilton-Williams)

Es ist die Tra­gik die­ser Geschich­te, dass Oberst Carl von Clau­se­witz als Stabs­chef Thie­le­manns in die­se Affai­re ver­wi­ckelt war, was sei­nen Avan­cen erneut nicht dien­lich war.

Carl von Clau­se­witz als Gene­ral­ma­jor, nach einem Gemäl­de von Karl Wil­helm Wach (um 1818)

Thie­le­man spe­ku­lier­te wohl, daß Grouchy, so wie er selbst, über den Aus­gang der Schlacht bei La-​Belle-​Alliance infor­miert war und daher sein Gefecht abbre­chen wür­de, um sich
zurück­zu­zie­hen. Dem war nicht so. Unab­läs­sig bedräng­ten Grouchys Trup­pen, die schon an Kaval­le­rie (5.000) die Preu­ßen (2.000) über­wo­gen. Clau­se­witz for­mu­liert in sei­ner Abhand­lung über den Feld­zug von 1815:

[…] Der Feind dräng­te immer­fort, Gene­ral Thie­le­mann muß­te sich ent­schlie­ßen, wei­ter zurück zu gehen, und end­lich sei­nen all­ge­mei­nen Rück­zug antre­ten. Gene­ral Thie­le­mann zog sich in Rich­tung auf Löwen bis nach St. Ach­ten­ro­de drei Stun­den vom Schlacht­feld zurück und büß­te nichts als ein paar tau­send Tote und Verwundete. […]
(Vergl. Carl von Clau­se­witz Sämt­li­che Schrif­ten »Vom Krie­ge«, Stra­te­gi­sche Über­sicht des Feld­zu­ges von 1815, W. von Seyd­litz, Mun­dus, 1999, S. 394 f.)

Mit die­sem räum­li­chen und zeit­li­chen Abstand ver­lor Thie­le­mann die »Tuch­füh­lung« zu sei­nem Geg­ner Grouchy und gestat­te die­sem, sich mit 25.000 Mann in glän­zen­der Manier zu lösen und erfolg­reich bis Paris zu reti­rie­ren. Das stell­te am Ran­de die­ser napo­léo­ni­schen Nie­der­la­ge eine ope­ra­ti­ve Glanz­leis­tung dar. Ste­fan Zweig in »Stern­stun­den der Menschheit«:

[…] Und gera­de in jener Stun­de nach sei­ner ver­säum­ten Sekun­de zeigt Grouchy – nun zu spät – sei­ne gan­ze mili­tä­ri­sche Kraft. Alle sei­ne gro­ßen Tugen­den, Beson­nen­heit, Tüch­tig­keit, Umsicht und Gewis­sen­haf­tig­keit wer­den klar, seit er wie­der sich selbst ver­traut und nicht mehr geschrie­be­nem Befehl. Von fünf­fa­cher Über­macht umstellt, führt er – eine meis­ter­haf­te tak­ti­sche Leis­tung – mit­ten durch die Fein­de sei­ne Trup­pen zurück, ohne eine Kano­ne, ohne einen Mann zu ver­lie­ren, und ret­tet Frank­reich, ret­tet dem Kai­ser­reich sein letz­tes Heer. […]
(Vergl.
Ste­fan Zweig, »Stern­stun­den der Mensch­heit«, Deut­scher Bücher­bund, »Rück­sturz ins Täg­li­che«, S. 200)

Thie­le­manns Rück­zug aber war schon bald nach der Schlacht in der Kri­tik. Man wun­der­te sich, dass die­ses Manö­ver über­haupt statt­ge­fun­den hatte.
Der Gene­ral Rei­che schil­dert in sei­nen Memoi­ren das folgendermaßen:

[…] Ich konn­te nicht wider­ste­hen, den Gene­ral Thie­le­mann bei Gele­gen­heit zu ver­an­las­sen, sich über die­sen Umstand näher zu äußern. Das Gesche­he­ne konn­te er natür­lich nicht in Abre­de stel­len, schob aber die meis­te Schuld auf den dama­li­gen Oberst C.……z, sei­nen Chef des Gene­ral­sta­bes, indem er behaup­te­te, daß der­sel­be immer sehr schwarz gese­hen und in dem vor­lie­gen­den Fal­le nicht eher geruht, bis er eine geeig­ne­te Stel­lung gefun­den habe, das wei­te­re Nach­drin­gen des Fein­des abwar­ten zu können. […]
(Vergl. »Memoi­ren« des könig­li­chen preu­ßi­schen Gene­rals der Infan­te­rie Lud­wig von Rei­che, Hg. L. von Welt­zi­en, zwei­ter Teil 1814 bis 1855, Brock­haus Leip­zig 1857, S. 224)

Korps­chef Thie­le­mann stell­te sei­nem Stabs­chef zunächst unter dem 31.08.1815 ein gutes Zeug­nis aus:

[…] Er füllt sei­nen Pos­ten mit gro­ßer Aus­zeich­nung, ist ein Mann von eben­so­viel Geist als mora­li­schem Wert und steht im Gene­ral­stab ganz an sei­nem Platze. […]
(Vergl. Pries­dorff, Füh­rer­tum, Bd. 5, S. 68)

Thiel­manns spä­te­res Nach­tre­ten beim Gene­ral Rei­che ist so unsach­lich wie unfair und eines Kom­man­die­ren­den unwür­dig. Jeder höher aus­ge­bil­de­te Mili­tär wird bestä­ti­gen, dass die Ver­ant­wor­tung für einen Ent­schluss immer beim Kom­man­die­ren­den liegt, der die Ent­schluss­vor­la­gen sei­nes Stabs­chefs ent­we­der annimmt, gege­be­nen­falls kor­ri­gie­ren oder – wenn not­wen­dig – ver­wer­fen muss. Sei­ne Vor­schlä­ge wird Clau­se­witz mit hoher Sicher­heit operativ-​taktisch erläu­tert und begrün­det haben. Zumal der spä­te­re »Kriegs­phi­lo­soph« einer stand­haf­ten Ver­tei­di­gung immer eine her­aus­ra­gen­de Rol­le bei­gemes­sen hat­te. So wie auch zu erken­nen ist in sei­ner Kri­tik des Russland-​Feldzuges von 1812. Davon konn­te Thiel­mann sich nicht im Nach­hin­ein los­sa­gen. Jedoch muss­te die­se Mei­nung Thiel­manns, dem König zu Ohre kom­mend, ein neu­er Bau­stein des Miss­trau­ens wer­den. Ein erneu­ter wie­der­hol­ter Ver­such, ein Kom­man­do über eine Trup­pe zu bekom­men, wur­de könig­lich abge­wie­sen. So hieß es in einer Ableh­nung des Königs Fried­rich Wil­helm III.:

[…] Ich kann Ihr Gesuch vom 1. die­ses, Sie in der Lini­en­in­fan­te­rie wie­der anzu­stel­len, jetzt nicht erfül­len, bin aber über­zeugt, daß Sie jeden Pos­ten, wel­chen ich ihnen über­tra­ge, zu mei­ner Zufrie­den­heit aus­fül­len wer­den, und ermah­ne Sie daher, der Ihnen gege­be­nen Bestim­mung mit Zuver­sicht auf ihren Eifer für den Dienst ent­ge­gen zu gehen. […]
(Vergl. Pries­dorf, Füh­rer­tum, Bd.5, S. 68)

Ableh­nung, Lob und vor­aus­ei­len­de miss­traui­sche Mah­nung, … der Preu­ßen­kö­nig war ein selt­sa­mer »Päd­ago­ge«. Clau­se­witz wird bis zu sei­nem Tode damit leben müssen.

Nach der Schlacht

In der Nacht zum 19. Juni über­quer­te Napo­lé­on die Gren­ze nach Frank­reich und erreich­te am 21. Juni gegen 09:00 Uhr Paris. Alle Ver­su­che Bona­par­tes, wie nach dem Desas­ter von 1812 wie­der Fuß zu fas­sen, schei­ter­ten. Am 3. Juli kapi­tu­lier­te Paris. Am 8. Juli saß der dicke Lud­wig XVIII wie­der auf sei­nem Thron. Am 31. Juli sticht die Nor­th­um­ber­land (ein 74-​Kanonen-​Schiff drit­ter Klas­se) mit Napo­lé­on an Bord in See. Das Ziel ist Sankt-​Helena. Er wird beglei­tet von 51 Per­so­nen, dar­un­ter Ober­hof­mar­schall Bert­rand, der schon auf Elba bei ihm war.

Maré­chal Michel Ney, der »Her­zog von Elchin­gen und Fürst von der Moskwa«, wur­de im August fest­ge­nom­men und war­te­te mit der Häft­lings­num­mer 1428 auf sei­nen Pro­zeß. Der Ver­schwö­rung für schul­dig befun­den, wur­de der »Tap­fers­te der Tap­fe­ren« am 7. Dezem­ber 1815 hin­ge­rich­tet. Mit ihm starb La Bédoyé­re, jener Offi­zier, der sich in Gre­no­ble mit sei­nem gan­zen Regi­ment Napo­lé­on ange­schlos­sen hat­te. Auch die Gene­rä­le Chart­rand und Mouton-​Duvernet stan­den vor einem Peloton.

Die Opfer

Arthur Wel­les­ley, 1. Duke of Wel­ling­ton, soll gesagt haben:

»Fast so groß wie das Elend einer ver­lo­re­nen Schlacht ist das Elend nach einer gewon­ne­nen Schlacht« oder ?
»Das größ­te Unglück ist eine ver­lo­re­ne Schlacht, das zweit­größ­te eine gewonnene«

[…] An einem Ort, rechts von La Haie Sain­te, lagen die fran­zö­si­chen Kür­as­sie­re buch­stäb­lich auf einem Sta­pel über­ein­an­der; vie­le unver­letz­te Sol­da­ten lagen unter ihren Pfer­den; ande­re waren schreck­lich ver­wun­det, oft weil ihre Pfer­de auf ihren geschun­de­nen Kör­pern wüte­ten. Der Anblick war ent­setz­lich … Auf dem gan­zen Feld sah man Offi­zie­re und vie­le Sol­da­ten, …; sie beug­ten sich über ihre toten und ster­ben­den Brü­der oder Kame­ra­den und weinten. […]

Der eng­li­sche Chir­urg Carles Bell begann am 19. Juni um 6:00 Uhr zu ope­rie­ren und arbei­te­te bis sie­ben Uhr abends, und das drei Tage hintereinander.

[…] Alle Regeln einer anstän­di­gen chir­ur­gi­schen Ope­ra­ti­on wur­den schon bald über den Hau­fen gewor­fen. Wäh­rend ich einem Mann den Schen­kel ampu­tier­te, lagen zu einer Zeit drei­zehn wei­te­re da und fleh­ten mich an, als Nächs­ter dran zu kom­men; einer beschwor mich, einer rief mir zu, ich sol­le mich an mein Ver­spre­chen erin­nern, ihn als Nächs­ten zu behan­deln, der ande­re ver­fluch­te mich. Mei­ne Klei­dung war steif vor Blut, und mei­ne Arme waren kraft­los von der Anstren­gung, das Mes­ser zu benutzen. […]

Als die Nacht des 18. Juni anbrach, lagen ver­mut­lich 12.000 Lei­chen auf dem Schlacht­feld und zwi­schen 30.000 und 40.000 Ver­wun­de­te. Ein Besu­cher des Schlacht­fel­des sah zehn Tage nach dem Kampf die Schei­ter­hau­fen bei Hou­go­u­mont bren­nen.

[…] Die Schei­ter­hau­fen haben acht Tage lang gebrannt, und so lan­ge hat­te sich das Feu­er nur von mensch­li­chem Fett genährt. Schen­kel, Arme und Bei­ne lagen in Hau­fen, und etwa fünf­zig Arbei­ter, Taschen­tü­cher vor dem Mund, schür­ten das Feu­er und die Kno­chen mit Mistgabeln. […]
(Vergl. in »Water­loo eine Schlacht ver­än­dert Euro­pa« von Ber­nard Corn­well, Ver­lag Wun­der­lich, 2015, S. 421 ff.)

Kame­rad Pferd – »Wohl auf, Kame­ra­den, aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Frei­heit gezo­gen!« Fried­rich Schil­ler — Reiterlied
Mehr als 10.000 die­ser treu­en Tie­re, die den Sol­da­ten bei­der Sei­ten dien­ten, lagen tot oder ver­letzt auf dem Feld der gewe­se­nen Schlacht.

Der eng­li­sche Artil­le­rie­haupt­mann Cava­lié Mer­cer schil­dert in sei­nem Tagebuch:

[…] Auch Pfer­de baten um unser Mit­leid — sanft, gedul­dig, aus­dau­ernd. Man­che lagen auf dem Boden mit her­aus­hän­gen­den Ein­ge­wei­den und leb­ten den­noch. Die­se ver­such­ten gele­gent­lich auf­zu­ste­hen, doch fie­len sie wie ihre mensch­li­chen Lei­dens­ge­fähr­ten schnell wie­der zurück, hoben die armen Köp­fe, blick­ten sehn­süch­tig zur Sei­te, leg­ten sich ruhig wie­der hin, um das Gan­ze dann zu wie­der­ho­len, bis ihre Kraft gewi­chen war, dann schlos­sen sie sanft die Augen, und ein kur­zer kon­vul­si­vi­scher Kampf ende­te ihre Leiden. […]
(Vergl. »Befrei­ungs­krie­ge in Augen­zeu­gen­be­rich­ten«, E. Kleß­mann dtv, 1973, Water­loo, S. 318 bis 319)

Ein Fazit

Clau­se­witz ana­ly­siert die Schlacht in sei­ner Betrach­tung über den Feld­zug 1815 im § 48 sehr aus­führ­lich. Er beur­teilt die Hand­lun­gen von Bona­par­te, die Ver­bün­de­ten und das Gefecht bei Wav­re. Er betrach­tet den Sieg in die­ser Schlacht als […] eine eige­ne Klas­se von Grö­ßen .…, die nur aus beson­de­ren Ver­hält­nis­sen her­vor­ge­hen und zu Resul­ta­ten grö­ße­rer Art führen. […]

Fol­gen­de Ursa­chen für die­sen Sieg der Alli­ier­ten sieht Clausewitz:

1. Die Anstren­gung der fran­zö­si­schen Armee und die Ver­wen­dung (Opfe­rung) aller Reser­ven, als der Sieg schon unwahr­schein­lich war.
2. Die her­ein­bre­chen­de Nacht, die die Füh­rung teil­wei­se unmög­lich mach­te. 3. Die umfas­sen­de Form des preu­ßi­schen Angriffs. 4. Die gro­ße Über­le­gen­heit der Ver­bün­de­ten. 5. Die gro­ße Ener­gie im Ver­fol­gen. 6. Der Ein­fluss aller poli­ti­schen Ele­men­te, die jeden Krieg durchdringen.

[…] Und die gan­ze Grö­ße des Sie­ges konn­ten die bei­den ver­bün­de­ten Feld­her­ren schon am Tag nach der Schlacht deut­lich über­se­hen, denn eine Sie­ges­tro­phäe , die aus 240 Geschüt­zen, deren gan­zen Park und dem gan­zen Feld­ge­rät des obers­ten Feld­her­ren zusam­men­ge­baut ist, läßt nichts zu wün­schen übrig und ist das untrüg­li­che Zei­chen eines zugrun­de gerich­te­ten, ganz aus dem Fel­de ver­trie­be­nen Heeres. […]
(Vergl. Carl von Clau­se­witz Sämt­li­che Schrif­ten »Vom Krie­ge«, Stra­te­gi­sche Über­sicht des Feld­zu­ges von 1815, W. von Seyd­litz, Mun­dus, 1999, S. 420 bis 424 f.)

Somit kann abschlie­ßend Fol­gen­des gesagt werden:

Trotz deut­li­cher Über­le­gen­heit und Qua­li­tät sei­ner Trup­pen konn­te Napo­lé­on Wel­ling­ton nicht schla­gen. Auf das Wort Blü­chers ver­trau­end, nahm der Her­zog die Schlacht an und zeig­te Steh­ver­mö­gen bis zum Ein­tritt Blü­chers in die Schlacht. Napo­lé­on ver­zö­ger­te sei­nen Ein­tritt in die Schlacht durch eine Rei­he schwer­wie­gen­der Fehl­ein­schät­zun­gen. Sei­ne Beur­tei­lung der Gesamt­la­ge, Blü­chers Armee betref­fend, war ein kapi­ta­ler Feh­ler. Sei­ne tem­po­rä­re Abwe­sen­heit von sei­nem Beob­ach­tungs­punkt wirk­te kon­tra­pro­duk­tiv. Grouchys »Wan­de­rung« ver­ur­sach­te das Feh­len einer not­wen­di­gen Reser­ve im ent­schei­den­den Moment der Schlacht. Gnei­sen­aus kon­se­quen­te Ver­fol­gung der Fran­zo­sen in der Nacht bis Char­le­roi voll­ende­te die Auf­lö­sung der geschla­ge­nen Armee Napoléons.

Die Fra­ge nach dem Sie­ger lässt sich mit einem Satz wie folgt zusammenfassen:

Wel­ling­ton und Blü­cher kön­nen glei­cher­ma­ßen den Sieg für sich und für ihre Trup­pen zusam­men beanspruchen.

In der Lite­ra­tur wird an vie­len Stel­len unter­stellt und wohl auch belegt, dass der Her­zog die Rol­le Preu­ßens abge­wer­tet hat­te. Maß­ge­bend aus Sicht des Autors ist jedoch der offi­zi­el­le Bericht Wel­ling­tons an den bri­ti­schen Kriegsminister.

Wel­ling­tons Bericht vom 19. Juni 1815 an den Kriegs­mi­nis­ter 3. Earl Bathurst (*1765; †1841)

[…] Ich wür­de weder mei­nen eige­nen Gefüh­len noch Mar­schall Blü­cher und der preu­ßi­schen Armee gerecht wer­den, wenn ich den erfolg­rei­chen Aus­gang die­ses beschwer­li­chen Tages nicht der herz­li­chen und recht­zei­ti­gen Hil­fe zuschrei­ben wür­de, die ich von ihnen erhal­ten habe. Die Ope­ra­ti­on von Gene­ral Bülow an der feind­li­chen Flan­ke war eine äußerst ent­schei­den­de; und selbst wenn ich mich nicht in der Lage befun­den hät­te, den Angriff durch­zu­füh­ren, der das End­ergeb­nis erbrach­te, hät­te dies den Feind zum Rück­zug gezwun­gen, wenn sei­ne Angrif­fe fehl­ge­schla­gen wären, und hät­te ihn dar­an gehin­dert, sie aus­zu­nut­zen, wenn sie unglück­li­cher­wei­se erfolg­reich gewe­sen wären. […]
(Vergl. https://​www​.water​loo1815​.de/​p​a​g​e​-11)